Kritische Infrastrukturen und Unternehmen werden angegriffen, Sabotage und Spionage nehmen zu. Fast drei Jahre nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sieht die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) eine „deutlich verschärfte“ Sicherheitslage in Deutschland. Das sagte sie nun gegenüber der Süddeutschen Zeitung.
Denn Deutschland ist nach den USA der größte Unterstützer der Ukraine. „Putin agiert absolut skrupellos“, so Faeser. Das zeige sich auch an den „Cyberangriffen oder Desinformationskampagnen“.
Schutzräume sollen ausgebaut werden
Man gehe daher von einer „erhöhten Bedrohungslage“ für Deutschland aus. Daher soll mit Unternehmen über einen besseren Schutz gesprochen werden. Im Innenministerium würden zudem Vorbereitungen für den Ausbau von Schutzräumen laufen, so die Ministerin. „Wir prüfen gerade, wie Keller in öffentlichen Gebäuden, Tiefgaragen oder U-Bahnhöfe als Schutzräume genutzt werden können.“ Faeser will ein System schaffen, mit dem die Menschen per Handy sehen können, wo sie in ihrer Nähe Schutz finden können.
Nach aktuellem Stand würde bei einem Angriff nur ein kleiner Teil der deutschen Bevölkerung in den bestehenden öffentlichen Schutzräumen unterkommen. Rund 480.000 Plätze gibt es laut dem Innenministerium lediglich noch.
Mehrzweckanlagen aus dem Kalten Krieg
In Mainz wurden zur Zeit des Kalten Kriegs an mehreren Stellen Räume errichtet, die bei Gefahr den Menschen Schutz boten: etwa Tiefgaragen, die im Bedarfsfall für den Autoverkehr gesperrt werden und als Schutzräume dienen, oder Privathäuser, deren Keller als Luftschutzraum ausgebaut werden. Solche Mehrzweckanlagen (MZA) gab es beispielsweise am Schlossplatz, am Proviantamt, am Schillerplatz oder in der Rheinallee.
Bunker befinden sich zudem am Großberg, an der Kreuzschanze (Oberstadt) sowie auf der Zitadelle. Das Fort Josef an der Universitätsmedizin und Philipp wurden im Zweiten Weltkrieg als Luftschutz vor Bomben genutzt. Am Bau hatte sich damals der Bund beteiligt.
Keine öffentlichen Schutzräume in Mainz
Doch nutzbar sind sie heute nicht mehr. „Es gibt im Mainzer Stadtgebiet keine öffentlichen Schutzräume“, teilte die Pressestelle vor einiger Zeit auf eine Merkurist-Anfrage mit. Denn verantwortlich für den Schutz der Bevölkerung vor den Folgen eines Kriegs sei weiterhin der Bund. Von den Ländern werde diese Aufgabe als „Auftragsangelegenheit“ wahrgenommen.
In den alten Bundesländern wurden 2000 öffentliche Schutzraumanlagen während des Zweiten Weltkriegs und bis in die 1980er-Jahre errichtet, heißt es beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Vor allem in Ballungsräumen wurden zusätzlich seit Mitte der 1960er-Jahre öffentliche Schutzräume errichtet, größtenteils – wie in Mainz – als Mehrzweckanlagen.
Schutzräume inzwischen in Privateigentum
Hier sollten mehrere Tausend Menschen im Fall von Flächenbombardierungen und beim Einsatz chemischer und nuklearer Waffen Schutz finden. Inzwischen befinden sich die meisten dieser Schutzräume im Privateigentum der Städte und Gemeinden. Doch modernisiert wurden sie seitdem nicht mehr. Hinzu kamen vom BKK geschätzte 9000 private „Hausschutzräume“ in der Bundesrepublik. Sie wurden vom Staat mit rund 55 Millionen Euro gefördert.
Als die Bedrohung nicht mehr akut war, habe der Bund das Thema Schutzräume nicht weiter verfolgt „und diese als entbehrlich angesehen“. Die Eigentümer der Anlagen konnten beantragen, diese aus der „Zivilschutzbindung zu entlassen“, heißt es von der Stadt Mainz weiter. Die speziellen Einbauten, mit denen die Tiefgaragen damals als Schutzräume umfunktioniert werden konnten, durften auf Kosten des Bundes also entfernt werden. In Mainz ist das etwa mit der Tiefgarage des Proviantmagazins in der Mainzer Altstadt geschehen.
Umrüstungen „kaum machbar“
Fraglich sei zudem, ob die noch bestehenden Mehrzweckanlagen überhaupt noch ausreichend Schutz bieten würden – allein aufgrund der fortschreitenden Waffenentwicklungen. So sei es auch „kaum machbar“, bestehende Tiefgaragen oder ähnliche Bauwerke umzurüsten. Der Bau wäre zu komplex und der Wartungsaufwand zu hoch.
Die Räume müssten mit massiven Decken und Wänden sowie druckfesten Türen so ausgestattet sein, dass sie ausreichend Schutz bieten. Auch technische Einbauten, etwa Luftfilter, Notstromgeneratoren, Klimaanlagen, Sanitäranlagen sowie Trinkwasserversorgung mittels unabhängiger Brunnen wären notwendig.
So sagt auch das BKK: „Schutzräume können der Bevölkerung keine ausreichende Sicherheit bieten.“ Denn die Sicherheitslage habe sich inzwischen sehr verändert, es gebe neue Bedrohungsszenarien, auch gehe man von einem „Schadenszenario ohne Vorwarnzeit“ aus. Stattdessen hat der Bund „im Einvernehmen mit den Ländern“ vor 15 Jahren das bisherige Konzept der Schutzräume aufgegeben. Sie stehen nun den Eigentümern, also den Städten und Gemeinden, zur freien Nutzung zur Verfügung.