Es fehlen Plätze, die Jugendämter stehen vor dem Kollaps, Notsituationen werden erst viel zu spät erkannt: Vielerorts droht eine Gefährdung von Kindern und Jugendlichen, da die zuständigen Mitarbeiter heillos überlastet sind. Zu diesem Ergebnis kam kürzlich eine Umfrage von Report Mainz.
Das Team hatte bundesweit Hunderte von Jugendämtern zu ihrer aktuellen Situation befragt. Fast jedes vierte Amt teilte mit, dass es 2023 zu einer Gefährdung von Kindern oder Jugendlichen gekommen sei. Das bedeutet: Kindern in Not konnte nicht rechtzeitig geholfen werden, weil die Jugendämter nicht mehr mit den Hausbesuchen hinterherkommen. 80 Prozent sagen, dass sie überlastet seien, und ein Viertel beklagt zu wenige Plätze in Einrichtungen für Kinder.
Kommt das Mainzer Amt an seine Grenzen?
Wie kritisch ist die Situation in Mainz? Für den Kinderschutz zuständig ist das Amt für Jugend und Familie. Die Mitarbeiter hier sind etwa für den Pflegekinderdienst zuständig sowie die Frühen Hilfen und das Adoptionswesen. Insgesamt sind in der Abteilung 38,5 Vollzeitstellen mit Fachkräften besetzt, die etwa im Kindesschutz arbeiten, in der Erziehung beraten oder Jugendhilfen anbieten.
Ob auch die Mainzer Mitarbeiter derzeit an ihre Grenzen kommen, beantwortet die Stadtverwaltung auf eine Merkurist-Anfrage hin zwar nicht, die Pressestelle teilt aber mit: „Wie andere Kommunen bundesweit ist auch das Amt für Jugend und Familie in Mainz vom Fachkräftemangel betroffen.“ Seit etwa einem Jahr verbessere sich die Situation jedoch allmählich, die Bewerberlage sei besser geworden, mehr Fachkräfte seien gewonnen worden. Zudem stünden weitere Einstellungen bevor. Herausfordernd sei weiterhin die Einarbeitung neuer Mitarbeiter. Da das Aufgabengebiet so komplex sei, wurde extra eine Stelle geschaffen. Im „Einarbeitungsmanagement“ kümmere man sich seitdem ausschließlich darum, neue Kollegen mit dem Gebiet vertraut zu machen.
Auf „notwendige und sinnvolle Hausbesuche“ müssten die Mitarbeiter aber nicht verzichten, versichert die Pressestelle. Dazu bestehe „kein Anlass“. Vorrang hätten demnach auch immer die Fälle des Kindesschutzes. „Zu Verzögerungen kann es bei Wünschen nach Beratung und bei der Terminvergabe kommen.“ Kinder und Jugendliche, die in Obhut genommen werden müssten, würden in Mainzer Schutzstellen versorgt und betreut. Säuglinge und Kleinkinder kämen in Bereitschaftspflegestellen unter. Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage, ob tatsächlich alle Kinder in Not in entsprechenden Einrichtungen unterkommen oder ob es auch in Mainz Probleme wie in anderen Städten gibt.
Kindeswohlgefährdungen: Kein Anstieg in Mainz
Hingegen teilt die Stadt mit, dass es hier im vergangenen Jahr nicht mehr Kinder gegeben habe als im Vorjahr, die akut gefährdet waren. Im Durchschnitt, so eine Sprecherin, werde das Amt zu 500 bis 550 „potentiell betroffenen Kindern“ im Jahr gerufen, davon seien aber ein Drittel Fehlalarme, bei einem weiteren Drittel seien lediglich eine Beratung oder Erziehungshilfen notwendig.
Vor allem versuche man in Mainz, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, so die Stadt-Pressestelle. „Die Zahl der zur Verfügung stehenden Fachkräfte kann den notwendigen Bedarf der Verwaltungen (aber auch privaten Träger) nicht decken.“ Dazu habe man in den letzten Jahren die Kampagnen zur Gewinnung von Fachkräften verstärkt. Auch sei die Zufriedenheit gestiegen, vor allem bei neuen Mitarbeitern.
Probleme in der Nachbarstadt werden häufiger
Konkreter zu der aktuellen Situation antwortet die Wiesbadener Bezirkssozialarbeit auf die Anfrage von Merkurist. Obwohl hier mit 90 Mitarbeitern deutlich mehr Menschen als in Mainz in der Kinder- und Familienarbeit tätig sind, gibt das Amt an, dass „sehr komplexe Problemlagen“ immer häufiger würden. Besonders heikel sei die Situation derzeit für Kinder in Not. Die Suche nach einem Platz in einer Einrichtung für Kinder und Jugendliche sei sehr aufwändig geworden. „Häufig muss bundesweit gesucht werden“, erklärt die Stadträtin.
Teilweise würden die jungen Menschen nur befristet aufgenommen und müssten den Platz nach einer Weile noch einmal wechseln. Auch gebe es immer weniger Familien, die bereit seien, einem Kind, das Unterstützung benötigt, ein Zuhause zu geben – es also als Pflegekind aufzunehmen.
Gleichzeitig haben sich in Wiesbaden die Meldungen von Kindeswohlgefährdungen im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Es sind also viel mehr Kinder dringend auf Hilfe angewiesen. „Kinderschutz und Jugendhilfe sind auf Dauer nur mit einer angemessenen Personalausstattung, die sich nach aktuell wissenschaftlichen Standards richtet, operativ haltbar“, sagt die Wiesbadener Stadträtin Dr. Patricia Becher gegenüber Merkurist.