Fast vier Wochen läuft das neue Schuljahr in Mainz bereits, und noch immer warten etliche Kinder auf ihre Schulbücher. Der Grund: Es gibt Lieferschwierigkeiten bei der Schulbuchausleihe. Das System gilt Rheinland-Pfalz-weit. Anmelden können sich alle Schüler bereits Monate vor Beginn der Schulferien. Dann bekommen sie gebrauchte Bücher günstiger, unter bestimmten Umständen werden sie auch kostenfrei zur Verfügung gestellt.
Anfang September, eine Woche nach Schulbeginn, teilte die Stadt dem SWR mit, dass zwar alle Buchhandlungen inzwischen geliefert hätten, die Lieferungen aber „unvollständig“ seien. Geliefert werden die Bücher an einen Dienstleister, in diesem Jahr ist das „Hugendubel Fachinformationen“. Dort werden die Bücher dann gepackt und als Pakete in die Schulen transportiert. Der Geschäftsführer Eckart Schlapp indes fühlt sich als Sündenbock und gab vor zehn Tagen in einem Statement bekannt: „Wir erhielten die Bücher zu spät oder unsortiert, um die weitere Dienstleistung gemäß unserem Auftrag vorzunehmen.“ Zudem sei es schwierig, Unterstützung zu bekommen, denn Mitarbeiter von Zeitarbeitsfirmen könnten etwa wegen der Sprachbarrieren nicht „abgerufen“ werden.
Das Problem komme in Rheinland-Pfalz immer wieder, so Schlapp. „Das System beweist sich in den vergangenen Jahren als aufwändig, komplex und kostenintensiv.“ Er fordert daher stattdessen Schulbuch-Gutscheine oder die Einführung von Lehrmittelfreiheit – so wie sie in den meisten Bundesländern üblich ist. Und kündigt an: „Wir werden im nächsten Jahr nicht für die Dienstleistung in Rheinland-Pfalz zur Verfügung stehen.“
Doch das Chaos begann schon viel früher. Das zeigt sich, wenn man das umständliche Verfahren der Ausleihe einmal genauer aufrollt.
10 Prozent fehlen noch
Laut Angaben der Stadt auf Merkurist-Anfrage werden in Mainz jedes Jahr 75.000 neue Bücher für die Ausleihe bestellt, auf 150 Paletten. Derzeit (29. September) würden noch etwa 10 Prozent der Bücher aus der Erstbestellung von Anfang der Sommerferien fehlen. „Diese sind noch nicht in Mainz eingetroffen“, ist aus der Pressestelle zu erfahren. Hinzu kommen die Nachbestellungen aus den Schulen. Die Buchpakete seien sowohl mit neuen als auch mit Büchern bestückt, die zuvor von anderen Schülern zurückgegeben wurden. Alle Schulen hätten jedoch bereits erste Lieferungen erhalten.
Von den Verzögerungen betroffen seien alle beteiligten Schulen im Stadtgebiet. Momentan würden die zweiten Pakete an die Grundschulen ausgeliefert, die weiterführenden Schulen kämen nächste Woche an die Reihe.
Neue Verwaltungsvorschrift
Die Stadt sieht den Grund für die besonders ausgeprägten Verzögerungen in diesem Jahr in einer neuen Verwaltungsvorschrift des Landes. So habe die Stadt die Schulbücher erstmals europaweit ausschreiben müssen – mit einem Auftragsvolumens von fast einer Millionen Euro. Mehrere Buchhandlungen aus dem gesamten Bundesgebiet hatten sich beworben. Wer den Zuschlag am Ende bekam, war jedoch reines Glück. Denn da aufgrund der Buchpreisbindung kein Anbieter mit dem Preis punkten kann, wurden die sieben „Gewinner“ letztendlich ausgelost, die anschließend den Schulen zugeteilt wurden. Das hatte dann zur Folge, dass alle beteiligten Buchhandlungen mehr als 300 Kilometer weit von Mainz entfernt sind, erklärt die Pressestelle.
Die Schulen mussten dann in den Ferien die Materialien auf ihren Listen selbst bei den entsprechenden Buchhandlungen bestellen. Erst, als die verschiedenen Verlage ihre Bücher an die Buchhandlungen ausgeliefert hatten, konnten diese von dort zu dem Dienstleister nach Mainz gebracht werden, damit sie dort verpackt werden.
„Dieses komplexe Verfahren, das in diesem Jahr zum ersten Mal so durchgeführt wurde, hat leider zu Problemen und Verzögerungen bei der Lieferung der Schulbücher geführt“, fasst es eine Sprecherin der Stadt zusammen.
Immer noch seien nicht alle Bücher beim Dienstleister angekommen und könnten daher auch nicht an die Schüler weitergegeben werden. Wann das so weit sein wird, könne die Stadtverwaltung nicht sagen. Man versichert aber: Der Dienstleister „arbeitet derzeit mit allen Kräften an der für die Schulbuchausleihe notwendigen Inventarisierung und Paketierung, damit die Schüler möglichst zügig ihre (restlichen) Bücher erhalten“.
Chaos auch in Zukunft?
Dieses komplizierte Vergabeverfahren kostet nicht nur viel Zeit, sondern auch Geld. Denn „Hugendubel Fachinformationen“ war der einzige Dienstleister, der ein Angebot abgegeben hatte, selbst nach wiederholter Ausschreibung. Die Stadt Mainz war somit dazu gezwungen, den Zuschlag wenige Tage vor Ferienbeginn an diesen einzigen Bewerber zu erteilen und die angebotenen Konditionen zu akzeptieren. Diese überstiegen laut Stadt die in der Haushaltsplanung angemeldeten Kosten um 490.000 Euro. Mitte Juli genehmigte der Stadtrat die Mehrkosten.
Ist jetzt damit zu rechnen, dass die Kinder weiterhin jedes Jahr wochenlang auf ihre Bücher warten und die Lehrer Unmengen an Kopien anfertigen müssen? Die Stadt Mainz wolle prüfen, wie das Verfahren im kommenden Jahr vor Ort verändert werden könne, ist aus der Pressestelle zu erfahren. Wie die Stadt prinzipiell zu dem in Rheinland-Pfalz so speziellen Vergabeverfahren steht, ist jedoch nicht zu erfahren. Zu dieser Frage, so die Pressestelle, verweise man an das Land.