Eine junge Fotografin aus Hamburg, ein abgelegenes Feriendomizil in Kolumbien und ein Junge, der im Rhein-Main-Gebiet der Nachkriegszeit aufwächst: Im neuen Roman „Soledad“ von Thorsten Nagelschmidt treffen verschiedene Welten und Zeitebenen aufeinander. Im Merkurist-Gespräch verrät der Autor, was ihn zu dem Buch inspiriert hat, warum Wiesbaden darin keine unbedeutende Rolle spielt und warum er sich bei seiner Lesetour vor allem auf den Auftritt im Schlachthof freut.
„Unbekannte Gefilde“
In „Soledad“ begegnen sich zwei Figuren, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten: Alena, eine junge Fotografin mit russischen Wurzeln, die auf der gemeinsamen Südamerika-Reise von ihrer Partnerin verlassen wurde und ihre Gefühle mit Tabletten betäubt – und Rainer, den es nach seiner Kindheit im Mainz der 50er- und 60er-Jahre immer weiter in die Welt hinauszieht, bis er sich schließlich mit seiner halb so alten Frau und seiner Tochter im kolumbianischen Soledad niederlässt.
„Die beiden prallen erstmal ein bisschen aufeinander“, erklärt Nagelschmidt. „Wir erfahren das besonders durch Alenas Blick, wie merkwürdig sie diesen fast 70-jährigen Mann erstmal findet.“ Nach und nach stellt sich jedoch heraus, dass es zwischen den beiden mehr Verbindendes als Trennendes gibt. „Wo ich die große Behauptung machen würde, dass das eigentlich für uns alle gilt.“ Dieser Aspekt verbinde „Soledad“ auch mit seinen vorherigen Büchern. „Mich interessiert sehr, warum Menschen handeln, wie sie handeln, warum sie denken, wie sie denken, was sie zu dem gemacht hat, was sie sind. Wir alle haben eine Prägung, die wir mitbringen und die wir auch wahrscheinlich nie ganz abschütteln werden können.“
Die Handlungsorte seines neuen Romans unterscheiden sich jedoch deutlich von den Vorgängern. „In meinem letzten Roman ‘Arbeit’ habe ich mich so sehr an Berlin abgearbeitet, wo ich auch lebe. In ‘Der Abfall der Herzen’ habe ich mich wahnsinnig intensiv mit meiner Heimatstadt Rheine beschäftigt“, sagt Nagelschmidt. „Jetzt hatte ich große Freude daran, mich in Gefilde zu begeben, die ich noch nicht so gut kenne.“ Den Ort Soledad habe er ausgewählt, weil er 2018 selbst an einem ähnlichen Ort in Kolumbien gelandet sei. „Der ist irgendwie an mir haften geblieben.“
Verbundenheit mit Wiesbaden
Wie er aber ausgerechnet auf Mainz als Heimatstadt für seinen Protagonisten gekommen sei, könne der Autor selbst nicht genau sagen. Er habe nie in Mainz gelebt, auch seine Familie stamme nicht aus dieser Region. „Ich kann selbst nur vermuten, was mich dazu getrieben hat.“ Viel mehr verbinde ihn eigentlich mit Wiesbaden. Wenn Nagelschmidt nicht gerade aus seinen Büchern liest, tourt er nämlich mit seiner Band „Muff Potter“ durch Deutschland. Ob mit der Band oder solo: Die mit Abstand meisten Auftritte habe er im Wiesbadener Schlachthof absolviert. „Der Schlachthof ist fast schon eine zweite Heimat für mich“, sagt er.
Ganz zufällig scheint es also nicht, dass ein Teil der Handlung von „Soledad“ auch in Wiesbaden spielt. „Es gibt eine ganz, ganz wichtige Szene für das Buch, die in Wiesbaden spielt“, verrät Nagelschmidt. „Vielleicht sogar die wichtigste Szene. Vielleicht überliest man sie erstmal, aber es wird dann noch aufgeklärt, wie wichtig diese Szene eigentlich ist.“
Seine Lesetour, bei der er das neue Buch vorstellt, führt den Autor am Mittwoch (30. Oktober) ebenfalls nach Wiesbaden – und schon wieder in den Schlachthof. „Für mich ist das einfach einer der besten und wichtigsten popkulturellen Veranstaltungsorte Deutschlands“, so Nagelschmidt. Ein weiterer Grund zur Freude für den Autor: Nur wenige Wochen zuvor startete die Lesetour mit einem Auftritt in Mainz (wir berichteten). „Das ist etwas, was man als Künstler sonst nie gemacht hat. In einem Monat sowohl in Mainz als auch in Wiesbaden auftreten, das galt immer als unmöglich“, erklärt er. „Aber ich glaube, wenn ich es mit irgendeiner Neuerscheinung mal probieren kann, dann wahrscheinlich mit dieser.“
Weitere Informationen zur Lesung am Mittwoch und Tickets gibt es hier. Alle Infos zum Buch „Soledad“ findet ihr auf der Homepage von Thorsten Nagelschmidt oder auf der Website des S. Fischer Verlags.