Eigentlich wollte Brian Huck Anfang der 1990er Jahre nur ein Austauschsemester in Mainz verbringen. Doch letztendlich ist er geblieben und mischt seit vielen Jahren in der Stadtpolitik aktiv mit. Im Juni ist der Grünen-Politiker zum dritten Mal zum Ortsvorsteher der Altstadt gewählt worden, mit 59,6 Prozent der Stimmen. Seit zehn Jahren beschäftigen ihn Themen, auf die alle Mainzer ein Auge haben: der Umbau an der Ludwigsstraße, die Leerstände in der Innenstadt und die Flächenentsiegelung.
Wir haben mit Brian Huck darüber gesprochen, was die Altstadt so besonders macht und warum es so schwierig ist, mehr Wohnraum und mehr Grün in die Innenstadt zu bringen.
Merkurist: Herr Huck, was unterscheidet für Sie die Mainzer Altstadt von den anderen Stadtteilen?
Brian Huck: Die Aufgaben hier als Ortsvorsteher sind ganz andere als in anderen Teilen von Mainz. Wir sind kein „Dorf“ von 4000 Leuten. Hier wird kein Maibaum aufgestellt und ich muss keine Feste organisieren. Ich werde stattdessen eingeladen, in der Jury für das neue Gutenberg-Museum zu sitzen. Hier passieren eben Dinge, die in anderen Stadtteilen nicht passieren – Dinge, für die sich aber auch Leute von außerhalb interessieren: die Clubszene oder den Ausbau der Ludwigsstraße. Auch demografisch ist die Altstadt anders. Hier leben viele junge Leute, es gibt viele Studierendenwohnungen. Einige von ihnen bleiben, leben dann mit ihrer Familie hier. Daher haben wir einen Bedarf an Kitaplätzen. Nur ziehen viele junge Familien vor der Einschulung ihrer Kinder weg – Grundschulkinder gibt es deshalb wenige, hier gehen die Prognosen zum Bedarf an Klassen nie in Erfüllung. Die Eisgrubschule ist immer noch die einzige Grundschule in der Altstadt, und sie ist nur zweizügig. Dafür haben wir viele ältere Menschen, die gerne in die Innenstadt ziehen, nachdem die Kinder aus dem Haus sind.
Was hat sich hier verändert, was ist aus Ihrer Sicht besser geworden, was schlechter?
Ein Schwerpunktthema für mich war in den letzten Jahren die Entwicklung an der Ludwigsstraße. Da sind wir natürlich an einem ganz anderen Standpunkt, als wir es 2014 waren. Auch die Feierkultur hat sich geändert. 2014 hatten wir zwar schon das Marktfrühstück, aber es ist erst 2017 so richtig aus dem Ruder gelaufen. Wenn wir zurückkehren könnten zu dem Marktfrühstück von 2014, wäre ich sehr froh. Aber das war eine langsame gesellschaftliche Änderung, die kann man nicht mit einem Beschluss des Ortsbeirats einfach verändern.
Das heißt, Sie sind nicht glücklich mit dem Marktfrühstück, wie es heute ist?
Im Moment, im Herbst, ist es ganz okay. Aber man kann sich gefasst machen, im Frühjahr, wenn es mal wieder schön ist, dann ist das völlig überlaufen, und es gibt Beschwerden von den Marktbeschickern, von den Geschäften nebendran, von den Anwohnern und Anwohnerinnen. Mir wurde ja im Wahlkampf zwischen den Zeilen unterstellt, ich wolle das Marktfrühstück abschaffen, was aber nicht stimmt. Es wäre nur besser, wenn es in geordneten Bahnen laufen würde. Ich weiß nur nicht, wie wir diese hinkriegen.
Die Altstadt ist nicht nur zum Weggehen sehr beliebt, viele würden auch gern hier wohnen und finden nichts Passendes. Warum ist es so schwierig, neuen Wohnraum in der Innenstadt zu schaffen?
Wir haben in der Altstadt tatsächlich einen großen Bedarf an Wohnungen. Wir vom Ortsbeirat hatten zum Beispiel beim Ausbau der „Lu:“ gefordert, dass hier nachgebessert wird, also zum Beispiel auch zusätzliche Wohnungen in dem Komplex untergebracht werden. Wir haben nichts dagegen, dass hier Läden entstehen, wir begrüßen auch die kulturelle Nutzung. Aber es fehlt an echtem Zuwachs an Wohnungen. Anders als andere Stadtteile haben wir keine Möglichkeit, mehr Fläche zu gewinnen, die angrenzenden Felder zu bebauen, wie in Hechtsheim oder Ebersheim.
Wo könnten denn stattdessen Wohnungen neu entstehen?
Hier in der Altstadt gibt es Grundstücke, die sind schon versiegelt. Das heißt, wir verschlechtern nicht unsere Klimabilanz, wenn wir Gebäude aufstocken. Wir bauen keine Frischluftschneise zu. Wie sollen wir die fehlenden Wohnungen unterbringen, wenn wir nicht solche Umstrukturierungen nutzen? In vielen Straßen sieht man diese kleinteilige Struktur: kleine bebaute Parzellen nebeneinander, im Erdgeschoss befindet sich ein Geschäft, in den oberen Geschossen wohnt man. Von solchen Gassen gab es früher viel mehr hier, nach dem Krieg wurden einige zu diesen Riesenblöcken zusammengelegt.
Oft scheitert es auch an der Eigentümerstruktur. Wenn die Eigentümer keine Wohnungen in ihren Häusern bauen wollen, dann ist es egal, was die Stadt denkt. Positivbeispiele sind der Brand oder die Römerpassage. Dort gibt es eine Mischnutzung, die Wohnungen sind über den Geschäften. Das würde auch an anderen Stellen funktionieren, zum Beispiel in der Malakoff-Passage, wo es leider keine Wohnungen gibt. Dort wechseln die Immobilienfonds als Eigentümer alle paar Jahre. Die Außenwirkung wurde aufgepeppt, aber sie haben kein Interesse daran, sich um das sehr aufwändige Wohnungsmanagement zu kümmern. Und das ist nicht so in unserem Interesse.
Könnte hier die Stadtverwaltung mehr tun?
Die Verwaltung muss planerisch mit mehr Willen rangehen, Wohnungen auch in der Innenstadt zu realisieren. Stattdessen wird gesagt: In der Ludwigsstraße ist keine Wohnnutzung möglich, weil da zu viele Lärmemissionen sind. Ich wage aber mal zu sagen, dass die Lärmbelastung bei einigen Neubauten in der Rheinstraße viel höher ist als in der Ludwigsstraße. Ich sehe das als Ausrede der Stadtverwaltung, anstatt zu sagen: Wir müssen gute Wohnbedingungen in der Altstadt schaffen, also etwa Maßnahmen treffen, um den Lieferverkehr hier zu reduzieren, ihn zum Beispiel besser zu kontrollieren. Und mehr Flächen für Wohnungen in den Bebauungsplänen vorzugeben.
Abgesehen von der Schaffung von Wohnraum: Was wird für Sie das wichtigste Thema sein für die nächste Wahlperiode, also für die nächsten fünf Jahre?
Entsiegelung und Klimaanpassung. Aber wegen der aktuellen finanziellen Lage der Stadt wird das sehr schwierig. Das sieht man zum Beispiel bei der eigentlich geplanten Entsiegelung am Holzturm, deren Finanzierung inzwischen nicht mehr klar ist. Ich habe sehr große Schwierigkeiten, zu akzeptieren, dass solche kleine Entsiegelungsprojekte in eine ungewisse Zukunft verschoben werden.
Was war hier geplant?
Auf Initiative des Stadtplanungsamts wurden Haushaltsmittel für 2025 angemeldet, um den Parkplatz vor dem Holzturm zu entsiegeln. Dort sollte stattdessen Gras gepflanzt oder Bänke aufgestellt werden. Also kein großer Park, aber immerhin eine entsiegelte Fläche. Das wäre sinnvoll. Die Idee kam noch aus dem Planungsprozess vor der Landesgartenschau. Aber jetzt, aufgrund der Haushaltssituation, wird ganz viel gestrichen – oder geschoben, wie die Stadt sagt. Auf wann, wird nicht beantwortet. Es gibt oft eine Spannung zwischen Finanzierbarkeit und den Anwohnerwünschen, ob das Begrünung ist oder sozialer Wohnraum. 2019 erklären wir den Klimanotstand und dann verschieben wir so viele Projekte, die das irgendwie voranbringen könnten.
Wie am Rheinufer?
Zuerst wurde nur der versiegelte Teil an der Theodor-Heuss-Brücke mit oberster Priorität gemacht. Jetzt gibt es dauernd Beschwerden über das Pflaster und die Kübel dort. Es gab sogar einen FDP-Antrag im Ortsbeirat, diese Fläche wieder zu entsiegeln – obwohl die durchgeführte Planung einstimmig im Ortsbeirat befürwortet wurde. Die Schaustellerverbände sind schon jetzt extrem besorgt, dass ihr Riesenrad nicht mehr aufgestellt werden kann, wenn der Abschnitt Richtung Kaisertor entsiegelt wird. In meinem Herzen würde ich die Fläche an der Theodor-Heuss-Brücke auch am liebsten wieder entsiegeln. Aber es ist vollkommen unrealistisch, dass dieser Teil für Events wie den Rheinfrühling oder die Johannisnacht wegfällt.
Als die Entsiegelung am Rheinufer geplant wurde, waren wir noch in den Förderprogrammen des Landes, da sind wir jetzt rausgefallen, weil wir finanziell leistungsfähig waren. Es dauert, bis man da wieder reinkommt. Dieses Projekt wurde immer weiter verschoben, aber ich bin guter Dinge, dass es nun kommen wird – hier scheint die Stadt eine Priorität drauf zu setzen, und das ist auch gut so. Aber ich glaube es erst, wenn der Haushalt, in dem es finanziert wird, von der Aufsichtsbehörde auch genehmigt ist.
Geboren und aufgewachsen sind Sie in den USA. Wie kam es dazu, dass Sie in der Mainzer Lokalpolitik gelandet sind?
Also es war jetzt nicht so, dass ich nach dem Studium entschieden habe: Ich werde jetzt ein Grüner, und wo kann ich das am besten machen? Ich bin im Jahr 1990 als Austauschstudent nach Mainz gekommen und erst 1999 den Grünen beigetreten. 1991 war der erste Golfkrieg, die USA war eine nationalistische, patriotische, militaristisch orientierte, fahnenschwenkende Gesellschaft.
Und dann kam ich hierher. Das Land war noch mehr von der alten BRD geprägt. Das war sehr erfrischend, diese friedensorientierte europäische Integration und nicht der Nationalismus wie in den USA. Ich empfinde Nationalismus als nichts Positives. Die ganze geschichtliche Entwicklung, die ganze politische Struktur ist anders. Hier gibt es dichte Besiedelung, einen effektiveren ÖPNV, das ist ressourcensparend. Aber es gibt auch Unterschiede in der Mentalität, in der Gesetzgebung. Für mich ist das Ergebnis eine viel höhere und nachhaltigere Lebensqualität hier in Deutschland.
Ist es für Sie in Deutschland also einfacher, grün zu sein, als in den USA?
Ja, definitiv! Die Erfolge der grünen Partei in den USA sind extrem bescheiden. Das liegt auch daran, wie die Sitze in den Parlamenten verteilt werden. Hier sind die Grünen eine etablierte und effektive Bewegung. In Mainz gibt es jetzt eine Rekordzahl an grünen Ortsvorstehern. Im Jahr 2009 gab es den ersten in der Neustadt, jetzt sind wir insgesamt fünf.
Also Mainz ist sehr gut für die Grünen, vor allem die Innenstadt. Auch bei Stadtratswahlen, Europawahlen oder Bundestagswahlen sind die Wahlergebnisse spitze. Gleichzeitig sind die Wahlergebnisse für die AfD extrem niedrig bei uns. Bei der Europawahl hatte die AfD in Mainz die drittniedrigsten Ergebnisse in ganz Deutschland, nach Münster und Freiburg. Das sind alles Unistädte und das zeigt aus meiner Sicht: Bildung korreliert sehr gut mit guten Wahlergebnissen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führten Veronika Dyks und Sandra Werner.