Wie ein kleiner Schrein stehen sie auf der Ablage in der Küche: eine Kerze und zwei Fotos – eins von der jungen Bärbel und ein späteres, auf dem sie sich lächelnd an den Arm ihres Mannes Karl Johannes lehnt, von ihr immer Carlo genannt. Der Mann auf dem Foto strahlt zurück, den Blick ganz auf sie fixiert.
Der Karl Johannes Draut, der am 15. Mai 2025 am Küchentisch seiner Wohnung in Mainz-Bretzenheim sitzt, lächelt nicht. Zwei Ordner sind vor dem 85-Jährigen ausgebreitet. Darin gesammelt sind Formulare, Briefe, E-Mails und Gesundheitsdokumente, alle sorgfältig in Klarsichthüllen geordnet und abgeheftet. Sie dokumentieren Monate voller Zweifel, Fragen und Trauer – und seine Suche nach Antworten seit Bärbels Tod am 5. Februar.
Wie alles begann
„Am 4. Februar ging es meiner Frau nicht gut“, erinnert sich Karl Johannes Draut. Über 40 Jahre lang habe sie unter zahlreichen Krankheiten gelitten: Schilddrüsenkrebs, Rheuma, schließlich sei ihr operativ die Brust entfernt worden. „Aber sie hat alles überstanden.“ An diesem Tag vom Hausarzt dann die Ansage: Verdacht auf Nierenversagen auf der linken Seite. Also musste seine Frau für eine Infusion und weitere Untersuchungen erneut ins Krankenhaus.
Ab diesem Zeitpunkt sei so ziemlich alles schiefgelaufen: So habe Draut nicht im Krankenwagen mitfahren dürfen, um seine Frau zu begleiten – obwohl das zuvor immer möglich gewesen sei. Erst als seine Frau abends aus der Notaufnahme in ein Stationszimmer verlegt wurde, habe Draut wieder richtig mit ihr sprechen können. Mehrfach habe er zwei Pflegerinnen, die an dem Abend auf der Station arbeiteten, nach einer Diagnose gefragt. „Die haben beide gesagt: ‘Das dürfen wir Ihnen nicht sagen.’“ Als er sich nach einem Arzt erkundigt habe, hätten sie geantwortet, dass gerade keiner da sei. Also habe er gewartet – ohne Erfolg. Schließlich habe er aufgegeben, sich von Bärbel verabschiedet und versprochen, sie direkt am nächsten Morgen wieder zu besuchen. „Da war meine Frau klar im Kopf und klar im Körper“, erzählt Draut.
Todesnachricht am Telefon
Wenige Stunden später, nachts um 2:17 Uhr, habe er einen Anruf aus dem Krankenhaus bekommen. „Die Zeit habe ich hundertprozentig festgehalten und in den Kalender geschrieben“, sagt Draut. Auch an den Verlauf des Gesprächs könne er sich noch genau erinnern. „Erst waren junge Leute dran, ich habe mehrere Stimmen gehört. Dann sprach auf einmal eine Frau: Hier ist das Marienhaus-Klinikum. Ihre Frau ist verstorben. Sollen wir sie noch einmal intubieren?“
In ihrer Patientenverfügung, die sie in ihrer Krankenhaus-Tasche mit sich trug, hatte Bärbel Draut schon lange vor ihrem Tod „lebensverlängernde Maßnahmen oder Wiederbelebungsversuche“ ausdrücklich abgelehnt. In mehreren Jahrzehnten voller Krankheiten habe sie häufig die Schattenseiten des deutschen Gesundheitssystems erlebt: hektische Ärzte und Pfleger, falsch gesetzte Spritzen, unnötige Schmerzen, noch halb gefrorenes Mittagessen aus unterfinanzierten Kantinen. „Sie ist schon so oft gequält worden“, erklärt ihr Mann. Als die Krankenhausmitarbeiterin am Telefon ihm versichert habe, dass seine Frau wirklich tot sei, habe er deshalb nicht weiter gezögert: „Nein, es soll nichts mehr gemacht werden.“
„Ich habe meine Frau nicht mehr wiedererkannt“
Bärbel Draut starb in der Nacht auf den 5. Februar im Alter von 86 Jahren. 59 Jahre lang war sie mit ihrem Mann verheiratet, über 62 Jahre waren die beiden zusammen. Am Fastnachtssonntag wären es 63 gewesen. „Ich habe sie damals in Nieder-Olm tanzen sehen, so haben wir uns kennengelernt“, sagt Karl Johannes Draut. Als er sich am Morgen ihres Todestages im Krankenhaus von seiner Frau verabschieden wollte, habe ihn statt des vertrauten Gesichts jedoch ein weiterer Schock erwartet.
„Ich habe das Tuch aufgedeckt und meine Frau nicht mehr wiedererkannt.“ Sowohl ihr Hals als auch ihr Kopf seien blau angelaufen und stark geschwollen gewesen. Drauts Bekannter, der ihn an diesem Morgen ins Krankenhaus gefahren hatte, bestätigt diese Beschreibung: „Der Hals war breiter als der Kopf – sie sah aus wie ein Kegel, dabei war sie vorher immer sehr zierlich.
Sofort habe Draut eine Ärztin gefragt, was denn in der Nacht passiert sei. Daraufhin habe sie ihm zwar eine Todesursache genannt, die in den Unterlagen vermerkt war. „Aber sie war nachts nicht dabei und konnte nicht viel mehr dazu sagen“, erzählt Draut. „Und ich konnte in dem Moment ehrlich gesagt gar nicht so viel aufnehmen, ich war ziemlich geschockt.“ Doch nicht nur er als Ehemann der Verstorbenen schien an diesem Morgen durcheinander zu sein. „Als wir gehen wollten, hat man uns einen Wagen voll mit persönlichen Dingen gegeben, die angeblich Frau Draut gehört haben sollen“, ergänzt Drauts Bekannter. „Das waren aber nicht die Sachen von Frau Draut. Wir hätten einfach einem fremden Patienten das Zimmer leerräumen können.“
Die lückenhaften Auskünfte, der überraschende Tod, die blauen Schwellungen, die chaotische Stimmung im Krankenhaus: All das habe Draut zusätzlich zu seiner Trauer ein ungutes Gefühl gegeben. Wie kam es zu dem plötzlichen Tod? Musste seine Frau leiden? Hat das Personal womöglich einen Fehler gemacht? Als das MKM den Todeszeitpunkt seiner Frau im endgültigen Arztbrief dann noch auf 2:59 Uhr festlegte, sei der Verdacht schließlich konkret geworden.
Ungewollte Intubation?
„Die haben meine Frau intubiert“, so Drauts Vorwurf – auch nach der Ablehnung am Telefon. Wie sonst sei die Verzögerung von 42 Minuten zwischen seinem Telefonat mit dem Krankenhaus und dem offiziellen Tod zu erklären? Auch die Schwellungen an Hals und Kopf hätten ihn in diesem Verdacht bestärkt. „Und so wie es aussieht, muss sie sich gewehrt haben.“ Tatsächlich zeigen Fotos, die der Bestatter in Drauts Auftrag aufgenommen hat, Schürfwunden am Hals der Toten. Aber wann genau sind die Abschürfungen entstanden?
Um Antworten auf seine offenen Fragen zu finden, wollte Draut die Leiche seiner Frau obduzieren lassen. „Ich wollte auch niemandem Kosten verursachen. Ich hätte alles selbst bezahlt.“ Eine privat bezahlte Obduktion können Ehepartner rechtlich gesehen eigentlich ohne Probleme in Auftrag geben. Dass er sich dafür einfach persönlich an ein pathologisches oder rechtsmedizinisches Institut seiner Wahl wenden kann, habe Draut damals nicht gewusst. Stattdessen beauftragte er den Bestatter schriftlich damit, eine „pathologische Untersuchung“ in die Wege zu leiten. Dieser teilte ihm jedoch mit, dass die angefragte Klinik aus Geld- und Personalmangel abgesagt habe.
Auch die Mainzer Kriminalpolizei habe in dem Fall nicht weiterhelfen können. „Es bestehe kein Anfangsverdacht, sagte mir eine Polizistin am Telefon“, so der 85-Jährige. Was genau das bedeutet, erklärt Polizeisprecher Rinaldo Roberto auf Merkurist-Anfrage. Bei Todesfällen in Krankenhäusern ermittle die Polizei in der Regel nur, wenn eine natürliche Todesursache nicht eindeutig festgestellt werden könne – also ein Anfangsverdacht auf Fremdverschulden bestehe. Bei Fällen ungewollter Wiederbelebung sei eine strafrechtliche Verfolgung hingegen grundsätzlich schwierig. Dass Ärzte im Zweifelsfall versuchen, ein Leben zu retten, sei nämlich nicht nur ihr Beruf, sondern auch ihre gesetzliche Pflicht.
Suche nach Antworten
Keine Obduktion, keine polizeiliche Ermittlung. Auch im Marienhaus-Klinikum sei sein Wunsch nach Antworten mehrere Wochen unbeantwortet geblieben. „Ich wollte nur einmal mit der Frau sprechen, die mich nachts angerufen hat“, sagt Draut. „Es geht auch nicht um das Sterben, das müssen wir alle. Aber ich muss wissen, ob meine Frau gelitten hat oder nicht – sonst finde ich keine Ruhe mehr.“
Am 17. März bekam er schließlich einen Gesprächstermin im Krankenhaus. Zu diesem Zeitpunkt war Bärbel Draut bereits eingeäschert und auf dem Bretzenheimer Friedhof beigesetzt. Statt der Mitarbeiterin, die ihn nachts angerufen und den Tod seiner Frau miterlebt hatte, führten der Chefarzt des MKM, die Beschwerde-Managerin und die Krankenhausoberin das Gespräch mit Draut. Diese hätten ihm versichert, dass seine Frau nicht intubiert worden sei, sondern nur kurzzeitig reanimiert. Wirklich beruhigt hätten ihn diese Beteuerungen aber nicht.
„Der Professor hat einen medizinischen Bericht vorgelesen und dann etwas von Schnappatmung erzählt“, erinnert sich Draut. Was genau die starken Schwellungen verursacht hat, habe ihm allerdings niemand verständlich erklären können. So habe Draut die Fotos, die der Bestatter von seiner toten Frau gemacht hatte, dem Chefarzt auf einem USB-Stick überreicht – mit der Bitte, sich die Bilder einmal anzuschauen. „Er ist an einen Computer gegangen, meinte dann aber, dass er die Bilder nicht herunterladen kann“, erzählt der 85-Jährige. „Er war nach einer Sekunde wieder zurück. Ich glaube ja, er hat es gar nicht erst probiert.“ Zudem seien im Gespräch die Worte „Verkettung widriger Umstände“ gefallen – und: „Tagsüber wäre das nicht passiert.“
Fragen nach MKM-Statement
Das MKM selbst widerspricht dieser Darstellung auf Merkurist-Anfrage deutlich: „Die Aussagen sind so nicht getätigt worden und dementsprechend nicht richtig“, heißt es aus der Pressestelle. „Im Gegenteil wurde im Gespräch deutlich gemacht, dass die Vorerkrankungen von Frau Draut sowie die Verschlechterung des Gesundheitszustands leider nicht mehr mit dem Leben vereinbar waren.“ Zur Nacht, in der Bärbel Draut starb, erklärt das Krankenhaus zunächst: „Ein Handeln entgegen den von der Patientin festgelegten Wünschen fand zu keinem Zeitpunkt statt.“ Das sei im Einsatzprotokoll des Reanimationsteams dokumentiert. „Nicht bekannt und ebenfalls auch nicht aktenkundig“ sei allerdings das Telefonat einer MKM-Mitarbeiterin mit Herrn Draut in derselben Nacht.
Diese Aussagen werfen jedoch weitere Fragen auf: Wenn „zu keinem Zeitpunkt“ gegen den Willen von Bärbel Draut gehandelt wurde, wieso war dann ein Reanimationsteam im Einsatz? In ihrer Patientenverfügung hatte sie Wiederbelebungsversuche ausdrücklich abgelehnt. Eine „kardiopulmonale Reanimation“ – also eine Wiederbelebung mit Beatmung und Herzdruckmassage – ist aber in Bärbel Drauts letztem Arztbrief festgehalten, den das MKM ausgestellt hat und der der Merkurist-Redaktion vorliegt.
Im Arztbrief vermerkt ist auch eine „Rücksprache mit dem Ehemann“, nach der die Reanimation schließlich eingestellt wurde. Nicht genannt ist darin die Uhrzeit dieser Rücksprache – ebenso wie die Dauer der Reanimation, oder welches Mittel zur Beatmung eingesetzt wurde. Eines wird aber deutlich: Dass das nächtliche Telefonat mit Karl Johannes Draut „nicht aktenkundig“ sein soll, ist schlichtweg falsch.
Krankenhaus äußert sich erneut
Auf eine erneute Merkurist-Anfrage gibt die MKM-Pressestelle schließlich eine ausführlichere Auskunft. Nach der „Auswertung aller Unterlagen“ sei Bärbel Drauts Todesnacht wie folgt verlaufen: Um 2:40 Uhr habe eine Pflegekraft der Station den Notarzt angerufen, weil sich der Gesundheitszustand der Patientin „lebensbedrohlich verschlechtert“ habe. Der Notarzt habe daraufhin erste Behandlungsanweisungen am Telefon gegeben und sei sofort zur Station geeilt. Um 2:45 Uhr habe er eine sogenannte pulslose elektrische Aktivität (PEA) festgestellt: eine Form des Herzstillstands, bei der das Herz zwar elektrische Aktivität zeigt, aber nicht ausreichend Blut pumpt.
„Wie bei allen Notfällen üblich, wird sich zunächst um den Patienten oder die Patientin gekümmert“, erklärt die MKM-Pressestelle. „Da im Fall einer PEA weder Hirn noch Organe weiter versorgt werden, erfordert dies die sofortige Reanimation.“ Diese sei nur kardiopulmonal erfolgt, also mit Herzdruckmassage und Beatmung. Intubiert worden sei Bärbel Draut nicht: weder vor noch nach dem Telefonat mit ihrem Ehemann, das die Pressestelle nun doch bestätigt. Dieser Anruf sei parallel zur Reanimation abgesetzt worden – „also frühestens um 2:46 Uhr“, so das MKM.
„Man muss für jede Information kämpfen“
Das Problem: Draut ist sich weiterhin zu hundert Prozent sicher, dass der Anruf bei ihm schon um 2:17 Uhr einging – was aus seiner Sicht Zweifel an der gesamten Darstellung des MKM aufwirft. Der Kalender, in den er die Uhrzeit während des Anrufs am 5. Februar eintrug, ist dafür allerdings der einzige Beweis. Im Anrufverzeichnis seines Festnetztelefons ist das Telefonat schon lange nicht mehr zu finden – so weit reicht die Speicherkapazität nicht zurück.
„Aber wenn Herr Draut sagt, der Anruf war um 2:17 Uhr, dann glaube ich ihm das sofort“, meint Drauts Bekannter, der ihn nicht nur am 5. Februar ins Krankenhaus gefahren, sondern ihn auch zum Gesprächstermin im MKM begleitet und ihn bei der E-Mail-Kommunikation unterstützt hatte. „Der Herr Draut ist tausendprozentig“, sagt er. Jeden Monat lese der 85-Jährige, der einige Wohnungen vermietet, die Zählerstände seiner Mieter ab und notiere sich alles feinsäuberlich in einem Notizheft. „Buchführungen, Rechnungen – alles in einer Handschrift, das kriegen die meisten am Computer nicht hin.“
Sind Drauts Zweifel an den Aussagen des MKM also gerechtfertigt? „Es wird immer nur zugegeben, was nicht mehr zu leugnen ist“, sagt Drauts Bekannter über die Kommunikation mit dem MKM. „Man muss für jede Information kämpfen – und selbst dann hat man immer noch den Eindruck, man bekommt nicht die Wahrheit gesagt.“
Rechtsmedizinerin bewertet Fall
Für eine professionelle Einschätzung von außen wendet sich Merkurist schließlich an die Mainzer Rechtsmedizinerin Bianca Navarro. „Ohne Obduktion ist eine sichere Aussage natürlich nicht möglich“, räumt sie ein. Aus den vorliegenden Informationen und den Fotos, die der Bestatter von der Toten gemacht hatte, ergebe sich jedoch ein recht klares Bild. „Aus meiner Sicht ist alles unauffällig“, sagt sie.
So seien die fehlenden Totenflecken an der Nasenspitze ein Zeichen dafür, dass Bärbel Draut mit Maske und Beatmungsbeutel beatmet wurde. Ob zusätzlich intubiert wurde, sei grundsätzlich nicht von außen zu erkennen. „Um das eventuell beurteilen zu können, müsste man eigentlich in den Hals und Rachen schauen“, erklärt Navarro. Klar sei aber: Die blauen Hautverfärbungen an Kopf und Hals seien kein Zeichen für eine Intubation. Stattdessen handele es sich dabei um ein gängiges Symptom eines sich entwickelnden Rechtsherzversagens. „Wenn das Herz nicht mehr richtig pumpt, staut sich das Blut häufig in den Hals- und Kopfbereich zurück.“
„Ärzte haben alles richtig gemacht“
Auch die plötzliche Verschlechterung von Bärbel Drauts Gesundheitszustand in der Nacht sei kein Hinweis auf einen Fehler im Krankenhaus. Im Alter von 86 Jahren und im Hinblick auf die zahlreichen Vorerkrankungen könne es jederzeit zu einem Kreislaufversagen kommen, oft auch innerhalb von Sekunden. „Solche Dekompensationen kommen sehr schnell und unerwartet“, sagt Navarro. „Wie es scheint, hatte die Patientin nicht einmal mehr Zeit, den Notknopf zu drücken.“
Die Abschürfungen am Hals seien zwar auffällig – aber nicht unbedingt ein Zeichen dafür, dass Bärbel Draut sich gegen eine ungewollte Behandlung gewehrt habe, als sie noch am Leben war. „Die könnten genauso gut auch nach dem Tod entstanden sein“, sagt Navarro – beispielsweise bei Handgriffen des Pflegepersonals oder des Bestatters selbst. Beim Wiederbelebungsversuch musste die 86-Jährige laut der Rechtsmedizinerin aber nicht leiden. Stattdessen deute alles darauf hin, dass sie schnell und schmerzlos gestorben sei und die Darstellung des MKM glaubwürdig. „Meiner Meinung nach haben die Ärzte alles richtig gemacht“, sagt Navarro. „Dass das Krankenhaus so ausführlich antwortet, zeigt eigentlich schon, dass sie nichts zu verbergen haben.“
Hat sich Draut mit der Uhrzeit des Anrufs also doch getäuscht? Laut Navarro wäre eine Verzögerung von 42 Minuten zwischen Ende der Reanimation und dem offiziellen Todeszeitpunkt mehr als ungewöhnlich. Wenn nicht schon das Ende der Reanimation als offizieller Todeszeitpunkt gewertet werde, seien im Zweifel die Totenflecken ein eindeutiges Zeichen für den Tod. Diese treten aber schon nach 15 bis 20 Minuten auf.
Patientenverfügung umsonst?
Die Stimme von Karl Johannes Draut klingt belegt, als er am Telefon auf diese Neuigkeiten reagiert. „Also sollte ich jetzt wohl damit abschließen.“ 30 Jahre lang hatte der ehemalige Friseurmeister seine Frau in der gemeinsamen Wohnung gepflegt, war dafür sogar extra schon mit 60 in den Ruhestand gegangen. „Ich habe zu meiner Frau immer gesagt: Das letzte halbe Jahr, Schatz, wenn es mit uns so weit ist, fahren wir in die Schweiz und sterben zusammen.“ Dass Bärbel der Wunsch nach einem selbstbestimmten Tod verwehrt blieb und sie gegen ihren Willen reanimiert wurde – auch wenn es nur wenige Minuten waren –, erschwere seine Trauer noch. „Dass man in der letzten Minute nochmal so gequält wird, das ist für mich untragbar. Wofür macht man denn eine Patientenverfügung?“
Das MKM bekräftigt jedoch weiterhin, „zu keinem Zeitpunkt“ gegen den Willen von Frau Draut gehandelt zu haben. „Denn nur mit Kenntnis über den Willen eines Menschen kann auch im Sinne des Willens (oder eben gegen den Willen) gehandelt werden.“ Dass Bärbel Draut eine Patientenverfügung hatte, sei dem Krankenhaus zum Zeitpunkt der Reanimation nicht bekannt gewesen. „Weder die Patientin noch der Rettungsdienst oder Dritte haben uns darüber informiert.“ Auch nicht kommuniziert worden sei, dass sich eine entsprechende Verfügung in Bärbel Drauts Tasche befand. Diese hätte das Personal ohne ihre Zustimmung auch gar nicht öffnen dürfen, so die Pressestelle.
Tatsächlich sind Ärzte in Deutschland nicht verpflichtet, nach einer Patientenverfügung zu fragen. Das müssen betroffene Patienten oder ihre Angehörigen von sich aus mitteilen. Am Abend des 4. Februar 2025 gingen weder Bärbel noch Karl Johannes Draut jedoch davon aus, dass diese Information notwendig sein würde. „Für uns beide war in dem Moment ganz klar, dass man mit dem Tod nicht rechnen konnte“, sagt Draut.
Auch, wenn das MKM anscheinend rechtlich gesehen alles richtig gemacht hat: Noch immer bereue Draut, dass seine Frau am 4. Februar überhaupt ins Krankenhaus eingeliefert wurde. „Ich bin schuld, dass sie allein im Krankenhaus sterben musste“, sagt er. „Zu Hause hätte sie einfach in meinen Armen einschlafen können.“