In den letzten Tagen kamen Fans des 1. FSV Mainz 05 aus dem Feiern gar nicht mehr heraus. Erst wurde am vorvergangenen Samstag der Klassenerhalt der Männerprofimannschaft perfekt gemacht, dann erinnerte der Verein am letzten Donnerstag an den ersten Bundesliga-Aufstieg 2004, und am Tag danach hieß es 15 Jahre am Stück Erstligafußball in Mainz. Schaut man sich die historischen Bilder von damals oder auch jene aus Wolfsburg an, sind es weniger Trikots als Motto-Shirts, in denen ausgelassen die eine oder andere Bierdusche zelebriert wird.
Manch ein 05-Fan hat vielleicht die Tage im Schrank gekramt und das „1. Liga Mainz 05“-Shirt aus dem Jahr 2004 gefunden, auf dessen Rückseite die 17 anderen Clubs der Premieren-Erstligasaison 2004/2005 abgedruckt sind. 2009 lautete das Mainz-05-Motto „Humba, das Original ist zurück“, und in diesem Jahr „Niemals aufgeben! – Das ist Mainz“. Dazwischen wurden noch viele weitere Motto-Shirts aufgelegt, wie ein Jahr nach dem Aufstieg das UEFA-Cup-Shirt, das es sicherlich auch 2011, 2014 und 2016 anlässlich der Qualifikation zum internationalen Wettbewerb gab. Hinzu kommen weitere Shirts in den Abstiegskämpfen 2007 und in manchen der Folgejahre, wie zum auserkorenen „Heimspiel in Hoffenheim“ 2022. In diesem Jahr legte Mainz 05 zusätzlich ein Motto-Shirt anlässlich des Auftritts der U19 in der UEFA Youth League auf. Lediglich das „Meister“-Shirt für die Mainz-05-Frauen, bei dem es passender „Meisterinnen“ geheißen hätte, wurde bisher nicht für die Öffentlichkeit produziert. Es stellt sich bei dieser „T-Shirt-Inflation“ die Frage, wer diese Shirts tatsächlich im Laufe der Jahre noch regelmäßig trägt?
Viele Motto-Shirts im Fußball
Auffällig ist, dass diese Shirts meist Minuten nach dem Abpfiff bereitliegen, um von der Mannschaft über die Trikots gezogen zu werden. Das gilt natürlich nicht nur für Mainz 05, sondern für die halbe Liga wegen (vermeintlich) errungener Meisterschaften, Qualifikationen für die Champions League, die Europa League, die Conference League oder das DFB-Pokalfinale – bei den Männern und zunehmend bei den Frauen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gab es letztes Jahr im Mai auch BVB-T-Shirts, auf denen der deutsche Meister 2023 proklamiert wurde, ehe die 05er diesen T-Shirts ein Leben mit freudetrunkenen Dortmund-Fans verwehrten. Und auch für das gerade gespielte Endspiel im DFB-Pokal der Männer wurden sicherlich sowohl in Leverkusen als auch in Kaiserslautern T-Shirts vorproduziert. Und sicherlich haben auch die Düsseldorfer ihre Shirts schon produzieren lassen, um direkt nach der Relegation perfekt eingekleidet dazustehen. Nicht zu vergessen, dass Mainz 05 in der normalen Kollektion aktuell neun T-Shirt-Modelle anbietet.
Nun könnte man meinen, das sind halt die freie Wirtschaft und finanzielles Risiko des Vereins, der die Shirts in den Umlauf bringt. Die DFL, in der die Clubs der ersten und zweiten Liga organisiert sind, hält allerdings zumindest auf dem Papier große Stücke auf das Thema Nachhaltigkeit, sprich den verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen.
Problem „Fast Fashion“
T-Shirts in großer Menge vorzuproduzieren und gegebenenfalls direkt wieder zu schreddern, ist Vieles, nur nicht ein ressourcenschonendes Wirtschaften. In der Modebranche spricht man von „Fast Fashion“ oder gar von „Ultra Fast Fashion“, wenn laufend neue Kollektionen auf den Markt gebracht werden. Die Modelabels erkennen einen Trend und spülen diesen innerhalb von wenigen Wochen in Form einer neuen Kollektion auf den Markt, der sich hauptsächlich im Netz befindet. Zur Not werden nicht verkaufte Exemplare vernichtet. Exakt genauso läuft es bei den Fußballvereinen. Der Trend (mögliche Meisterschaft etc.) entsteht, und man möchte natürlich nicht erst ein oder zwei Wochen nach dem gesetzten Ziel (erreichte Meisterschaft etc.) mit den T-Shirts aufwarten, sondern so genannte Impulskäufe generieren – im Stadion, aber vor allem in den sozialen Netzwerken. Schließlich hat der gemeine Fan eigentlich gar nicht geplant, ein T-Shirt zum Beispiel für den Abstiegskampf bei Mainz 05 zu kaufen. Aber emotionalisiert wird das Teil mit einem Klick erstanden – ob man es nun braucht oder nicht.
Das „Niemals aufgeben – das ist Mainz“-Shirt ist mittlerweile im Online-Shop von Mainz 05 ausverkauft. In diesem Fall ist die Kalkulation aufgegangen. Das „One Team is all it takes“-T-Shirt, das vor dem UEFA-Youth-League-Spiel gegen den FC Porto produziert wurde, sollte laut Mainz 05 nur am Spieltag verkauft werden. Selbst diese propagierte künstliche Verknappung hat nicht dazu geführt, dass dieses Shirt am Abend des Ausscheidens aus der Youth League Mitte März ausverkauft war. Es gibt es bis heute im Fanshop mit 15 Prozent Rabatt zu kaufen. Natürlich ist hier die Menge an Shirts, auf denen der Verein sitzen bleibt, im Vergleich zu den Shirts, die der BVB wahrscheinlich produziert hatte und nicht veräußern konnte, gering. Aber es ist einfach die schiere Menge an Kleidung, die sinnlos in Auftrag gegeben wurde und am Ende zum Beispiel in der chilenischen Atacama-Wüste landet, wie ein Bericht der Zeitschrift GEO zeigt.
Laut EU produziert die Modebranche 10 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen – mehr als die internationale Luftfahrt und Seeschifffahrt zusammen. Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur wurden durch den Kauf von Textilien in der EU im Jahr 2020 pro Person rund 270 Kilogramm CO₂-Emissionen verursacht – was damit 448,4 Millionen mal dem Flug eines Menschen von Frankfurt nach Rom entspricht.
St. Pauli als Vorbild?
Natürlich könnte man es ähnlich machen wie bei den Mainz-05-Frauen. Eine Kollektion für das Team produzieren – und danach die Möglichkeit bieten, das T-Shirt innerhalb eines gewissen Zeitraums zu bestellen. Damit werden Überproduktionen vermieden und nur das produziert, was tatsächlich gekauft wird. Einen solchen Weg geht aktuell Aufsteiger FC St. Pauli, der in seinem Online-Shop auf längere Lieferzeiten hinweist. Ob ein Motto-Shirt wirklich „verwendet“ wird, steht dann nochmal auf einem anderen Blatt. Einer Greenpeace-Studie zufolge wird ein Fünftel der Kleidung in deutschen Kleiderschränken nie getragen.
Und natürlich spielt es eine große Rolle, aus welchem Material das T-Shirt hergestellt und wie es produziert wurde. Schließlich beinhaltet die immer propagierte Nachhaltigkeit auch diese Fragen. Ein fair gehandeltes aus recycelter Bio-Baumwolle produziertes Motto-Shirt gibt es bis heute bei keinem Bundesligaverein. Theoretisch möglich wäre es allerdings längst.
Daher ist wahrscheinlich das beste Motto-Shirt jenes, das gar nicht erst produziert wird. Schließlich lässt es sich in der nun anstehenden Sommerpause auch so wunderbar die einzigartigen Mainz-05-Momente genießen.