Mainzerin will mit neuer App soziale Medien aufmischen

Social Media ohne Hass, Gewalt und Suchtgefahr: Dieses Ziel verfolgt Natalie Boll, Ehefrau des Mainzer Regisseurs Uwe Boll, mit ihrer neuen Plattform „Tribela“. Noch in diesem Jahr soll die Beta-Version an den Start gehen.

Mainzerin will mit neuer App soziale Medien aufmischen

Sicher für Jugendliche, aber nutzbar für alle: Die Plattform „Tribela“ soll bald die Social-Media-Welt aufmischen und eine „gesündere“ Alternative zu etablierten Plattformen wie Instagram, Facebook, TikTok oder Snapchat bieten. Hinter dem Start-up steckt Natalie Boll, Medien-Unternehmerin aus Kanada, Wahl-Mainzerin und Ehefrau des Mainzer Regisseurs Uwe Boll. Im Merkurist-Gespräch erzählt sie von ihren Plänen – und einer schmerzhaften Erfahrung, die alles ins Rollen brachte.

Mehr Kontrolle für die Nutzer

Das Konzept von Tribela: eine kostenlose Social-Media-Plattform, auf der Nutzer komplette Autonomie haben sollen. „Das bedeutet, dass sie mehr Kontrolle über ihre Erfahrungen haben – über das, was sie sehen, und darüber, wie sie auf der Plattform navigieren“, erklärt Natalie Boll. Konkret sollen User etwa im Vorhinein bestimmen, welche Inhalte sie sehen wollen. Wer zum Beispiel die Themen „Reisen“, „Mainz“, „Fitness“ und „Hunde“ angibt, bekommt auf seinem Feed auch nur entsprechende Beiträge angezeigt.

Der Datenschutz stehe bei Tribela ebenfalls im Vordergrund – insbesondere bei Jugendlichen. So sei beispielsweise bei jeder Registrierung auch eine Altersverifizierung nötig. Dabei gehe es vor allem darum, je nach Alter und Wohnort des Nutzers die konkreten Datenschutz-Vorschriften in der jeweiligen Region einhalten zu können. Ein anderer Aspekt zum Schutz der jüngeren Nutzer: Boll zufolge soll die App keine Suchtgefahr bieten. So gebe es im Feed keine endlose Scroll-Funktion und Videobeiträge würden nicht automatisch abgespielt, sondern müssten erst mit einem Klick aktiviert werden.

„Die großen Social-Media-Plattformen wurden dafür designt, extrem süchtig zu machen, ihre Nutzer zu manipulieren und persönliche Daten auszunutzen.“ Hinzu kämen gewaltreiche oder sexuell eindeutige Inhalte sowie Bots und anonyme Profile, die diese Inhalte verbreiten. All das soll bei Tribela gar nicht erst zugelassen werden. „Ich glaube, dass die meisten Plattformen heute für ein viel älteres Publikum gemacht sind.“ Mit ihrer App wolle sie sich hingegen an alle Altersgruppen richten. „Sozusagen der Familien-Channel der sozialen Medien.“ Dieser Aspekt spiegelt sich auch im Namen Tribela wider. Das Wort sei erfunden und soll eine weibliche Version von „tribe“ darstellen – was auf Deutsch „Volk“ oder „Stamm“ bedeutet. „Ich möchte Tribela zu einem sicheren und gesünderen Ort machen, der das Gefühl einer Gemeinschaft vermittelt.“

Gespräche mit Jugendlichen

Dass eine Plattform, die eine Abkehr von herkömmlichen Social-Media-Algorithmen verspricht, gerade deshalb für Jugendliche unattraktiv sein könnte, glaubt Boll nicht. Um herauszufinden, welche Funktionen Tribela haben sollte, habe sie zuvor mit Hunderten Jugendlichen aus Schulen in Kanada und in Deutschland gesprochen. Das Ergebnis: Jugendliche würden keinen Feed mit endloser Scroll-Funktion, automatisch abspielenden Videos und „ausbeuterischen Inhalten“ wollen. „Die Menschen schenken diesen Inhalten nicht deshalb Aufmerksamkeit, weil es gesund ist oder weil sie das wollen – sondern weil es extrem und fesselnd ist, wie bei einem Autounfall“, sagt Boll. „Und ständig werden neue manipulative Methoden angewandt, um den Autounfall noch spannender zu machen.“

Die Jugendlichen seien es schließlich gewesen, die sie auf die Idee der Nutzerautonomie gebracht hätten. Auch weitere Funktionen seien aus diesen Gesprächen entstanden. „Jugendliche lieben Do-it-yourself-Anleitungen, sie wollen Influencer und Tanzvideos sehen, mit ihren Freunden chatten oder selbst lustige Videos machen“, zählt Boll auf. Vielen sei es auch wichtig, interessante Produkte zu entdecken. „Sie lieben tatsächlich Werbung. Social Media ist das neue Einkaufszentrum.“

All das soll nun bei Tribela umgesetzt werden – mit einer Besonderheit: „Wenn wir uns in Zukunft mit Werbung befassen, dann werden es Marken sein, die unserem Ethos entsprechen“, verspricht Boll. „In anderen sozialen Medien gibt es inzwischen sogar Werbung für Drogenzubehör – sowas sollte nicht auf einer Plattform für alle Altersgruppen sein.“ Auch falsche Werbeversprechen und Betrugsmaschen wolle das Unternehmen nicht zulassen.

Idee länger gewachsen

Die Idee, eine eigene Social-Media-Plattform ins Leben zu rufen, sei Boll spontan gekommen. „Aber ich glaube, sie ist über einen sehr langen Zeitraum gewachsen.“ Über 20 Jahre lang arbeitete sie in der kanadischen Film- und TV-Branche und gründete in dieser Zeit auch ihr eigenes Unternehmen „Athene Films“. Dabei habe sie bereits viel mit Social-Media-Marketing zu tun gehabt und gelernt, wie man eigene Internetseiten programmiert. Auch als sie 2015 ihr eigenes Restaurant eröffnete, das „Bauhaus“ in Vancouver, habe sie das Social-Media-Marketing dafür übernommen. „Ich bin da richtig reingewachsen und wurde richtig gut darin“, sagt Boll. „Ich habe es geliebt!“ Ein Vorfall in ihrer Familie habe ihre Liebe zu Social Media dann jedoch in Luft aufgelöst.

+++ Warnung: Ab hier werden die Themen Cyber-Mobbing, Selbstverletzung und Suizid angesprochen. Wer sich diesen Inhalten nicht aussetzen möchte, kann die folgenden drei Absätze überspringen. +++

Gefahren anonymer Apps

„Vor einigen Jahren gab es eine sehr persönliche Erfahrung mit Cyber-Mobbing in meiner Familie“, sagt Boll. Insbesondere auf anonymen Q&A-Apps, auf denen Nutzer unerkannt Fragen stellen oder beantworten können, habe es bösartige Nachrichten gegeben. Zahlreiche Medienportale und Ratgeber im Internet warnen davor, dass anonyme Social-Media-Apps ein Nährboden für Online-Mobbing seien. Boll kann das nur bestätigen. „Auf diesen Apps fing es mit den wirklich schrecklichen Nachrichten an. Teilweise wurde es sehr gewaltreich – unter anderem mit Aufforderungen, sich selbst zu verletzen.“

Erst später habe Boll realisiert, dass die Aufforderungen zur Selbstverletzung nicht nur von anonymen Internetnutzern ausgegangen seien. Zeitgleich zum Mobbing auf den anonymen Plattformen hätten Apps wie Instagram immer mehr Inhalte ausgespielt, in denen es um Selbstverletzung ging – ungeachtet dessen, dass die Person vor dem Bildschirm minderjährig war. „Wenn ich über Selbstverletzungsinhalte spreche, ist vielen Leuten überhaupt nicht bewusst, was das bedeutet“, sagt Boll. „Aber als Triggerwarnung: Es wird wirklich explizit. Es kann nicht sein, das sowas im Feed eines Kindes auftaucht.“

Mit dieser Meinung ist Boll nicht allein. Weltweit für Aufsehen sorgte etwa der Fall von Molly Russell, die sich 2017 im Alter von 14 Jahren das Leben nahm und deren Vater soziale Medien dafür verantwortlich machte. Doch auch weitere internationale Suizid-Fälle bei Jugendlichen, die womöglich mit Social Media in Verbindung stehen, gehen immer wieder durch die Medien.

+++ Ende der Content-Warnung. Wenn ihr selbst depressiv seid oder ihr Suizid-Gedanken habt, dann kontaktiert bitte die Telefonseelsorge online oder über die kostenlosen Hotlines 0800 / 111 0 111 , 0800 / 111 0 222 oder 116 123. Die Deutsche Depressionshilfe ist in der Woche tagsüber unter 0800 / 33 44 533 zu erreichen. +++

Meta-Enthüllungen

Immer tiefer sei Boll daraufhin in die Recherche gegangen: zu Meta-Whistleblowerinnen wie Frances Haugen und Sarah Wynn-Williams, die Facebook und Instagram vorwerfen, schädliche Algorithmen bewusst nicht zu ändern, um mehr Profit zu machen. Vor allem Haugen habe Boll beeinflusst, doch auch Wynn-Williams’ kürzlich erschienenes Buch „Careless People“ habe ihr wichtige Erkenntnisse geliefert. Interne Dokumente von Meta würden zudem offenlegen, wie sehr der Werbe-Algorithmus auf diesen Plattformen in die Privatsphäre der Nutzer eingreife und psychische Schwachstellen gezielt ausnutzen würde.

„Ich habe immer mehr gelesen und gesehen: Es gibt bereits Technologien, mit denen man die schädlichen Inhalte eingrenzen könnte. Wieso nutzen die Plattformen sie nicht einfach?“, sagt Boll. „Mir wurde klar, wie tief die strukturellen Probleme in sozialen Medien verankert sind.“ Irgendwann habe sie realisiert, dass es nur einen einzigen Weg gebe, um eine sichere Plattform zu haben: selbst eine aufzubauen.

2027 App-Start in Deutschland

2023 gründete Boll die Tribela GmbH, im Juni 2025 soll eine geschlossene Beta-Version an den Start gehen. Darin integriert seien schon alle Sicherheitsmaßnahmen. Anfang 2026 soll die Plattform dann für alle zugänglich sein, die sich vorher auf der kostenlosen „Waitlist“ eingetragen haben – aber zunächst nur in Großbritannien, Kanada, Australien und den USA. Vor allem der Start in Großbritannien ist kein Zufall: Tribela wird als offizielles Portfolio-Unternehmen von der Oxford University unterstützt, wo Boll auch studiert hat. In Deutschland und anderen EU-Ländern soll die App voraussichtlich im Jahr 2027 an den Start gehen.

Ursprünglich hätte Boll geplant, die App zuerst in Deutschland zu veröffentlichen. Auch der Unternehmenssitz ist in Mainz gemeldet. „Ich wollte das von Mainz aus machen, weil mein Mann und ich hier leben und es lieben“, sagt sie. „Die Stadt hat die perfekte Größe und es gibt hier so viel Potenzial für Innovation, gerade mit der jungen Bevölkerung und der Uni.“ Aber aus sprachlichen, finanziellen und verwaltungstechnischen Gründen sei es schließlich doch einfacher gewesen, sich zunächst auf den englischsprachigen Raum zu konzentrieren. „Ich dachte ursprünglich, dass Deutschland sehr an Tribela interessiert sein würde“, sagt Boll. „Aber meiner Erfahrung nach liegt der Fokus hier derzeit eher auf der Regulierung bestehender Plattformen als auf der Förderung neuer Innovationen im Bereich sozialer Medien.“

Traum von großem Mainzer Tech-Unternehmen

Von Mainz und Deutschland abwenden wolle Boll sich aber auf keinen Fall. Stattdessen plane sie, mit der Tribela GmbH ein großes Mainzer Tech-Unternehmen aufzubauen, das über die reine Social-Media-Plattform hinausgehe. „Wir haben so viele Sicherheitsfunktionen, die wir an andere Apps lizenzieren könnten.“ Dabei soll es in Zukunft nicht nur darum gehen, wie Datenschutzgesetze und Altersbeschränkungen je nach Land automatisch eingehalten werden können – sondern etwa auch um die Sicherheit von Kindern bei Künstlicher Intelligenz oder Virtueller Realität. „Bei all diesen Dingen können wir nicht auf gesetzliche Beschränkungen warten“, findet Boll. „Ich möchte, dass Tribela eine Vorreiterrolle bei der Technologie-Entwicklung für Kinder im digitalen Raum einnimmt.“

Um diese Vision umzusetzen, suche sie gerade nach deutschen Business-Partnern und Sponsoren. „Ich glaube, Mainzer Unternehmen wie ‘Schott’ würden wunderbar zu uns passen, weil es dort auch einen großen Fokus auf Jugendarbeit und Sportvereine gibt.“ In der Mainzer Start-up-Szene wünsche sie sich ebenfalls eine noch stärkere Gemeinschaft. Aktuell suche sie zum Beispiel nach anderen Unternehmensgründern, die sich einmal pro Woche zum Laufen treffen und anschließend austauschen wollen. Zwar sei die Idee eines wöchentlichen Austauschs bereits auf Interesse gestoßen. „Der Lauf-Part aber leider nicht so“, sagt Boll lachend.

Weitere Informationen zu Tribela findet ihr hier.