Bauern und Lokführer üben Druck aus – Politiker üben sich in Versprechungen

Landwirte blockieren Straßen, Lokführer legen den Bahnverkehr lahm, Radelnde fahren auf dem Bürgersteig, Autofahrer blockieren Behindertenparkplätze und Politiker versprechen das Blaue vom Himmel. Hängt das alles zusammen? Ein Gastbeitrag.

Bauern und Lokführer üben Druck aus – Politiker üben sich in Versprechungen

„Entweder – Oder“ lautet die Devise der aktuellen Proteste von Landwirten und Lokführern. Entweder ihr, die Regierung, nehmt die Subventionskürzungen zurück oder wir, die Landwirte blockieren weiter Straßen und Autobahnauffahrten. Claus Weselsky, Chef der Lokführergewerkschaft GDL, meint, entweder 35 Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich oder wir streiken weiter. In dieser Woche sind weitere 6 Tage Streik angekündigt. Die Proteste von Landwirten und Lokführern sind legitim – wie sollen Ansprüche von Arbeitnehmern durchgesetzt werden, ohne Streik? Wie sollen Landwirte ihre Forderungen unter die Leute und an die Adressaten bringen, wenn sie nur zu Gesprächen ins Landwirtschaftsministerium eingeladen werden, bei denen nichts herauskommt und die von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden? Ob diese harte Entweder-Oder-Haltung hilft, Ziele zu erreichen, bleibt abzuwarten. Nachvollziehbar ist sie. Nach jahrelangem Hinhalten ist den Landwirten der Kragen geplatzt. Den Beteuerungen der Politiker, „Wir haben verstanden“ oder „Wir kümmern uns darum“ glaubt kaum noch jemand. Von Kommissionen und Arbeitsgruppen wird nichts mehr erwartet.

Dieser Tage werden die Ergebnisse der „Borchert-Kommission“ mal wieder ausgegraben. Es geht um das Tierwohl. Ex-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hatte sich diesem Thema besonders gewidmet. Cem Özdemir (Grüne) soll es jetzt als Landwirtschaftsminister endlich realisieren – fünf Jahre liegen zwischen der Ankündigung Klöckners und dem Umsetzungswunsch Özdemirs. Eine lange Zeit. Im politischen Gefüge aber normal. Es gibt dafür viele sachliche Gründe. Sie fangen bei konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen von EU, Bund und Ländern an, gehen über mangelndes Personal bis hin zu unterschiedlichen politischen Absichten. Angekündigt wird landauf und landab. Vieles ist in Koalitionsverträgen festgehalten. Wenn dann endlich Taten folgen, erinnert sich kaum noch jemand an die Ankündigungen.

Die Radikalität, mit der Forderungen vom Bauernverband und der GDL vorgetragen werden, die aggressive Sprache und das entsprechende Auftreten sind gewöhnungsbedürftig. Obwohl, sie haben schon lange Einzug in unserer Alltagsleben gehalten. Autofahrer, die Fußgänger von der Straße hupen oder aufs Lenkrad eindreschen, weil der Vordermann an der Ampel keinen Blitzstart hinlegt, Radfahrer, die Fußgänger aus dem Weg klingeln, Fußgänger, die ohne Blickkontakt mit anderen quer über die Straße laufen: Ich! Ich! Ich!

Dabei leben wir in Mainz noch auf einer „Insel der Glückseligen“. Die harten gesellschaftlichen Kontroversen zwischen Arm und Reich, sind hier (noch) nicht sichtbar; vieles wird (noch) abgefedert durch Geld, das die Stadt ausgeben kann. Allerdings stürzen die finanziellen Höhenflüge gerade ab: Geringere Einnahmen aus der Gewerbesteuer, weniger Landes- und Bundeszuschüsse. Dennoch wird auch im anstehenden Wahlkampf wieder viel versprochen. Warum eigentlich? Die Ortsbeirats- und Stadtratsmitglieder wissen um die finanzielle Situation, sie können Gutachten einsehen, haben Zugang zu Bedarfsermittlungen – mithin Einblick in die sachlichen Grundlagen. Sie müssten doch wissen, was zu realisieren ist. Trotzdem werden immer wieder Wolkenkuckucksheime auf den Wahlplakaten versprochen. Weil die Wählerinnen sich mit Phrasen und Slogans überzeugen lassen?

Im Koalitionsvertrag, den die Mainzer Grünen, SPD und FDP 2019 geschlossen haben, steht auf S. 11/12: „Durch die KLIMAPRAX-Studie wird die Problematik der Erwärmung der Stadt illustriert. Das Fünf-Finger-Prinzip mit seinen Frischluftschneisen bildet ein wichtiges Gerüst zum Schutz des innerstädtischen Klimas, sollte aber durch den Schutz von Kaltluftentstehungsgebieten erweitert werden.“

Kaltluftentstehungsgebiete erweitern? Eines der vorhandenen Areale, die Kaltluft in Richtung Innenstadt lenken liegt dort, wo in den kommenden Jahren auf 50 Hektar bislang landwirtschaftlich genutzter Fläche der letzte Teil des Biotechnologie-Campus gebaut werden soll. Kaltluft und Frischluft müssen sich dann um die Gebäude herum in Richtung Innenstadt bewegen – und bleiben schon am Gebäuderiegel auf dem Kisselberg hängen. Die Mehrheit im Stadtrat und Stadtvorstand hat entschieden, Mainz wird zum führenden Biotechnologie-Standort ausgebaut. Dass diese Möglichkeit besteht, war von fünf Jahren nicht absehbar und die politische Prioritäten mussten verändert werden: klimapolitische Ziele, wie die Erhaltung von Frischluftschneisen und die Erweiterung von Kaltluftentstehungsgebieten, spielen jetzt nur noch eine nachgeordnete Rolle. Hohe Gewerbesteuereinnahmen haben Vorrang.

Ob die Menschen in Mainz das wollen, wird nicht diskutiert. Dass die Entscheidung für die Bebauung dem Willen, die Folgen des Klimawandels in Mainz zu reduzieren, zuwiderläuft mag niemand der politischen Entscheidungsträger offen zugeben. Ein Verhalten, das an der Glaubwürdigkeit von Politikern nagt. Auch die Kandidatinnen für die Kommunal- und Europawahl im Juni 2024 werden wieder mit Slogans für sich werben, in denen es um den Klimaschutz geht. Wer glaubt ihnen noch?

Zum Glück für unser demokratisches System scheinen nach wie vor viele Mainzer und Mainzerinnen vom Sinn eines Urnengangs überzeugt zu sein: Sie gehen wählen, wohl wissend, dass der größte Teil der Wahlversprechen nicht umgesetzt wird. Hoffentlich lässt sich dieser Teil auch für die Kommunal- und Europawahl im Juni wieder mobilisieren.