Jahrelang rangen Eigentümer, Mieter und Wohnungsbaugesellschaften um die Zukunft des maroden Gebäudes im Wiesbadener Wohngebiet Schelmengraben, das auch als „Rotes Hochhaus“ bekannt ist. Nun wurde der Gebäudekomplex in der Karl-Marx-Straße an die Stadtentwicklungsgesellschaft (SEG) verkauft (wir berichteten). Zukünftig ist somit die Stadt Wiesbaden für die Sanierung des 1978 erbauten Gebäudes zuständig.
Das markante Hochhaus in der Mitte des Schelmengrabenquartiers galt über Jahre hinweg als Problemimmobilie. Dennoch sieht Verkehrs- und Baudezernent Andreas Kowol (Grüne) im Kauf des „Roten Hochhauses“ eine Entwicklungschance für das gesamte Wohnquartier. „Die Revitalisierung des ‚roten Riesens‘ ist nicht zuletzt aus Nachhaltigkeitsgründen geboten. Die städtebaulichen Erneuerungen und auch die Sanierungsmaßnahmen im Straßenbau sollen zur Aufwertung des gesamten Umfeldes beitragen“, erklärte Kowol bei einem Pressetermin am vergangenen Freitag (25. Juli).
Bewohnerin beklagt Wohnsituation: „Es ist schlimm hier“
Geplant ist eine grundlegende Sanierung des gesamten Gebäudekomplexes. Die aktuell leerstehende Ladenzeile soll erhalten bleiben und durch einen neuen Supermarkt ergänzt werden. Die Modernisierungsmaßnahmen sollen der gegenwärtigen schlechten Entwicklung des Gebäudekomplexes entgegenwirken und den Schelmengraben zu einem attraktiven Wohngebiet machen.
Mit seiner unmittelbaren Nähe zu den HSK (Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken Wiesbaden), einem Waldgebiet sowie zu einer angrenzenden Weinlandschaft hat das Quartier Schelmengraben zwar gute Voraussetzungen für dieses Ziel – noch ist das „Rote Hochhaus“ aber weit davon entfernt. Aktuell befinden sich der Wohnkomplex sowie die angrenzende Ladenpassage in desolatem Zustand.
An den Betonmauern stapelt sich der Müll, an der Eingangstür ist ein Warnschild angebracht, das auf ausgelegtes Ratten- und Mäusebekämpfungsmittel hinweist. Den Rattenbefall bestätigt zudem eine Bewohnerin. „Es ist wirklich schlimm hier. Überall ist Dreck und es gibt Ratten. Die Aufzüge funktionieren nur manchmal, was für alte Menschen, die im 16. Stock wohnen, zum Problem wird“, berichtet sie.
Sicherheitsmängel, Taubenkot und Glasscherben im Treppenhaus
Auch um die Sicherheit im Gebäude sorge sie sich. Es sei offen zugänglich, denn es gebe keine verschließbaren Türen. Tatsächlich sind die Eingangstüren am Tag des Merkurist-Besuchs nicht verschlossen. Nur einer der beiden Aufzüge ist funktionstüchtig. Darin riecht es streng nach Urin und das Untergeschoss ist wegen eines zerstörten Kartenlesers nicht mehr mit dem Aufzug erreichbar. Im 16. Stock sind die Wände übersät mit Schmierereien und Graffitis, einer Notausgangstür fehlt die Türklinke. Diese liegt im Treppenhaus, das über keine ausreichende Beleuchtung verfügt. Dafür liegt umso mehr Dreck in jeder Ecke und ganze Glasscheiben, die aus den Türen geschlagen wurden, behindern nun Flucht- und Rettungswege.
Ein Lichtschalter scheint mutwillig zerstört worden zu sein und die dunkle Verfärbung über einem Balkon weist auf einen Brand oder Schimmel hin. Die Feuerschlauchkästen sind so demoliert, dass sie im Brandfall nur schwer zugänglich sind. Auf den Treppenstufen liegen Glasscherben und eine Spur aus Taubenkot zieht sich mehrere Stockwerke abwärts. Auf einem Treppenabsatz nisten Tauben, die ihr Nest aus Zeitungspapier und Plastiktüten gebaut haben. Ein paar Stufen weiter unten sitzen zwei Taubenküken in ihrem Nest mitten auf der Treppe. Der Gestank von Taubenkot mischt sich einige Stockwerke tiefer mit dem von menschlichen Hinterlassenschaften.
Ungewisse Zukunft nach Sanierung
Zum „Roten Hochhaus“ gehört noch ein flacher Anbau, in dem sich ebenfalls einige Wohneinheiten befinden. Er ist zwar in einem besseren Zustand als das Hochhaus, doch auch hier stehen viele Wohnungen leer und in den Fluren steht Sperrmüll herum. Laut eines aktuellen Aushangs wird dieser Gebäudeabschnitt jedoch von einer Firma für Gebäudemanagement verwaltet und gereinigt.
Bis die Sanierungsmaßnahmen im Hochhaus abgeschlossen und alle Mängel behoben sind, werden allerdings noch einige Jahre vergehen. Laut Stadt ist voraussichtlich frühestens im Jahr 2026 mit dem Spatenstich zu rechnen. Für die Fertigstellung steht noch kein Datum fest. Unklar ist auch, wie sich die Mietpreise nach der Renovierung entwickeln werden.
„Endlich wird mal was getan! Die Sanierung war schon oft geplant, aber immer wieder wurden unsere Hoffnungen enttäuscht“, sagt die Bewohnerin. Die Aussicht auf die geplante Sanierung stimme sie hoffnungsvoll. Sollten die Mieten steigen, befürchte sie aber, danach nicht wieder zurückziehen zu können.