Bis noch vor wenigen Jahren begegnete es Mainzern täglich auf dem Weg zur Arbeit oder fiel Reisenden direkt bei ihrer Ankunft ins Auge: das „Crazy“ am Mainzer Hauptbahnhof, das wohl bekannteste Bordell der Stadt. 2021 musste es jedoch endgültig schließen. Auch andere Einrichtungen mussten ihren Betrieb in den vergangenen Jahren aufgeben. Viele Sexarbeitende in Mainz haben deshalb neue Wege gesucht – teilweise außerhalb des gesetzlichen Rahmens.
Corona und der Mainzer Sperrbezirk
Drei Bordelle und eine sogenannte Terminwohnung sind aktuell bei der Stadt Mainz angemeldet, wie die Pressestelle auf Merkurist-Anfrage mitteilt. Eines der drei Bordelle, das „Erotica Voyage“ in Hechtsheim, sei jedoch gerade geschlossen, weiß Zuhal Resne, Leiterin der Mainzer Beratungsstelle „Selma“ für Sexarbeitende. Ihr zufolge mussten in den vergangenen Jahren drei weitere Mainzer Bordelle schließen. So habe es vor der Corona-Pandemie noch die Bordelle „Poppmodels“ und „Gentlemen’s Dream“ gegeben. Das ehemalige „Poppmodels“ wurde inzwischen unter dem Namen „6Perlen“ wiedereröffnet. Das „Gentlemen’s Dream“ hingegen scheint endgültig geschlossen zu sein.
Endgültig geschlossen ist auch das ehemalige „Crazy“ am Hauptbahnhof – allerdings nicht wegen Corona. Bereits seit 1986 gilt fast in der gesamten Innenstadt sowie in Teilen von Bretzenheim und der Oberstadt eine Sperrzone, in der jede Art von Prostitution verboten ist. Da das „Crazy“ schon eröffnet wurde, bevor das Sperrgebiet in Kraft trat, blieb es zunächst von der Regelung verschont. Das änderte sich jedoch mit dem 2017 eingeführten „Prostituiertenschutzgesetz“. Nach langem Hin und Her musste das „Crazy“ 2021 schließlich den Betrieb aufgeben. „Es wurde wohl versucht, auf Bestandsschutz zu plädieren, aber das hatte keine Wirkung“, so Resne.
Keine zuverlässigen Zahlen
Was nach den Schließungen mit den Sexarbeitenden aus den Bordellen passiert ist, dazu gibt es keine eindeutigen Zahlen. Laut Stadt waren im Zeitraum vom 15. Februar 2023 bis zum 11. Februar 2025 insgesamt 147 Prostituierte in Mainz angemeldet – 145 Frauen und zwei Männer. Diese Anzahl habe sich im Vergleich zu den Jahren davor nicht wesentlich verändert. „Auswirkungen der Corona-Pandemie in diesem Bereich sind uns keine bekannt“, heißt es aus der Pressestelle.
Ein Problem bei den offiziellen Zahlen ist jedoch: Die Anmeldungen von Sexarbeitenden in Mainz sagen nicht zwangsläufig auch aus, wie viele tatsächlich in der Stadt arbeiten. „Prostituierte, welche ihre Anmeldebestätigung bei einer anderen Behörde erhalten haben, sind uns nicht bekannt, da diese hier nicht nochmals ihre Tätigkeit anmelden müssen“, sagt die Stadt selbst. Das gelte auch umgekehrt: Sexarbeitende, die sich in Mainz angemeldet haben, könnten danach in ganz Deutschland tätig sein. „Anzumerken ist auch, dass Prostituierte häufig ihre Tätigkeitsorte wechseln.“
Immer mehr illegale Wohnungsprostitution
Einen weiteren Grund für unzuverlässige Zahlen nennt die „Selma“-Leiterin Zuhal Resne: „Durch das vorübergehende Arbeitsverbot während der Pandemie und die damit verbundenen Bordellschließungen und später auch Insolvenzen sind sehr viele Frauen in die illegale Wohnungsprostitution abgedriftet.“ Auch die Mainzer Polizei sieht einen Trend zur – teils illegalen – Wohnungsprostitution: „Hierzu werden von diversen Gruppierungen wochenweise Wohnungen über AirBnB oder Booking.com angemietet, um dort der Prostitution nachzugehen.“
Warum sich auch nach der Corona-Pandemie viele Sexarbeitende nicht mehr offiziell angemeldet haben, habe einen Grund: (Illegale) Wohnungsprostitution bringe für die Sexarbeitenden gewisse Vorteile mit sich, erklärt Resne. Zum Beispiel müssten sie häufig weniger Miete zahlen als in Bordellen. „Offenbar überwogen subjektiv die Vorteile, so dass viele Prostituierte nach der Pandemie nicht mehr in die Bordelle zurückkehrten.“ Diese Einschätzung gelte vor allem für einzelne Personen. Doch auch die von der Polizei genannten Prostitutionsgruppen seien den „Selma“-Mitarbeitern schon aufgefallen.
„Sie stellen den Frauen Wohnungen und Telefonnummern für ihre Dienstleistung zur Verfügung, aber offenbar kontrollieren sie auch, wer wann in welcher Immobilie anzutreffen ist.“ Das alles begünstige Fluktuation und Wanderungsbewegungen in ganz Rheinland-Pfalz. „Bezogen auf Mainz beobachten wir zum Beispiel, dass manche Frauen zunächst in der Mainzer Innenstadt inserieren, dann aber wieder in Wiesbaden, Ginsheim-Gustavsburg oder im ländlichen Raum um Mainz auftauchen.“ Schätzungsweise 55 Frauen in Mainz hätten wiederum gar keine festen Arbeitsstätten, sondern würden Haus- und Hotelbesuche anbieten.
Was bedeutet „illegale Prostitution“?
Nicht alle Fälle von Wohnungsprostitution oder Hausbesuchen sind automatisch illegal. „Illegale Prostitution“ bedeutet auch nicht zwangsläufig, dass Gewalt, Zuhälterei oder sogar Menschenhandel im Spiel sind. „Von illegaler Prostitution wird insbesondere dann gesprochen, wenn die Prostituierten ohne gültige Anmeldebescheinigung tätig werden oder diese nicht im Original vorlegen können“, definiert es die Stadt Mainz. Diese Anmeldung bei den Behörden muss laut Prostituiertenschutzgesetz spätestens alle zwei Jahre erneuert werden. Wer das nicht tut, begeht eine Ordnungswidrigkeit und muss womöglich ein Bußgeld zahlen. Oft besäßen die Sexarbeitenden auch keine gültige Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis. Im vergangen Jahr habe das Mainzer Ordnungsamt 17 Fälle illegaler Prostitution entdeckt und aufgeklärt.
Doch selbst, wenn es nur fehlende Anmeldungen oder Papiere sind: Vor allem illegal arbeitende Prostituierte seien oft Gefahren ausgesetzt. „Mangelnde Sichtbarkeit und isoliertes Arbeiten begünstigen möglicherweise Übergriffe“, sagt Resne von der Beratungsstelle „Selma“. Hinzu komme, dass bestimmte Rahmenbedingungen aus dem Prostituiertenschutzgesetz, wie zum Beispiel die Kondompflicht, im illegalen Raum schwieriger gegenüber den Kunden durchzusetzen seien. „Hier sehen wir auch ein gesundheitliches Risiko für die Frauen“, so Resne. Informationen über Beratungsangebote vor Ort, die Sexarbeitende normalerweise bei der Anmeldung beim Ordnungsamt oder bei Pflichtterminen im Gesundheitsamt bekämen, fielen ebenfalls weg. „Zudem ist der Weg in den Ausstieg – wenn er denn gewollt ist – durch die schlechtere Erreichbarkeit erschwert.“
Polizei ermittelt wegen Menschenhandels
Dass Menschen in illegaler Prostitution von Behörden und Beratungsstellen weitgehend abgeschnitten sind, macht es auch für die Polizei schwieriger, Straftaten in Zusammenhang mit Prostitution aufzuklären. Um dieses Dunkelfeld aufzuhellen und potentielle Opfer von Menschenhandel oder Zwangsprostitution zu finden, arbeite das Mainzer Fachkommissariat mit dem Ordnungsamt zusammen und führe regelmäßig Kontrollen durch, so eine Pressesprecherin. Insgesamt habe es im Jahr 2024 fünf Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Prostitution in Mainz gegeben. Überwiegend sei es dort um unerlaubten Aufenthalt gegangen.
In einem Fall bestehe jedoch der Verdacht auf Menschenhandel – was aber „noch Gegenstand der weiteren Ermittlungen“ sei. Opfer solcher Straftaten würden von der Polizei vernommen und „je nach Kooperationsbereitschaft adäquat untergebracht“. Ohne Aussage des Opfers sei ein Ermittlungsverfahren aufgrund der aktuellen Rechtslage nämlich nicht möglich.
Kritik am Prostituiertenschutzgesetz
Die aktuelle Rechtslage zur Prostitution werde „von vielen Beratungsstellen kritisch betrachtet“, sagt „Selma“-Leiterin Resne. Diese Aussage bezieht sich nicht nur auf die rechtlichen Vorgaben für die Polizei, sondern vor allem auf das bereits erwähnte Prostituiertenschutzgesetz, das im Juli 2017 in Kraft trat. Eigentlich sollte es darauf abzielen, die Sicherheit und Rechte von Sexarbeitenden zu stärken – etwa mit der Verpflichtung, dass Prostituierte sich offiziell bei den Behörden anmelden und regelmäßig gesundheitliche Beratungen wahrnehmen müssen, einer Kondompflicht oder der Anforderung an Bordelle, einen Notrufknopf zu installieren.
Viele dieser Maßnahmen kritisieren auch Sexarbeitsorganisationen wie der „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ (BesD) oder der Frankfurter Verein „Doña Carmen“ stark. Das Gesetz reglementiere am Bedarf vorbei, habe zu strenge Auflagen und erhöhe nur die gesellschaftliche Stigmatisierung, der Sexarbeitende ohnehin ausgesetzt seien. Ob diese Kritik am Gesetz berechtigt ist oder ob es sein Ziel erfüllen konnte, soll eine wissenschaftliche Evaluierung zeigen, die spätestens am 1. Juli dieses Jahres fertig sein soll – und auch von Resne „mit Spannung erwartet wird“. Ihrer Meinung nach gibt es noch Nachbesserungsbedarf in den Bereichen Sicherheit, Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Ausstiegsmöglichkeiten.
Was Sexarbeiterinnen selbst von ihrem Beruf halten und was sie sich von Politik und Gesellschaft wünschen, könnt ihr in diesem Merkurist-Artikel nachlesen:
Stadt Mainz will Sperrbezirk beibehalten
Aufgrund der bundesweiten gesetzlichen Vorschriften könne die Stadt Mainz selbst nur wenig tun, um die Situation für Sexarbeitende zu verbessern. Allerdings: „Natürlich hat zum Beispiel die Einführung einer Sperrzone in einer Gemeinde oder Stadt immer zur Folge, dass nach Möglichkeiten gesucht wird, eben jene Einschränkung vor Ort zu umgehen“, sagt Resne. „In diesem Fall bedeutet dies das Weiterarbeiten im Verdeckten mit all seinen Konsequenzen.“
Warum in Mainz quasi die ganze Innenstadt zur Sperrzone erklärt wurde, kann sich die Stadt heute selbst nicht mehr erklären. Eingeführt wurde sie von der damaligen Bezirksregierung Rheinhessen-Pfalz mit der „Rechtsverordnung zum Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstandes für den Regierungsbezirk Rheinhessen-Pfalz vom 14.08.1986“. „Die damaligen Erwägungen der Bezirksregierung zur Einführung und örtlichen Ausgestaltung des Sperrbezirks können durch die Landeshauptstadt Mainz nicht nachvollzogen werden“, heißt es aus der Pressestelle. „Es besteht derzeit jedoch auch kein Anlass, diesen zu verändern.“
Die Mainzer Beratungsstelle „Selma“ kann jeden Dienstag und Donnerstag in der Heringsbrunnengasse 6 besucht werden. Außerdem besteht auch außerhalb dieser Zeiten die Möglichkeit, sich per E-Mail (selma@solwodi.de), telefonisch oder über WhatsApp (+49 1514 209 44 77) an die Stelle zu wenden. Das Mainzer Frauenhaus ist zudem jederzeit über 06131-27 92 92 zu erreichen, das bundesweite Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen kann mit der Nummer 0800 0116 016 angewählt werden. Eine Auflistung der wichtigsten Adressen und Beratungsstellen für Sexarbeitende in ganz Deutschland gibt es auch auf der Homepage des BesD.
Weitere Informationen zum Prostituiertenschutzgesetz, seiner Anwendung in Mainz und der Sperrzone findet ihr hier.