Uwe Boll: „Irgendwer muss ja gegen den Trend gehen“

Seine Kritiker betitelten ihn als „schlechtesten Regisseur der Welt“, er selbst schlug sie im Boxring K.O. In seiner ersten Doku will Uwe Boll mit Vorurteilen aufräumen – über die Bandidos, aber vielleicht auch ein bisschen über sich selbst.

Uwe Boll: „Irgendwer muss ja gegen den Trend gehen“

Der verschlungene Weg, der nach oben zur ehemaligen Mainzer „Beton-Villa“ führt, ist nass und rutschig vom Regen. Zwei Hunde kläffen in der Zufahrt. Ganz oben, auf der Treppe zum Haus, steht Uwe Boll. Inzwischen trägt er eine Glatze, was ihm noch mehr das Aussehen eines alten Boxers verleiht. Mit donnernder Stimme ruft er die Hunde zur Ordnung – das gelingt ihm jedoch nur bei einem der beiden. „Bär ist ganz neu bei uns und schnell aufgeregt“, entschuldigt sich Boll. Mit „Bär“ meint er den schwarzen Zwergspitz-Mischling, der immer noch im Kreis rennt und bellt. Die etwa zehnmal so große „Bessie“ wedelt inzwischen mit dem Schwanz.

Wie Boll nach Mainz kam

Wenn Boll spricht, ist der rheinländische Dialekt nicht zu überhören. Ursprünglich kommt er nicht aus Mainz, sondern aus Burscheid in Nordrhein-Westfalen, direkt neben Leverkusen. Nach der Filmschule und einem Literaturwissenschaftsstudium mit anschließendem Doktortitel landete er 1994 bei „Taunusfilm“ in Wiesbaden. Wegen der damals noch günstigeren Mieten zog er jedoch nach Mainz. Einige Jahre lang wohnte er abwechselnd in Mainz und Kanada, wo er viele seiner Filme drehte, seine Frau kennenlernte und schließlich eine Filmpause einlegte, um sein eigenes Restaurant zu führen. Als Corona kam, beschlossen sie dann, das „Bauhaus“ zu schließen. Seitdem lebt die Familie dauerhaft in Mainz – und Boll dreht wieder Filme.

Im Gegensatz zur Eingangshalle und dem Wohnzimmer mit Rhein-Blick ist Bolls Arbeitszimmer eher bescheiden eingerichtet: ein großer Schreibtisch, ein Computer, einige Bilder an der Wand – von Filmklassikern und seinen eigenen Filmen. Für drei dieser Filme erhielt er 2009 die Goldene Himbeere als „schlechtester Regisseur“ und wurde sogar für das „schlechteste bisherige Lebenswerk“ ausgezeichnet. Mittlerweile sehe Boll das gelassener als noch vor einigen Jahren. „Natürlich fand ich es damals scheiße“, erzählt der 58-Jährige. „Weil die dadurch bestätigt haben, was viele von diesen Kritikern gesagt haben, und dann fing jeder Artikel so an.“ Vor allem in den 2000er-Jahren drehte Boll blut-, horror- und actionreiche Videospiel-Adaptionen, oft auch mit internationalen Top-Schauspielern. Es waren diese Filme, die ihm Geld einbrachten – und einen schlechten Ruf.

Neues Filmprojekt

Sein neuestes Projekt verspricht nicht weniger kontrovers zu werden als seine anderen Filme: „Bandidos“, Bolls erste Dokumentation seit Studienzeiten. Über drei Jahre hat er Mitglieder des „Bandidos Motorcycle Club“ begleitet und gefilmt. Was in der Öffentlichkeit über die Gruppe bekannt ist, speist sich aus zahlreichen Negativschlagzeilen: Einige Mitglieder standen wegen organisierter Kriminalität vor Gericht, Ortsverbände wurden teilweise verboten. Während Boll von der Rocker-Mentalität der Bandidos und von Mordanklagen erzählt, die schließlich „zerbröselt“ seien, hüpft Bär unter dem Schreibtisch auf und ab und bettelt um Streicheleinheiten.

Es sei nicht einfach gewesen, das Vertrauen der Bandidos zu gewinnen. „Ich habe denen von Anfang an gesagt, dass ich keinen Werbefilm für die Bandidos machen werde. Aber eben auch, dass es keinen unfairen Film geben wird, der einfach nur Vorwürfe wiederholt, die vorher in der Bild-Zeitung standen.“ Bei Streamingdiensten, die ursprünglich an „Bandidos“ interessiert waren, sei Bolls Realismus-Anspruch nicht gut angekommen. „Die wollten natürlich etwas ganz anderes, die wollten quasi ‚Sons of Anarchy‘. Aber ich habe gesagt: ‚Nein, wir machen eine Doku.‘“

„Die Realität ist hart und blutig“

Fast schon scheint es so, als wollte Boll damit auf einen Vorwurf reagieren, der ihm immer wieder begegnet: dass er nur der Aufmerksamkeit wegen umstrittene Filme dreht. „Sogar schlechte Presse ist gute Presse für ihn“, sagte Bert Harvey, Initiator der Petition „Stop Dr. Uwe Boll“, 2008 gegenüber der New York Times. Richard Kyanka zufolge ist Boll „im Grunde ein echter Troll“. Zwei Jahre zuvor gehörte Kyanka zu den Kritikern, die Boll im Boxring besiegte – eine Aktion, die dem Filmemacher weltweit Aufmerksamkeit bescherte.

Noch immer scheint Boll sein Ruf vorauszueilen – auch dann, wenn er keine Trash- und Action-Genres bedient, sondern sich an ernste Themen wie Auschwitz oder Hanau wagt. Als Boll einen Film über den Attentäter von Hanau drehte, warfen ihm die Angehörigen in einem offenen Brief „blutrünstige Sensationsgier“ vor. Keine Frage: Der Film ist blutig und schonungslos gewaltreich. Boll selbst sieht darin aber keine Übertreibung oder Respektlosigkeit gegenüber den Opfern. „Die Realität ist hart und blutig“, sagt er. „Wer sich damit auseinandersetzt, muss eben auch in der Lage sein, Dinge zu zeigen, die die Leute vielleicht nicht sehen wollen. Meines Erachtens geht es gerade im deutschen Fernsehen zu weich zu.“

Aller Kritik und Kontroverse zum Trotz – oder vielleicht auch gerade deswegen – finden Bolls Filme immer wieder ein Publikum. Ob das auch bei „Bandidos“ so sein wird, zeigt sich erst in einigen Monaten. Die Premiere würde Boll gerne im Frühjahr in Mainz feiern, am liebsten zusammen mit den Bandidos. „Da wäre es natürlich super, wenn man eine Auffahrt hat, wo dann einfach mal 300 bis 400 Motorräder durch Mainz knattern.“ Ganz ohne Sensationsgier geht es für Uwe Boll offenbar doch nicht. Er zuckt mit den Schultern. „Irgendwer muss ja gegen den Trend gehen.“

Ein Pessimist im feuchtfröhlichen Mainz

Diese Einstellung demonstriert Boll nicht nur als Regisseur. Auf seinem eigenen YouTube-Kanal teilt er regelmäßig Videos, in denen er sich zum Weltgeschehen äußert – ähnlich unverblümt wie in seinen Filmen. „Ich war nie der ängstliche Typ. Ich gucke mir Sachen an und sage immer, was ich denke. Und wenn ich zu irgendwelchen Überzeugungen komme, ist mir vollkommen scheißegal, in welche politische Richtung das geht.“ Ein Abriss zum Weltgeschehen, der sich tatsächlich schwer in eine Schublade stecken lässt, unterstreicht seine Selbstanalyse: Klimaangst, der Wunsch nach härterer Flüchtlingspolitik, die Angst davor, dass die AfD an die Macht kommt. „Wenn man sich anguckt, wie die Erde sich entwickelt, kann man jetzt nicht unbedingt positiv drauf sein.“

Ist es denn nicht fast schon widersprüchlich, dass ein Mann mit dieser negativen Weltsicht sich ausgerechnet im feuchtfröhlichen Mainz heimisch fühlt? „Ich selbst bin eigentlich ein eher fröhlicher Mensch“, überlegt Boll. An Mainz schätze er die rheinhessische Landschaft, die Restaurants und das Kulturleben. „Mitglied im Karnevalsverein werde ich wohl aber nicht mehr.“