Alle 19 Minuten verliere Deutschland eine Sozialwohnung – so die nüchterne Berechnung der Industriegewerkschaft (IG) Bau. Obwohl die Mittel des Bundes für den sozialen Wohnungsbau erhöht wurden, gab es im Jahr 2021 bundesweit noch knapp 1,1 Millionen Wohnungen mit Sozialbindung – und damit fast 27.500 weniger als ein Jahr zuvor. Gleichzeitig seien jedoch weniger als 21.500 Sozialmietwohnungen neu gebaut worden. Krass sei der Vergleich zu den späten 80ern: Während im Jahr 1987 auf 100 Mieterhaushalte 25 Sozialwohnungen kamen, sei diese Zahl aktuell auf fünf zurückgegangen.
Zahlen aus dieser Zeit lassen sich bei der Stadt Mainz zwar nicht erfahren, doch ein Vergleich der letzten zwei Jahre zeigt: Zum Stichtag 31. Dezember 2022 gab es noch 5754 statistisch erfasste, geförderte Mietwohnungen in Mainz, ein Jahr zuvor noch 5562. Das teilt die Stadt Mainz auf Merkurist-Anfrage mit. Die Zahl ist hier also innerhalb eines Jahres sogar gestiegen. Auch in der nächsten Zeit könnte mehr sozial geförderter Wohnraum entstehen, weil Wohnungen von größeren Neubauprojekten bezugsfertig werden, so etwa im Heiligkreuzviertel in Weisenau. Fertig gestellt sind bereits seit Mitte 2022 die Wohnungen am ehemaligen Hildegardis-Areal in der Mainzer Oberstadt. Auch hier werden 25 Prozent der Wohnungen gefördert.
Zahl der Sozialwohnungen hat sich mehr als halbiert
Zum Vergleich: In der Nachbarschaft Wiesbaden gab es zum Stichtag 31. Dezember 2022 noch 8547 Sozialwohnungen. In den 1990er Jahren waren es laut Angaben der Stadt noch 20.000 öffentlich geförderte Wohnungen. Die Zahl hat sich also innerhalb der vergangenen 30 Jahre mehr als halbiert (wir berichteten).
Anzunehmen ist also, dass sie auch in Mainz in den vergangenen Jahrzehnten gesunken ist. Ein Grund, dass die Zahl der Sozialwohnungen zurückgeht, ist die sogenannte „Mietpreis-und Belegungsbindung“: Sie legt fest, wie lange eine Wohnung den Status eines sozial geförderten Wohnraums behält. Und gerade verlieren viele Wohnungen, die in den 1990er Jahren gebaut wurden, diesen Status. Festgelegt wird diese von dem jeweiligen Bundesland. In Rheinland-Pfalz etwa beträgt die Bindungsdauer im Bestandsbau aktuell zehn Jahre, bei Neubauten zwischen 15 und 25 Jahre. Wird das Gebäude aus Mitteln der neuen, klimagerechten sozialen Wohnraumförderung bezuschusst, verlängert sich der Status um fünf Jahre.
Warum werden Wohnungen nur befristet günstig angeboten?
Eine Idee, die derzeit diskutiert wird, sieht daher vor, den Status von Sozialwohnungen einfach zu entfristen. So wäre es möglich, diese Wohnungen für immer günstig anbieten zu können. Hier habe die Stadt Mainz keine Einflussmöglichkeiten, teilt eine Pressesprecherin mit. Diese Entscheidungen würden nicht auf kommunaler, sondern nur auf übergeordneter Landes- und Bundesebene geklärt. Ein Gegenargument, das immer wieder gebracht wird, ist die Wirtschaftlichkeit. Denn für die Eigentümer müsse sich der Bau auch finanziell lohnen. Daher würden die Wohnungen nur so lange der Preis- und Belegungsbindung unterliegen, wie Stadt oder Land diese auch fördern.
Langfristig wolle die Stadt Mainz nach eigenen Angaben den Bestand an gefördertem Mietwohnraum sicherstellen. Dazu habe man bereits Ende 2014 einen Beschluss gefasst, der dazu verpflichtet, entsprechendes Bauland so bereitzustellen, dass Investoren einen bestimmten Anteil an gefördertem Wohnraum herstellen müssen. Dieser Anteil liegt derzeit bei 33 Prozent der neu entstehenden Wohnungen. Das bedeutet: Bei einem Neubau muss ein Drittel der Wohnungen gefördert sein. Zusätzlich zur Landesförderung biete die Stadt Fördermittel für kinderreiche Haushalte an, damit hier Wohnraum geschaffen wird.
Offensive beim sozialen Wohnungsbau?
Auch der Bundesvorsitzende der IG BAU, Robert Feiger, forderte unlängst, dass „Deutschland eine Offensive beim sozialen Wohnungsbau“ brauche. Gleichzeitig gibt er zu Bedenken, dass eine solche Offensive gar nicht so einfach umzusetzen sei, angesichts der gestiegenen Preise und Lieferengpässe beim Baumaterial sowie der Gasknappheit, die für Ungewissheiten bei der Produktion von Beton oder Ziegeln sorge. Statistiken zeigen, dass sich somit die Preise für den Neubau von Wohngebäuden im Vergleich zum Vorjahr um fast 14 Prozent erhöht haben – der stärkste Anstieg der Baupreise seit 52 Jahren.
Wer berechtigt ist, in eine sozial geförderte Wohnung zu ziehen, erhält einen Wohnberechtigungsschein. In Mainz wurden 2650 Scheine im vergangenen Jahr ausgestellt. Mit diesem Schein, der für ein Jahr gültig ist, hat eine Mietpartei das Recht, in eine mit öffentlichen Mitteln geförderte Wohnung zu ziehen. Wie der Wiesbadener Stadtrat und Wohndezernent Christoph Manjura gegenüber Merkurist in Bezug auf die Situation in Wiesbaden sagt, sei davon auszugehen, dass es insgesamt „sehr viel mehr anspruchsberechtigte Haushalte“ gebe. Von etwa 40 Prozent der Wiesbadener spricht er. In Mainz könnte die Zahl der Anspruchsberechtigten also auch deutlich höher sein.