Seit einigen Monaten hat Mainz-Lerchenberg einen neuen Ortsvorsteher. Alper Kömür von der SPD hat nach den letzten Wahlen Sissi Westrich abgelöst (ebenfalls SPD). Nach über zehn Jahren hatte Westrich aus familiären Gründen ihren Abschied verkündet (wir berichteten). Wir haben mit Kömür über das ZDF, Wahlkampf mit TikTok und die Besonderheiten von Lerchenberg gesprochen.
Merkurist: Herr Kömür, Sie leben seit zehn Jahren auf dem Lerchenberg, aufgewachsen sind Sie in der Mainzer Altstadt, auch in Wiesbaden haben Sie einige Jahre verbracht. Was hat Sie auf den Lerchenberg gezogen?
Alper Kömür: Meine Frau und ich waren damals froh, hier etwas gefunden zu haben. Unsere beiden Söhne sind aber tatsächlich in Wiesbaden geboren. Trotzdem sind sie ganz gut geworden (lacht). Ich bin früher schon öfter mit meinen Eltern am Wochenende mit dem Bus nach Drais gefahren, und wir sind in der „Senke“ in Richtung Lerchenberg spazieren gegangen. Das hat mir damals schon sehr gut gefallen: die Obstbäume, der nahe gelegene Wald. Kurz vor der Einschulung unseres älteren Sohns haben wir gesehen, dass hier etwas frei war, das wir uns auch einigermaßen leisten konnten, und haben zugeschlagen. In Wiesbaden arbeite ich jedoch weiterhin.
Was macht denn den Lerchenberg für Sie besonders?
Zuerst einmal die Entstehungsgeschichte. Der Lerchenberg ist ja aus einem Guss, er hat zum Beispiel kein altes Zentrum wie andere Stadtteile, angefangen zu bauen wurde hier erst in den 1960er-Jahren. Hier gibt es keine Landwirtschaft, kein großes Gewerbe. Im Einkaufszentrum sind fast alle Gewerbetreibenden angesiedelt. Es ist also eigentlich eine Siedlung, die gleichzeitig ein Stadtteil ist. Der Lerchenberg ist also sehr eigen, weil er doch großstädtisch ist mit den Hochhäusern, dem Einkaufszentrum und mittlerweile auch der tollen Anbindung mit der Mainzelbahn. Aber er liegt halt weiter draußen. Also er könnte, so wie er ist, eigentlich auch eine Siedlung in Stadtnähe sein.
Gleichzeitig ist unsere Bebauungsgrenze auch unsere Gemarkungsgrenze. Wir haben zwar großes Potenzial für größere Projekte, können aber nicht mehr wachsen. Wir sind also ein bisschen wie Monaco, bebaut bis zur Gemarkung von Marienborn, Drais und dem Ober-Olmer Wald.
Bekannt ist der Lerchenberg in ganz Deutschland vor allem wegen des ZDF. Warum ist der Fernsehsender im Stadtteil selbst kaum zu sehen?
Das stimmt, daher will ich die Zusammenarbeit mit dem ZDF unbedingt verstärken. Der Lerchenberg sollte eine Marke werden und das ZDF nicht nur als UFO wahrgenommen werden, das hier zufällig gelandet ist. Wenn man möchte, dass sich der Lerchenberg mehr zum ZDF bekennt, dann muss sich auch das ZDF zum Lerchenberg bekennen. Also, dass sich der Sender mehr am Ortsleben beteiligt. Zwar tauchen die Mainzelmännchen gelegentlich an manchen Stellen auf, etwa an Ampeln oder am Sportplatz. Ich glaube aber, da ist mehr Potenzial für beide Seiten drin. Ich hätte gerne, dass auch der Einzelhandel und die Gastronomie davon profitieren. Dass die Menschen zum Beispiel nach dem Fernsehgarten ins Einkaufszentrum gehen. So könnte man am Brunnen im Einkaufszentrum Fotomotive einrichten und dann verweilen die Menschen hier noch, essen ein Eis oder eine Pizza.
Wir müssen generell gucken, dass wir die Gastronomie und den Einzelhandel stärken, dass wir Menschen von außerhalb auf den Lerchenberg ziehen. Das wird eines meiner Hauptanliegen sein: den Lerchenberg zu öffnen, weil er eine Reise wert ist und als Naherholungsgebiet super als Ausgangspunkt für den Wald, aber auch für Wanderungen zwischen den Obstbäumen. Wir sollten diese positiven Eigenheiten, die wir hier haben, besser präsentieren und in Zukunft besser nutzen.
Was liegt Ihnen besonders am Herzen, was wollen Sie ändern und erreichen in den nächsten Jahren?
Tatsächlich möchte ich mich sehr für die Kinder und Jugendlichen einsetzen. Es gibt schon den Regenbogentreff, ein Nachhilfeangebot, das gut angenommen wird. Doch leider müssen jedes Jahr Kinder weggeschickt werden, weil es nicht genügend Plätze gibt. Rund 10 Prozent der Grundschulkinder gehen zu dieser Nachhilfe, das ist ein „Game Changer“ für viele. Die Bildungsergebnisse in Lerchenberg haben sich in den letzten 20 Jahren sehr erfolgreich entwickelt, weil die Kinder hier eine große Unterstützung bekommen. Das liegt zum einen an der Grundschule, die integrativ und inklusiv ausgerichtet ist, und zum anderen an dem Nachhilfeangebot. Das müssen wir mehr ausbauen und noch besser werden. Jeden Euro, den wir da reinstecken, spart und zukünftige etliche Sozial- und Sicherheitsausgaben. Für uns als Gesellschaft ist das super wichtig. Das Thema Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe bekommt meiner Meinung nach viel zu wenig Aufmerksamkeit.
Genauso wichtig ist es, sich um unsere Senioren zu kümmern. Das ehemalige Vitalzentrum etwa wird im neuen Bürgerhaus vom neuen Träger unter neuem Namen übernommen. Politisches Ziel sollte sein, dass wir alles dafür tun, dass die Menschen möglichst lange und glücklich leben. Dass Gemeinschaft geschaffen wird, und die Menschen nicht einsam sind. Dazu müssen wir Angebote schaffen, bei denen Senioren zusammenkommen können, zusammen feiern, zusammen tanzen. Wie zu unserer Seniorendisco im Bürgerhäuschen. Da kommen Menschen mit Rollator hin und fangen an zu tanzen.
Was fehlt für die Jugendlichen hier? Für Gonsenheim etwa fordert der Ortsvorsteher Josef Aron mehr Basketballplätze.
Auch für die Jugendlichen fehlen Plätze, an denen sie sich begegnen, sich gegenseitig kennenlernen, Zeit verbringen können. Das ist manchmal nicht so, wie wir uns das wünschen. Ich könnte mir eine Skatebahn dort vorstellen, wo sich die Sporthalle B jetzt befindet. Und eine Hütte, in der sie geschützt sitzen und chillen können. Wo sie ihre Ruhe haben, unter sich sein können und Anwohner nicht stören. Solche Räume, solche Plätze brauchen wir und das sollten nicht immer nur so Schmuddelecken sein.
Ebenso wichtig für Schüler und Vereine ist, dass die neue Sporthalle endlich kommt. Die alte ist mittlerweile relativ marode und kaputt, eine neue ist schon seit langem versprochen und geplant. Aber nun verzögert sich das durch die Haushaltslage. Der Schulsport ist gesetzliche Pflicht, muss gewährleistet und gesichert sein. Und darauf werde ich auch bestehen. Wir haben nicht genug Sportflächen, sogar der Hartplatz ist nicht nutzbar. Der große Platz, den wir auf der Bezirkssportanlage haben, ist immer vollgepackt, da spielen die Mannschaften teilweise auf einem Viertelplatz. Diese Sportplätze haben eine große Bedeutung für den sozialen Frieden. Was die Sportvereine, die Trainer und all die anderen Ehrenamtlichen hier leisten, ist unbezahlbar.
Sie arbeiten ja auch ehrenamtlich als Fußballtrainer.
Ja, und ich habe dadurch auch im Wahlkampf eine fantastische Unterstützung erfahren, weil mich viele Jugendliche auf dem Lerchenberg bereits kannten. Als klar war, dass Sissi Westrich nicht mehr antreten würde, hat sie mich gefragt, ob ich Ortsvorsteher werden wolle. Ich war mir nicht sicher, ob Lerchenberg schon bereit ist, jemanden zu wählen, der einen türkischen Namen hat. Als ich dann schließlich zugesagt habe, haben sich sehr viele junge Menschen auf dem Lerchenberg für mich eingesetzt, haben für mich Plakate geklebt, TikTok-Videos mit mir gemacht. Viele, auch mit Migrationshintergrund, kamen mit ihren Eltern ins Wahllokal und riefen mir zu: „Ich habe meine Mutter und meinen Vater mitgebracht.“ Das ist schön zu sehen. Menschen, die eigentlich schon aufgegeben hatten, die gesagt haben: „Ich werde nicht gehört, ich werde nicht gesehen, ich bin egal“, das Gefühl zu geben, nein, du bist es nicht, du hast einen Wert und du kannst dich beteiligen, du kannst partizipieren, du kannst politisch etwas bewegen, und wenn du aufstehst, dann wackelt der Tisch.
Haben Sie das Gefühl, damit ein Zeichen gesetzt zu haben?
Ich glaube, viele junge Menschen auf dem Lerchenberg hat das für ihre politische Zukunft gestärkt. Dass sie gesehen haben, dass Politik auch Spaß machen kann, dass es cool sein kann sich zu engagieren. Das hat viele bewegt, sich für Politik zu interessieren, die sich noch nie dafür interessiert haben. Ich finde es auch ein Unding, dass 16-Jährige nicht bei den Ortsbeirats- oder Kommunalwahlen wählen können. Ich habe leider die Erfahrung gemacht: Die Menschen, die die größten Probleme haben, sind immer am stillsten. Das sind Menschen, die wir in der Politik zu oft schon verloren haben, und das darf uns in Zukunft einfach nicht mehr passieren.