Morgens in der Früh ist Andrzej der erste, der die Schafweide an der Unteren Zahlbacher Straße betritt. Er wechselt das Wasser, füllt die Wannen der Gänse auf, lässt sie aus ihrem Stall, mistet aus. Dann werden die Hühner versorgt. Andrzej ist einer der Helfer, die Günter Dorn bei der Pflege seiner Tiere unterstützen – den 16 Schafen, zehn Gänsen und den Hühnern.
Sie alle leben auf der großen Wiese an den Mainzer „Römersteinen“, den Überresten einer römischen Wasserleitung, in direkter Nachbarschaft zum Wohnquartier „Hildegardis“. Seit nunmehr 25 Jahren lässt Dorn hier seine Schafe grasen. Damals war der gelernte Fluglotse von seiner Heimat im Allgäu in die Gegend gezogen, um an der Flugschule in Langen zu unterrichten. Die Tiere hatte er zunächst zuhause am elterlichen Hof gelassen, war regelmäßig gependelt. Als klar war, dass seine Frau und er sich fest in Mainz niederlassen wollten, suchte er nach einer Bleibe für sie in der Nähe. Und entdeckte eines Tages im Jahr 1999 die Wiese.
Vertrag mit Stadt
„Hier war es total verwildert, zugewachsen mit Brombeerhecken und Goldruten“, erzählt Dorn im Gespräch mit Merkurist. Er sei dann zur Stadtverwaltung gegangen und habe das Angebot gemacht, die Flächen zu pflegen und dafür die Erlaubnis zu bekommen, seine Schafe hier grasen zu lassen. Sein Vorschlag wurde im Stadtrat diskutiert, und nach einigen Vor-Ort-Gesprächen habe er schließlich die Zusage zu einer „Probezeit“ von zwei Jahren bekommen, erklärt er. Inzwischen schließe er immer Fünf-Jahres-Verträge ab – und bangt jedes Mal um die Verlängerung.
Besonders kritisch sei es geworden, als vor einigen Jahren der benachbarte Jüdische Friedhof erweitert werden sollte. Genutzt werden sollte dafür nämlich die Wiesenfläche vor den Römersteinen, also ausgerechnet die Weide seiner Schafe. Der Bagger sei schon da gewesen und habe Probegrabungen gemacht, so Dorn. „Informiert wurde ich vorher nicht darüber.“
Dorn gründete daraufhin im Jahr 2011 mit anderen Engagierten den Verein „Lebendiges Denkmal Römersteine“. Das Ziel: Die Schafweide soll erhalten bleiben. Tatsächlich hat die Schafhaltung an dieser Stelle eine lange Tradition und reicht bis ins 13. Jahrhundert zurück. Damals besaß das Kloster Dalheim am Unteren Zahlbacher Weg große Flächen, die bis in die Innenstadt reichten. „Schätzungsweise 1000 Schafe weideten damals hier“, so Dorn.
Verein finanziert Futter und Helfer
Bereits nach kurzer Zeit zählte der Verein 200 Mitglieder, heute sind es etwa 300. Einen Euro bezahlen die Mitglieder pro Monat, zusammen mit Spenden wird davon das Futter und Helfer Andrzej bezahlt. Ein zweiter Helfer arbeitet ehrenamtlich und bekommt eine kleine Aufwandsentschädigung. Dem Verein sei es auch zu verdanken, dass die Stadt von den Plänen für den Friedhof abgesehen und stattdessen den Vertrag mit Dorn doch nochmal verlängert hat.
Seitdem sieht man Dorn und seinen Helfer Andrzej täglich mit den Schafen auf Wanderschaft gehen. Abends schaut Darko nach den Tieren, Julia kümmert sich ehrenamtlich um Öffentlichkeitsarbeit und Mitgliederwerbung. Manchmal melde sich der Mainzer Armenarzt Gerard Trabert bei Dorn, schon einige Menschen, die als „schwer vermittelbar“ galten, fanden bei Schäfer Dorn eine sinnstiftende Arbeit.
Schulklassen und Kindergartengruppen kommen vorbei
Regelmäßig kommen Schulklassen und Kindergartengruppen vorbei, die Kinder dürfen die Schafe streicheln und die Gänse beobachten. Dorn hat ein „Freiluftklassenzimmer“ eingerichtet, wo er über die Tiere, die Schafhaltung und auch die alten römischen Denkmäler informiert. Jedes Jahr Ende Mai gibt es ein Fest zur Schafschur und ein Krippenspiel am Stall an Heiligabend.
Nächstes Jahr steht wieder die Vertragsverlängerung an und Dorn hofft weiterhin auf den Rückhalt der Stadt. Aktuell werden noch Futterspenden gesucht. Wer zum Beispiel Karotten vom Einkauf übrig hat, kann sie in die Kiste am Unterstand neben der Weide legen.
Infos zum „Freundeskreis Lebendiges Denkmal Römersteine“ gibt es auf der Webseite. Hier können auch Anfragen nach Besuchen von Klassen oder Kindergartengruppen gestellt werden.