Als Worms von einem Skandal-Prozess erschüttert wurde

Vor 30 Jahren begann vor dem Landgericht Mainz das Strafverfahren zum größten Missbrauchsprozess der deutschen Rechtsgeschichte. Was damals passiert ist, haben wir euch hier zusammengefasst.

Als Worms von einem Skandal-Prozess erschüttert wurde

Anfang der 1990er Jahre wurden insgesamt 25 Menschen aus Worms und Umgebung angeklagt, Teil eines Kinderschänder-Rings zu sein. In drei Prozessen, von 1993 bis 1997, wurden die mutmaßlichen Vorfälle juristisch aufgearbeitet. Am Ende der Verfahren wurden jedoch alle Angeklagten freigesprochen.

Die Angeklagten

Angefangen hatte alles mit einem Sorgerechtsstreit im Zusammenhang mit der Scheidung eines Wormser Ehepaars. Die Ehefrau warf ihrem damaligen Mann vor, die gemeinsamen Kinder sexuell missbraucht zu haben. Die Großmutter der beiden Kinder wandte sich damals an einen sozialen Verein, der sich gegen sexuelle Gewalt einsetzt. Eine Mitarbeiterin des Vereins befragte die Kinder und kam zu dem Schluss, der später von einem Kinderarzt bestätigt wurde, dass die beide Minderjährigen sexuell missbraucht wurden.

Diese Anschuldigung führte dazu, dass insgesamt 25 Personen aus dem Familien- und Bekanntenkreis der Kinder beschuldigt wurden, 16 eigene oder fremde Kinder missbraucht zu haben. In den drei Hauptverfahren, Worms I, II und III, wurden sieben Familienmitglieder der geschiedenen Frau, 13 Personen aus der Familie ihres Ex-Mannes und fünf Personen aus dem weiteren Umkreis der beiden Kinder angeklagt.

Die mutmaßlichen Opfer

Die 16 Kinder wurden für die Dauer der Prozesse in verschiedenen Kinderheimen untergebracht. Einige von ihnen kehrten auch nach dem Freispruch nicht in ihre Familien zurück, berichtete der „Spiegel“ 1997.

Mehrere Kinderärzte und Gutachter sowie die Angestellte des sozialen Vereins interpretierten die Handlungen und Aussagen der Kinder anders als sie tatsächlich vorkamen. Weiter schrieb der „Spiegel“ 1997, dass ein Arzt unter anderem seine Einschätzung fällt, ohne das betroffene Kind selbst untersucht zu haben. Zusätzlich wurden den Kindern durch suggestive Fragestellungen Antworten in den Mund gelegt, die nicht dem Erlebten der Kinder entsprachen.

Die Frankfurter Anwältin Anne Patsch schreibt auf ihrer Webseite dazu, dass die Aussagepsychologie damals fehlerhaft gewesen sei und durch „suggestive Befragungsmethoden“ die befragten Kinder in ihrer Aussage manipuliert wurden.

Sechs Kinder wurden in dem Ramser Kinderheim „Spatzennest“ untergebracht. Dort wurde sie vom Heimleiter manipuliert, auch „nutzte er die Hilflosigkeit der Kinder scharmlos aus“, heißt es einem „ZDF“-Beitrag

Die Folgen

Der betroffene Verein trennte sich von seiner Mitarbeiterin, die laut der „Berliner Zeitung“ nach wie vor von ihrem Vorgehen überzeugt war. Die Lebensqualität von vielen Betroffenen war weiter eingeschränkt, so wurde eine beteiligtes Mädchen von einem Sportverein abgelehnt und ein freigesprochener Mann verlor ein Jobangebot, so der „Spiegel“.

Die „taz“ kritisierte 1998, dass die falsche Anklage in Mainz dazu geführt habe, dass tatsächliche Sexualstraftäter sich nun sicher fühlen würden, ganz nach dem Motto „In Worms wurde niemand verurteilt, also habe ich auch nichts gemacht“.

Unter anderem aus diesem Grund entschuldigte sich die Staatsanwaltschaft damals bei allen Beteiligten. Der Vorsitzende Richter, Hans Lorenz, sagte damals: „Bei allen Angeklagten, für die ein langer Leidensweg zu Ende geht, haben wir uns zu entschuldigen.“

Eines der betroffenen Kinder, die später auch im Spatzennest waren, erzählt in dem ZDF-Beitrag, dass es erst seit 2023 wieder regelmäßigen Kontakt zu seiner Mutter hat. Dadurch würde sie jetzt erst merken, wie sehr sie sich eine normale Kindheit gewünscht hätte.