„Nähern wir uns jetzt New Yorker Verhältnissen?“ – diese Frage zierte einen Wiesbadener Fastnachtswagen, als in den 1950er Jahren der neue Hauptsitz des Statistischen Bundesamts (Destatis) am Gustav-Stresemann-Ring gebaut wurde. Das zumindest verrät Destatis-Vizepräsident Christoph Unger. Zum 75-jährigen Bestehen erzählen er und Präsidentin Ruth Brand von der Geschichte des Amtes und seines „Wolkenkratzers“ in Wiesbaden.
Ein „Wolkenkratzer“ für Wiesbaden
Das Statistische Bundesamt selbst wurde am 21. Januar 1948 in Wiesbaden gegründet, dem Zentrum der britischen und amerikanischen Besatzungszone nach dem Zweiten Weltkrieg – damals allerdings noch als „Statistisches Amt des Vereinigten Wirtschaftsgebietes“. Zum „Statistischen Bundesamt“ wurde es dann 1950, ein Jahr nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. „Wir sind älter als die Bundesrepublik selbst“, so Unger.
Nachdem die Behörde zunächst behelfsmäßig in verschiedenen Gebäuden in ganz Wiesbaden untergebracht war, begann 1953 der Bau eines eigenen Verwaltungsgebäudes am Gustav-Stresemann-Ring. Und der sorgte für Furore. Zwar war der Neubau mit 55 Metern Höhe nur das zweithöchste Gebäude hinter der knapp 89 Meter hohen Marktkirche. Die wuchtige Konstruktion aus Stahl und Glas, das wohl erste Hochhaus dieser Bauart in ganz Deutschland, erschien den Wiesbadenern damals dennoch als „Wolkenkratzer“. Dieses Wort fällt zumindest in der Festschrift zur Einweihungsfeier am 1. März 1956.
Von Modernität zu Kernsanierung
Ob er nun Faszination oder Angst vor „New Yorker Verhältnissen“ auslöste: Der neue Hauptsitz des Statistischen Bundesamts stand für Modernität, Fortschritt und effiziente Arbeitsweise. Rund 2000 Arbeitsplätze fanden in den 650 Büroräumen Platz, verteilt auf 14 Stockwerke. 13 davon konnten mit Paternoster-Aufzügen erreicht werden, das „Kasino“ sollte den Beschäftigten eine komfortable Mittagspause ermöglichen. Vom obersten Stockwerk aus blickte man – und tut es auch heute noch – über ganz Wiesbaden, den Rheingau und den Taunus.
Doch was anfangs modern war, blieb es nicht immer. Wo in den 50er Jahren noch sogenannte Hollerithanlagen Lochkarten zählten, wurden in den 70er Jahren die ersten Computer eingebaut. In den 2000er Jahren, etwa 50 Jahre nach der Einweihung, wurde schließlich das gesamte Gebäude kernsaniert – unter strengen Auflagen, denn seit 1995 steht es unter Denkmalschutz.
Historisches Überbleibsel: Paternoster-Aufzüge
Nicht nur nach außen, sondern vor allem in der Arbeitsweise sei es für das Statistische Bundesamt wichtig, mit der Zeit zu gehen, erklärt Destatis-Präsidentin Brand. Ob Arbeit mit Künstlicher Intelligenz oder eigene Kanäle auf Social Media: Das Amt wolle mit unabhängigen Daten weiterhin eine Grundlage für Wissenschaft, Politik und gesellschaftliche Debatten bieten und gegen Desinformation und Fake-News ankämpfen. „Wir erschließen neue Felder“, so Brand. „Und die müssen wir auch erschließen.“
Was jedoch bis heute geblieben ist, sind die Paternoster-Aufzüge im Wiesbadener Hauptsitz. „Heute sind das nicht mehr die schnellsten“, räumt Destatis-Vizepräsident Unger ein. „Damit haben wir auch häufiger Probleme.“ Auch, wenn sie nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind: Eine Attraktion sind sie allemal. Abgesehen von den Paternoster-Aufzügen im Industriepark Kalle-Albert in Biebrich und bei SOKA-Bau in Kastel sind es die letzten in Wiesbaden. Auch heute noch erinnern sie an die Anfangszeit der Bundesrepublik und eine Zeit voller Umbrüche – und das mitten in Wiesbaden.