Auf Nachtstreife mit der Mainzer Polizei

Anfang September hat eine Merkurist-Redakteurin hautnah miterlebt, wie eine Nachtschicht bei der Mainzer Polizei aussieht. Im letzten Teil ihrer Reportage geht es um spektakuläre Einsätze und einen außergewöhnlichen Notfall.

Auf Nachtstreife mit der Mainzer Polizei

Arbeiten, wenn andere feiern, trinken oder bereits schlafen: Wie ist eine Nachtschicht bei der Mainzer Polizei? Das wollte Merkurist-Redakteurin Veronika Dyks selbst herausfinden und hat die Beamten der Polizeiinspektion Mainz 1 am Freitag (1. September) bei der Nachtschicht begleitet. In drei Teilen berichtet sie von ihren Erfahrungen. Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2.

0:45 Uhr

Ab und zu durchbricht das Klingeln des Telefons die Stille in der Altstadt-Wache. Durch die Fenster sieht man nur die Lichter der Straßenlaternen, sonst ist alles dunkel. Vielleicht ist das diese „wohlig warme“ Stimmung, mit der Thale die Nachtschicht bei der Polizei beschreibt. Nach dem Weinmarkt-Einsatz sitzen sie und Alina mit mir im Pausenraum und essen Brezeln mit Spundekäs. „Draußen wird alles stiller und dann kommt man zusammen“, sagt Thale.

„Wenn dann mal was ist, sind es meistens größere Einsätze in der Nacht“, ergänzt Alina. „Für solche Einsätze lebt man eigentlich.“ Dabei könne es auch gefährlicher werden. Für Alina die bisher schwierigste Situation: Als sie und einige Kollegen eine Schlägerei in der Altstadt beruhigen wollten, wurden sie selbst von den Schlägern angegriffen. Ausgerechnet eine Person, die mit der Auseinandersetzung eigentlich gar nichts zu tun hatte, trat einem von Alinas Kollegen schließlich gegen den Kopf. Insgesamt wurden sechs Polizisten verletzt.

„Das war dienstlich das schlimmste Gefühl, das ich hatte“, sagt Alina. Doch auch andere Situationen hätten sie noch länger beschäftigt: ein Tötungsdelikt in Laubenheim, die Messerstecherei am Alicenplatz, die ein Kollege mit mehreren Schüssen beenden musste – und der Unfall am selben Tag, bei dem ein dreijähriges Kind verstarb. „Wenn man die Eltern von einem toten Kind betreuen muss… Das wirkt sich alles auf einen aus“, erzählt sie.

Oft würden Alina und Thale erst abends im Bett merken, was sie bei der Arbeit eigentlich alles erlebt haben. Im Einsatz selbst reagierten sie fast schon automatisch. „Da funktioniert man einfach“, sagt Thale. Beschäftigen einen solche extremen Einsätze auch noch länger? „Natürlich nimmt man das ein oder andere mit nach Hause“, sagt Alina. Aber es helfe, darüber zu reden: mit den Kollegen, mit Freunden, mit Familie. „Losreden, abhaken und dann ist gut.“

1:20 Uhr

Auf der Altstadt-Wache ist immer noch alles ruhig. Ab und zu klingelt das Telefon von Silke, der Dienstgruppenleiterin. Doch um Notfälle scheint es sich nicht zu handeln. Die nimmt nämlich Christian entgegen, der diese Nacht den Dienst im Wachbereich übernimmt. „Hier gehen alle Anrufe ein, die direkt an unsere Wache und nicht an die 110 gehen“, erklärt er mir. Außerdem hat er die Überwachungskameras der Polizeistation im Blick, koordiniert Aufgaben und verteilt Einsatzkräfte.

Wir kommen ins Plaudern und ich erfahre, dass Christian bei einem nicht ganz alltäglichen Einsatz in der Oberstadt dabei war. „Darüber habt ihr doch auch berichtet, oder?“, fragt er. „’Schock-Video in der Mainzer Oberstadt’?“ Ich bejahe. Vor einigen Monaten wurde unserer Redaktion ein Video zugespielt, in dem es auf den ersten Blick so aussieht, als würden Mainzer Polizisten direkt mit gezogener Pistole auf eine Schlägerei zugehen. Am Ende stellte sich jedoch heraus, dass es keine Schusswaffen, sondern Taser waren.

Christian ist nicht der erste, der mich in dieser Nacht auf einen Merkurist-Artikel anspricht. Viele der Polizisten verfolgen offenbar, wie in den Medien über ihre Einsätze berichtet wird. Als ich Christian frage, wie er die Situation in der Oberstadt damals erlebt hat, denkt er kurz nach. „Du kannst auch immer in Situationen kommen, wo dein Adrenalin hochschießt“, sagt er dann. „Innerhalb kürzester Zeit muss man richtig handeln. Aber das gehört halt zum Alltag dazu.“

2:05 Uhr

Im Wachbereich bei Christian geht ein Anruf ein: Offenbar ist ein Polizist von einem Auto angefahren worden. Wenige Sekunden später rasen Philip, Sandro und ich das zweite Mal in einer Nacht mit Blaulicht durch Mainz.

„Warte mal, da hätten wir abbiegen müssen“, sagt Philip, der uns mit dem Navi führt. „Wende am besten da vorne.“ Offenbar ist es nicht immer einfach, sich bei 70 oder 80 Stundenkilometern in den engen Mainzer Straßen zurechtzufinden. Dass sie mit dem Navi zu einem Einsatzort fahren müssen, sei gar nicht so selten. „Wir kennen natürlich auch nicht alle Straßen auswendig“, erklärt Sandro.

Zwei winkende Gestalten verraten uns, dass wir am richtigen Ort sind. Philip und Sandro stellen das Auto ab und gehen auf ihre Kollegen zu. Verletzt sieht keiner von ihnen aus. Wie sich herausstellt, wurde der Polizist nicht angefahren, sondern konnte rechtzeitig ausweichen. Der Autofahrer hat nach dem Vorfall zwar in der Nähe geparkt, ist aber nicht mehr aufzufinden. Auch in seiner Wohnung, die wir mithilfe eines Nachbarn schnell ausfindig machen können, ist er nicht. Dennoch nehmen Philip und Sandro den Vorfall auf und befragen die Kollegen zu allen Details, an die sie sich erinnern können.

2:55 Uhr

Philip und Sandro setzen mich nach dem letzten Einsatz am Bahnhof ab. „Tut mir leid für dich, dass heute Nacht so wenig passiert ist“, sagt Philip. „Für uns ist das natürlich gut“, fügt Sandro lachend hinzu.