Ex-Gangster Maximilian Pollux: „Ich habe mich in Mainz verliebt“

Früher Gangster, heute hilft er in Mainz Jugendlichen: Maximilian Pollux hat einen ungewöhnlichen Lebensweg. Im Interview erzählt er von Angstzuständen, seinem Verein „Sichtwaisen“ und seiner Liebe zu Mainz.

Ex-Gangster Maximilian Pollux: „Ich habe mich in Mainz verliebt“

Als Jugendlicher dealte Maximilian Pollux (37) mit Drogen und Waffen, beging Raubüberfälle. Insgesamt zehn Jahre saß er dafür in Bayern im Gefängnis. Inzwischen lebt Pollux in Mainz, ist erfolgreicher Autor, Youtuber und hat seinen eigenen Verein gegründet: „SichtWaisen e.V.“. Der Jugendhilfeverein widmet sich den Schwerpunkten Kriminal-, Gewalt- und Drogenprävention. Pollux reist durch Deutschland, geht in Schulklassen, gibt Workshops zur Prävention von Straftaten und versucht, Jugendliche von einem Leben ohne Kriminalität zu überzeugen. Im Merkurist-Interview spricht er über die Schwierigkeiten durch Corona, seinen Umzug nach Mainz und seinen Weg aus der Kriminalität.

Hallo Maximilian, dein Werdegang vom Gangster zum Mentor, der anderen dabei hilft, nicht auf die schiefe Bahn zu geraten, ist bundesweit bekannt geworden. Nach all deinen persönlichen Entwicklungen: Wie viel vom Jugendlichen Maximilian Pollux steckt heute noch in dir?

Es ist noch viel von dem da, was vorher in mir gesteckt hat. Der Wunsch nach Abenteuer, spannende Menschen zu treffen, zu reisen, heute nicht genau zu wissen, wo ich morgen bin – in mir ist ein riesiger Anteil, der danach schreit. Oder der Idealist in mir, der nach einer Gang, einer Familie schreit, die zusammenhält, wo auch gilt: ein Mann ein Wort. Das sind Sachen, die ich in der kriminellen Welt gesucht und nicht gefunden hab, die ich mir jetzt gerade aufbaue.

Gibt es in deinem Alltag Momente, in denen Traumata hochkommen oder sich Angstzustände zeigen, die sich durch deine Zeit damals entwickelt haben?

Durchaus. Das sind die Folgen, die mein damaliger Lebensstil mit sich bringt. Ich leide unter einer diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung und habe damit täglich zu kämpfen. Sei es, wenn ein Jogger von hinten kommt und ich merke, jemand rennt hinter mir, oder wenn ich Kopfhörer aufhabe und mir kommt jemand nahe – dann denke ich sofort, ich werde angegriffen. Oder der Klassiker: Zwei Männer nähern sich mir und ich denke sofort, dass es die Kriminalpolizei ist.

Du hast in einem deiner Videos erzählt, dass es vor deiner Haftentlassung keinerlei Vorbereitung für das gab, was draußen auf dich zukommt. Denkst du, das ist ein Grund dafür, dass Ex-Häftlinge wieder straffällig werden?

Ja, ich denke aber auch, dass ich es persönlich einfach so wahrgenommen habe. Die Sachen, die gemacht wurden, wie ein Antigewalttraining in Haft, gingen einfach an mir vorbei. Dazu hatte ich keinen Bezug. Die Gefängnisse geben sich nicht wirklich Mühe, aber es gibt auch Grenzen bei der Vorbereitung. Stellt euch vor, ihr lebt auf einer Raumstation auf dem Mars und man soll euch auf ein Leben auf der Erde vorbereiten – wie könnte man das vernünftig machen? Ich glaube aber, hier in Rheinland-Pfalz werden die Entlassungsvorbereitungen besser gemacht als in Bayern.

„In Rheinland-Pfalz steht die Resozialisierung vorne.“

Inwiefern?

Jedes Land hat sein eigenes Strafvollzugsgesetz. Im bayerischen Gesetz steht an erster Stelle der Schutz der Allgemeinheit – deine Resozialisierung ist nicht das, was wirklich wichtig ist, sondern, dass du lange eingesperrt bleibst. In Rheinland-Pfalz steht die Resozialisierung vorne.

„Mir hat am meisten die Familie geholfen“

Was hat dir am Ende geholfen, um nicht mehr straffällig zu werden?

Der Staat hat mir gar nicht geholfen, außer mit Hartz IV, sodass ich Essen hatte. Ich wurde direkt nach der Entlassung als arbeitsunfähig eingestuft. Das war für mich tatsächlich wichtig, weil ich im ersten Jahr diese Zeit gebraucht habe. Ich war so überfahren von allem. Es hatte keine sozialen Medien gegeben, als ich eingesperrt wurde, keine Touchscreens. Mir hat dann am meisten die Familie geholfen. Die hat mir den Rücken emotional freigehalten und ein Dach über den Kopf gegeben. Ich musste nicht allein sein. Und dann habe ich innerhalb des ersten Jahres meine Frau kennengelernt, die war ein großer Faktor für mich.

Die Menschen brauchen Selbstwertsäulen, wenn sie entlassen werden. Mir hat auch Sport geholfen. Den konnte ich im Knast machen und nach der Entlassung. Dann muss man sich aber neue Säulen dazubauen, damit man nicht in alte Muster verfällt und wieder Straftaten begeht, wenn die Säule Sport zum Beispiel durch eine Verletzung wegfällt. Familie, Job, Status, Hobby – all das hilft.

Dir hat deine Familie sehr geholfen. Trotzdem bist du nach Mainz gezogen. Warum?

Das hatte hauptsächlich mit meiner posttraumatischen Belastungsstörung zu tun. Das massive Vorgehen der Polizei auf den Straßen in Städten wie Nürnberg und München hat bei mir ständig Panikattacken ausgelöst. Ein Freund von mir wurde verhaftet, wegen einer Sache, die er gar nicht begangen hat – einfach, weil er ins Bild gepasst hat. Ich hatte ständig Angst, dass mir das auch passiert und hatte das Gefühl, mir wird dort keine Chance gegeben. Deshalb bin ich sofort wieder in alte Muster gefallen. Ich musste mir einfach auch einen neuen Freundeskreis aufbauen, um da rauszukommen. Deshalb kann ich jedem einen Ortswechsel empfehlen.

„Mainz? Ich habe mich in die Stadt verliebt“

Und warum ging es konkret nach Mainz?

Eigentlich war es mehr Zufall, meine Frau hat in Mainz studiert und deshalb haben wir uns dafür entschieden, hier eine Wohnung zu suchen. Ich war davor noch nie in Mainz, bin dann für den Umzug hergekommen und habe mich verliebt. Vorher schon in die Frau und dann in die Stadt.

Inwiefern hat dir Mainz geholfen, dein Leben umzukrempeln?

Ich bin als Jugendlicher in Bayern jeden Tag von der Polizei kontrolliert worden – manchmal zwei Mal. Hände aus den Taschen, an die Wand stellen, Hose runter, Schuhe ausziehen – jeden einzelnen Tag. Ich bin hier nach Mainz gekommen und bin in fünf Jahren nicht ein einziges Mal in eine Personenkontrolle geraten. Das hat natürlich auch mit dem Alter zu tun, ich bin nicht mehr die Zielgruppe. Aber es wird hier auch einfach nicht so gemacht. Es ist ein himmelweiter Unterschied, wie freundlich und offen die Menschen hier sind. Ich kannte das nicht, ich komme aus Franken. Bei uns ist „basst scho“ ein überschwängliches Lob. Die Mentalität ist hier so viel freundlicher und offener. Mir kommt es sogar so vor, als wäre das Wetter hier besser. Ich bin ein Riesen-Fan von Mainz. Wenn ich an meine Heimat denke, habe ich einen grauen Himmel im Kopf und hier ist er hellblau.

Bei all dem Schönen, was du über Mainz sagst: Wie schätzt du die Kriminalität hier ein?

Mainz ist eine sehr sichere Stadt. Das spürt man auch. Ich wüsste nicht, dass man schlechte Gefühle haben muss, wenn man nachts unterwegs ist. Orte wie die Neustadt, die mal einen schlechten Ruf hatte – also bitte. Hier sind mehr Väter mit Man Bun, die einen Kinderwagen schieben, als alles andere. Die Polizei macht hier einen guten Job. Was Mainz auch sehr hilft, ist Frankfurt. Die Leute, die wirklich Mist machen wollen oder ein Drogenproblem mitbringen, warum sollten die hier in Mainz rumhängen, wenn sie in 30 Minuten in Frankfurt sind?

In Mainz hast du deinen Verein „SichtWaisen“ gegründet. Du fährst zum Beispiel in Schulen und versuchst, Jugendliche davon zu überzeugen, auf dem rechten Weg zu bleiben. Hast du dabei ganz konkrete Erfolgserlebnisse?

Prävention ist schwer zu messen. Ich kann nicht sagen, dass etwas nicht passiert ist, weil der Jugendliche mich getroffen hat. Ich habe aber schon einige Kriterien, an denen ich den Erfolg messe: Machen die Jugendlichen bei den Workshops mit? Denken Sie über das Gesagte nach? Bei Klienten, die ich enger betreue – das sind etwa eine Handvoll – ist wichtig: Bleiben sie sauber? Begehen sie keine Straftat? Die schönsten Geschenke sind aber die Tausende von Nachrichten, die ich als Reaktionen auf meinen Channel bekomme. „Du hast mich zum Nachdenken gebracht“, „Deine Videos haben mir geholfen“ oder „haben mich bestärkt auf meinem Weg“. Und wir kriegen täglich mehrere Nachrichten. Das ist schon toll.

„Vor einem Jahr war ich sehr glücklich – und dann kam Corona“

Wie hat sich deine Arbeit durch Corona verändert?

Vor einem Jahr war ich sehr glücklich, weil wir komplett ausgebucht waren. Und dann kam Corona. Ende März 2020 wurden uns alle Workshops abgesagt. Nach dem ersten Lockdown haben wir von vorne angefangen, wieder alles gebucht, einige Workshops konnten wir auch noch mit Maske durchführen – aber irgendwann mussten wir wieder absagen. Auch jetzt gibt es noch keine Planungssicherheit.

Aber: Ohne den Lockdown hätte es den Youtube-Channel nicht gegeben. Ich hätte vorher nicht gedacht, dass man Präventionsarbeit online machen kann. Aber eine befreundete Youtuberin sagte zu mir: Wenn ich es schaffe, die Leute online zu Situps und zu einer besseren Ernährung zu bringen, kannst du die Leute auch online überzeugen, das Messer zu Hause zu lassen und nicht mit Drogen zu dealen.

Wie schwierig ist der Lockdown für Jugendliche?

Extrem schwierig. Jeder Pädagoge, mit dem ich spreche, hat eine Verschlechterung durch den Lockdown gespürt. Es ist ganz einfach: Die Kids, die aus einem stabilen Elternhaus kommen, die üben jetzt Geige oder spielen abends mit ihren Eltern Gesellschaftsspiele. Die haben eine Wohnung oder ein Haus, in dem man sich aus dem Weg gehen kann. Da sind die Probleme marginaler. Aber Familien aus einem Brennpunkt, die sowieso eine zu kleine Wohnung haben, wo sich drei Brüder ein Zimmer teilen müssen, die haben jetzt große Probleme. Für diese Jugendliche waren Schule und Jugendhäuser ihre Zufluchtsorte. Die sind einfach weggefallen.

Das Interview führten Michelle Sensel und Ralf Keinath.

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