SEK stürmte Mainzer Wohnung: „Es war der blanke Horror“

Offenbar wegen einer Falschbeschuldigung stürmte eine bewaffnete SEK-Einheit vergangene Woche die Wohnung eines Mainzers. Der kämpft nun mit den Folgen des Einsatzes.

SEK stürmte Mainzer Wohnung: „Es war der blanke Horror“

Als Merkurist-Leser Jürgen am vergangenen Donnerstagnachmittag von seinem Job nach Hause in die Mainzer Altstadt zurückkehrte, ahnte er noch nicht, welchen Horror er kurz danach erleben sollte. Zunächst legte er sich für einen kleinen Mittagsschlaf hin, anschließend ging er mit einem TikTok-Video live und sprach vor ein paar wenigen Followern über das Thema Networking. Als er es sich anschließend auf dem Sofa bequem machte, erlebte er einen Schock: Bewaffnete Männer öffneten plötzlich gewaltsam die Scheibe zu seiner Wohnung, richteten die Waffen auf ihn, zwangen ihn dazu, sich auf den Boden zu legen, fesselten ihn mit Kabelbindern.

Bei den Männern handelte es sich um SEK-Beamte. Bis Jürgen das überhaupt begriffen hatte, habe es einige Sekunden gebraucht. „Ich war völlig überfordert, wusste ja gar nicht, worum es geht“, sagt er gegenüber Merkurist zu den Erlebnissen am 14. November. Außer Jürgen war noch ein Freund von ihm in der Wohnung. Der möchte nicht öffentlich in Erscheinung treten, deswegen geht es in dieser Erzählung vor allem um Jürgens Erlebnisse. Als Jürgen die SEK-Beamten fragte, was überhaupt los sei, habe ihn ein Beamter angeschrien: „Halts’ Maul!“

Was hinter dem SEK-Einsatz steckt

Von Merkurist damit konfrontiert, sagt ein Polizeisprecher: „Selbstverständlich ist ‘Halt’s Maul!’ weder in solchen Einsätzen, noch in anderen Situationen gängiger Sprachgebrauch und sollte keine Verwendung finden. Ob es in der ersten, dynamischen Phase zu solch einer Aussage gekommen ist, lässt sich nicht mehr überprüfen.“ Man werde diese Aussage jedoch an entsprechende Stelle weiterleiten.

Doch was war der Hintergrund des Einsatzes? Während Jürgen bei TikTok live gewesen war, hatte ein Unbekannter in seinem Namen der Polizei offenbar eine Mail geschickt. Mutmaßlicher Inhalt der Mail: Jürgen soll eine Frau getötet haben. Ein Vorwurf, der sich später als haltlos erweisen sollte (wir berichteten). Auf Merkurist -Anfrage erklärt ein Sprecher der Mainzer Polizei, dass man den Inhalt der „Mitteilung“ weder bestätigen noch dementieren könne.

Wie es weiterging

Zurück zum 14. November: Nachdem Jürgen seine Unschuld versicherte und sein Mailprogramm auf dem Handy vorzeigte, habe sich die Lage zumindest etwas entspannt. Kripo-Beamte waren in der Zwischenzeit in die Wohnung gekommen, hatten Jürgen Handschellen statt Kabelbindern angelegt. Erst Stück für Stück stellte sich heraus, dass Jürgen offenbar Opfer einer sogenannten Swatting-Attacke geworden war. Ein Unbekannter oder mehrere Unbekannte hatten offenbar gezielt die Fake-Mail in Umlauf gebracht, um so einen SEK-Einsatz zu provozieren. Laut Jürgen wurde die Mail offenbar genau zu der Zeit verschickt, als er live bei TikTok war. Nicht selten ist eines der Ziele von Swatting-Attacken, dass die Polizei die Wohnung stürmt, während das Opfer noch im Livevideo zu sehen ist. Ob es im Fall von Jürgen tatsächlich um Swatting geht, wird laut Polizeisprecher aber noch ermittelt.

Weil das SEK sich über eine Wintergartentür gewaltsam Zugang zu seiner Wohnung verschaffte, entstand ein erheblicher Schaden an der Glastür. Als Jürgen die Beamten fragte, wer für den Schaden aufkomme, sollen die geantwortet haben: „Das wissen wir doch nicht.“ Laut Angaben eines Polizeisprechers würden die Kosten nun vom Land Rheinland-Pfalz übernommen. Der Merkurist-Redaktion liegt ein Foto der zerstörten Scheibe vor.

Schlaflosigkeit und Panikattacken

Doch wesentlich gravierender als der Sachschaden sind die psychischen Folgen, unter denen Jürgen seit dem Vorfall leidet. „Ich kann nicht richtig schlafen“, sagt er. „Ich leide unter Panikattacken, beim kleinsten Geräusch kommt die Angst in mir hoch, dass dieser Horror sich wiederholt.“ Dazu kommt die quälende Frage: Wer hat mir das angetan? „Es ist heftig, was eine E-Mail auslösen kann“, sagt Jürgen. Seine Katzen seien seit dem Einsatz „völlig durch den Wind“, berichtet Jürgen weiter. Hilfe erhofft er sich nun vom Verein „Weißer Ring“, der sich um die Opfer von Straftaten kümmert.

Der Einsatz in der Altstadt hatte am vergangenen Donnerstag für viel Aufsehen gesorgt, Staus und Ausfälle im ÖPNV waren die Folgen. „Meine Schwester fragte, mich ob alles ok sei. Schließlich habe es ja einen großen Einsatz in der Nähe meiner Wohnung gegeben“, so Jürgen. „Sie konnte kaum glauben, dass der Einsatz nicht in der Nähe, sondern in meiner Wohnung stattgefunden hat.“ Den Einsatz bezeichnet Jürgen als „unnötig“, er findet, die Mail hätte zuvor auf ihre Echtheit hin überprüft werden müssen. „Es war für mich blanker Horror zu sehen, dass dieser Großeinsatz wegen mir ausgelöst wurde.“

Wie Jürgen sagt, hoffe er, dass sein Fall abschreckend wirkt. „Leute, die solche Swatting-Attacken verüben, sollten sich vorher genau überlegen, welche Konsequenzen das hat. Ich glaube nicht, dass sie das wussten.“