Nino Haase über Mainz: „Jeder liebt eine Underdog-Story“

Vom „Schmuddelkind“ zur Zukunftsstadt: Hat das Handelsblatt recht mit dieser Aussage über Mainz? Im Merkurist-Interview verrät Nino Haase, was er davon hält – und wie Mainz sich jetzt noch weiter vom Schmuddel-Image verabschieden will.

Nino Haase über Mainz: „Jeder liebt eine Underdog-Story“

Als Mainz im „Prognos Zukunftsatlas 2025“ des Handelsblatts auf Platz 7 der zukunftsfähigsten Städte rückte, teilte die Stadt Mainz ihre Begeisterung sofort in einer Pressemitteilung. „Wir haben vieles richtig gemacht – und beschreiten diesen Weg mit Überzeugung weiter“, wurde Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) darin zitiert. Im Merkurist-Interview haben wir Haase nun auch nach seiner Meinung zur auffälligen Bezeichnung gefragt, die das Handelsblatt dem Mainz der Vergangenheit zuschrieb.

Merkurist: Herr Haase, laut dem Handelsblatt und seinem Prognos Zukunftsatlas 2025 hat sich Mainz vom „gut gelaunten Schmuddelkind“ in die Top 10 der zukunftsfähigsten Städte katapultiert. Können Sie diese vergangene Einordnung eines „schmuddeligen“ Mainz bestätigen, in dem es sich laut Handelsblatt zwar „gut feiern und studieren lässt, wo aber sonst eher wenig vorangeht“?

Nino Haase: Ich glaube, „Schmuddelkind“ darf man nicht zu wörtlich nehmen. Damit gemeint ist, dass wir im Reigen der anderen Städte hier im Rhein-Main-Gebiet – also Frankfurt als Wirtschaftsmetropole, Wiesbaden als Verwaltungssitz, Darmstadt als Hightech-Standort – ein bisschen abfielen, im Sinne von sympathisch-lustig. Lange Zeit waren wir einfach kein relevanter Player im Wirtschaftsraum Rhein-Main, darauf hat das Handelsblatt angespielt. Und so ganz falsch liegen sie nicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir mit den rechtsrheinischen Gebieten 51 Prozent der Stadtfläche und quasi alle Industriegebiete verloren. Davon hat sich Mainz sehr lange nicht wirklich gut erholen können. Auf der anderen Seite muss man auch sagen, dass Wirtschaft und Wirtschaftsentwicklung hier in der Stadt lange nicht wirklich wahrnehmbar im Fokus waren.

Das ist jetzt offensichtlich anders.

Die Entwicklungen der letzten Jahre tragen jetzt Früchte. Wir sind immer mehr im Fokus und genau das wollen wir ausbauen. Und deswegen hat mich dieser Artikel und auch die Darstellung der Stadt Mainz sehr gefreut. Jeder liebt doch so eine kleine Underdog-Story. Mainz, das Schmuddelkind der Zukunft – das klingt doch gut (lacht).

Wie äußert sich dieser wachsende Fokus auf Mainz?

Gerade im Bereich Biotechnologie gibt es gerade viele interessante Anfragen, auch schon konkrete Mietverträge, die abgeschlossen wurden. Ein anderes Beispiel ist das Start-up-Netzwerk „Futury“ im Rhein-Main-Gebiet, das am 10. Juli vom „EXIST-Leuchtturmwettbewerb Startup Factories“ der Bundesregierung ausgezeichnet wurde. Davor gab es oft Treffen in Frankfurt oder auch Darmstadt, um Kapital zu sammeln. Vor drei oder vier Monaten habe ich dann gesagt: Lasst uns doch auch mal so ein Treffen in Mainz machen. Das war das erste Treffen überhaupt in Mainz. Und dann kamen sie alle: die ganzen Unipräsidenten und teilweise sehr prominente Financiers. Früher haben wir nur von der Seite aus mitgelächelt, aber mittlerweile sind wir wirklich mit dabei. Es ist enorm wichtig, dass wir uns als selbstbewusster Player im Rhein-Main-Gebiet sehen und trotzdem sehr kooperativ mit den anderen Städten zusammenarbeiten.

Selbstbewusstsein hat die Stadt Mainz in der letzten Zeit auch bei ihren Pressemitteilungen gezeigt – zum Beispiel bei den kurzfristigen Zugausfällen nach Frankfurt im Mai, der neuen Flugroute über die Mainzer Neustadt oder zuletzt beim gesperrten Radweg der Schiersteiner Brücke. In allen Fällen hat sich die Stadtverwaltung deutlich positioniert und die Deutsche Bahn, den Frankfurter Flughafen und die Autobahn GmbH scharf kritisiert. Ist das der neue Stil? Traut sich Mainz gerade mehr?

Das ist eine interessante Beobachtung. Aber ja, das kann ich offen zugeben.

Wie kam es jetzt zu dem neuen Tonfall?

Das feierwütige „Schmuddelkind“, das mag vielleicht jeder gerne – aber darauf wirken wir jetzt nicht unbedingt hin. In einer Stadt, die im Fokus stehen will, muss man sich auch äußern. Das gilt für mich als Oberbürgermeister genau wie für den restlichen Stadtvorstand. Wir haben die Aufgabe, die Stadt zu schützen. Und wenn ich dann sehe, dass man uns zwei oder drei Tage vorher sagt, dass eine S-Bahn für satte drei Wochen ausfällt, dann werden wir auch deutlich. Ich denke schon, dass da das Gewicht der Landeshauptstadt Mainz in den letzten Jahren zugenommen hat. Und deswegen können wir uns auch entsprechend äußern. Aber vielleicht ist es auch nach einer gewissen Zeit im Amt so, dass man sich bei gewissen Themen besser auskennt und daher deutlich vernehmbarer positioniert.

Vielen Dank für das Gespräch!