Als Jugendlicher dealte Maximilian Pollux mit Drogen und beging Raubüberfälle. Schon in seinem ersten Interview mit Merkurist sprach er offen über seinen Weg vom Gangster zum Autor und Gründer des Vereins SichtWaisen e.V., mit dem er Jugendliche wieder auf die rechte Bahn bringen will, damit sie nicht das werden, was er einst war: Straftäter. Heute ist er auch erfolgreicher Autor und Youtuber. Im September erscheint sein neues Buch Gefährliches Ego, in dem er sich mit Narzissmus und dessen Rolle in bekannten Kriminalfällen auseinandersetzt. Wir haben mit ihm über das neue Buch, Narzissmus und seine Wahlheimat Mainz gesprochen.
Merkurist: In deinem Buch schreibst du, dass du dich in diesem Text auf eine Reise in dein Innerstes begibst. Was hat es bedeutet, diesen Weg nicht nur für dich selbst zu gehen, sondern ihn mit einer großen Leserschaft zu teilen?
Maximilian Pollux: Das Gute ist, ich mache das schon seit vielen Jahren. Ich hatte eine Traumastörung, an der habe ich gearbeitet, indem ich so viel vor Menschen darüber geredet habe, bis es mir selbst nicht mehr wehgetan hat. Und dabei habe ich gelernt, dass man sich auf diese Art selbst heilen und anderen Menschen helfen kann.
Beim Schreiben deines neuen Buches hast du festgestellt, dass auch du unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidest. Wenn du heute zurückblickst: In welchen Situationen hat sich diese Persönlichkeitsstörung in der Vergangenheit bereits gezeigt?
Es leiden ja vor allem die anderen darunter. Der Leidensdruck entsteht meist zuerst bei anderen Menschen. Und ich glaube, dass es keine einzige Handlung in meinem Leben gab, die nicht davon betroffen war.
Wie beeinflusst der Narzissmus denn Beziehungen zu deiner Familie, zu Freunden oder auch zu Jugendlichen, mit denen du heute arbeitest?
Ich bin sehr froh zu sehen, dass mein Umfeld schon lange vor mir wusste, wer ich bin. Also der Einzige, der von der Diagnose überrascht war, war ich. Mein ganzes Umfeld wusste das. Jetzt, wo ich die Diagnose habe, merke ich es wirklich bei allem. Ich merke, viele Dinge sind einfach nicht in Ordnung, wie ich sie sehe oder wie ich sie mache. Ich habe zum Beispiel immer gedacht, dass jeder andere auch mit dieser narzisstischen Tendenz denkt. Und jetzt merke ich, dass es nicht so ist. Dass es manchen Leuten gar kein Bedürfnis ist, auf einer Bühne zu stehen, im Mittelpunkt zu sein oder ständig gelobt zu werden, für das, was sie tun. Das wusste ich nicht. Das hilft mir natürlich jetzt sehr, dass ich die Menschen so sehen kann, wie sie sind und nicht mehr so, wie ich denke, wie sie sind.
Gab es im Gefängnis einen Wendepunkt, an dem du entschieden hast: „So will ich nicht weitermachen“?
Es gab während meiner Zeit im Gefängnis einige Erlebnisse, die mir dabei geholfen haben, mich zu lösen. Ich wollte Gangster sein. Und im Gefängnis habe ich dann gesehen, was wirklich dahintersteckt. Wie viel Schaden du anrichtest. Nicht nur für dich, sondern auch bei deinem Umfeld oder bei anderen Menschen. Und im Endeffekt hat mir das Gefängnis gezeigt, dass vieles von dem, was ich glorifiziert habe, einfach nicht der Wahrheit entspricht. Ich dachte, in einer Welt, die so ist, wie ich sie erlebt habe, sitzen die guten Leute im Gefängnis. Ich dachte mir, wie kann das sein, dass Leute in Waffenfirmen investieren, Geld verdienen, indem sie Aktien kaufen von einem Rüstungskonzern, der davon profitiert, wenn es Krieg gibt? Wieso bin ich dann falsch, wenn ich Drogen verkaufe? Ich konnte das nicht sehen. Und im Gefängnis habe ich dann gesehen: Egal, was die anderen machen, du bist hier. Und das, was du getan hast, ist nichts Positives.
In unserem letzten Interview hast du auch gesagt, dass der Staat nicht wirklich hilfreich bei deiner Resozialisierung war. Merkst du, dass deine Arbeit im Verein SichtWaisen e.V. auch in dieser Hinsicht etwas verändert?
Ich habe das Gefühl, dass die staatlichen Stellen weniger Vorurteile haben, gegen meine Art zu helfen. Wir arbeiten mittlerweile mit dem Mainzer Jugendamt eng zusammen. Ich habe erst dieses Jahr vor dem Justizminister hier in Mainz eine Rede halten dürfen. Das ist schön, das ist eine gute Entwicklung. Und ich meine, der Erfolg gibt uns recht. Wir arbeiten in einem Grenzbereich, in dem Erfolg nicht heißt, dass Jugendliche, die wir betreuen, dann morgen Steuerberater werden, das ist nicht möglich. Sondern bei uns geht es in ganz kleinen Schritten, um eben ein Leben außerhalb der Gesellschaft bei diesen Menschen zu verhindern. Wir haben es mit Leuten zu tun, bei denen es ein Erfolg ist, wenn wir die nur dazu bekommen, aktiv ihre Zukunft mitzugestalten, aktiv an dieser Gesellschaft teilzuhaben. Ich glaube, früher, die althergebrachte Hilfe war so: „Ja, dann machen wir das jetzt lang genug und dann haben die so und so zu funktionieren“. Und sie werden so nie funktionieren. Wir arbeiten mit viel weniger Erwartung. Es geht meistens nicht darum, dass die Leute schnell einen Job finden, sondern es geht darum, dass sie keine Scheiße bauen und, dass sie gesund werden, denn die Allermeisten haben Vorerkrankungen.
Also würdest du sagen, darin liegt auch das Problem in dem aktuellen Verfahren?
Nein, ich sehe das größte Problem beim Umgang mit solchen Jugendlichen darin, dass wir glauben, Strafe bringe mehr als Prävention. Und so handelt unsere Gesellschaft leider in tausend Dingen. Ob das der Klimawandel ist, wo wir denken, naja, wir können ja dann später das und das machen, anstatt dass wir vorher verhindern, dass es dahin kommt. Was ist besser? Ein Gefängnis zu bauen, wo wir mehr Jugendliche reinbringen oder zu verhindern, dass mehr Jugendliche ins Gefängnis kommen? Wir geben viel mehr Geld aus für Strafverfolgung als für Prävention. Das ist ein großes Problem. Und man kann es auch an Zahlen messen: Wir wissen, Jugendliche Intensivstraftäter kosten, bis sie Mitte 20 sind, knapp eineinhalb Millionen Euro an sozialen Folgekosten. Überleg mal, wie viel Geld das ist. Wir müssen lernen, dass es besser ist, vorher etwas zu investieren, als hinterher einen Brand zu löschen.
Gibt es denn eine Geschichte aus deiner Arbeit mit Jugendlichen, die dir bis heute besonders nah geht?
Nehmen wir den ersten Fall, den ich hier in Mainz hatte. Das war eine Mutter, die einen Sohn hatte, der zuhause gewalttätig wurde, langsam, Schritt für Schritt. Er hat angefangen, die Türen zu knallen, die Schränke zu schlagen, dann irgendwann ist mal eine Tasse geflogen und es war nur eine Frage der Zeit, bis er die Hand gegen seine Mutter erhebt. Sie hatte sich gemeldet und wir haben uns getroffen, hier in Mainz am Rhein. Dieser Junge kam und hat sich hingesetzt und ich habe ihn gefragt: „Weißt du, warum ich hier bin?“. Und er hat gesagt: „Ja, du willst mir jetzt erzählen, dass das alles scheiße ist, was ich mache und dass es im Knast scheiße ist und dass ich mein Leben ändern soll.“ Und dann habe ich gesagt: „Nein, ich bin hier, weil deine Mutter Angst vor dir hat.“ Und dann hat er angefangen zu weinen. Innerhalb eines Satzes. Ab diesem Tag haben wir zusammengearbeitet und er ist heute straffrei, ist nicht ins Gefängnis gegangen. Er hat ein gutes Verhältnis zu seiner Mutter und hat selbst Kinder mittlerweile. Das war ein einziger Satz. Ich glaube, von niemandem hätte er diesen Satz so annehmen können, wie von jemandem mit meiner Vergangenheit.
Du bist von Nürnberg nach Mainz gekommen. Was macht Mainz für dich besonders im Vergleich zu anderen Städten?
Für mich ist Mainz die beste Mischung aus einer Großstadt und einem lokalen Charakter. Ich bin in der Neustadt und muss die gar nicht verlassen, ich fühle mich komplett wohl dort. Ich finde, man kann hier am Wochenende leben und hat nicht das Gefühl, dass man jetzt direkt auf jede Party muss, wie das jetzt in Berlin wäre. Also ich kann hier ein Wochenende verbringen ohne Angst zu haben, etwas zu verpassen. Ich kann aber trotzdem, wenn ich wegwill, auch weggehen. Also ich finde hier ist es eine wunderschöne Mischung aus Stadt und Land. Die Menschen hier sind für einen Bayer extrem freundlich. Ob das die Nachbarschaftlichkeit ist, ob das im Straßenverkehr ist, alles. Also ich finde, die Leute sind hier einfach freundlicher als da, wo ich herkomme.
Gibt es Orte in Mainz, an denen du Erholung und Ruhe findest?
Ja, am Rhein. Egal wo. Wenn du aus einer Stadt kommst, die nur irgendwie so ein kleines Rinnsal als Fluss hat, oder einen Kanal, dann ist natürlich der Vater Rhein ein beeindruckender Fluss. Am Fluss zu sitzen und die Gedanken so wegziehen zu lassen, finde ich sehr angenehm. Ist mir lieber als das Meer, ist mir lieber als alles. Finde ich sehr schön.
Wenn du an die Jugendlichen in Mainz eine Botschaft weitergeben könntest, welche wäre das?
Das würde ich nicht nur an die Jugendlichen in Mainz richten, das ist eigentlich grundlegend: Ihr seid hier nicht zu Gast. Ihr lebt hier. Das ist eure Stadt. Und dieses Gefühl, dass ihr hier nur Gast seid, legt das ab. Lernt teilzuhaben. Lernt, die Straße, auf der ihr jeden Tag geht, mitzugestalten. Das hier ist eure Stadt.
Was bedeutet dir Mainz inzwischen? Ist es Heimat, Bühne, oder Neuanfang?
Es ist nach wie vor Neuanfang. Ich bin kein Fan von dem Heimat-Begriff, einfach weil ich so oft umgezogen bin und dann ja zehn Jahre irgendwo wohnen musste, wo ich gar nicht wohnen wollte. Und deswegen finde ich, ist Mainz nach wie vor Neuanfang und steht auch irgendwie für alles, was gut geklappt hat.