Rund 74.600 Kinder und Jugendliche sind im Jahr 2023 zu ihrem Schutz vorübergehend in behördliche Obhut genommen worden, so das Statistische Bundesamt. Damit seien die Zahlen zum dritten Mal in Folge angestiegen. Der Grund dafür liege aber bei den unbegleitet eingereisten Minderjährigen. Denn für sie muss das Jugendamt Versorgung, Betreuung und Krankenhilfe sicherstellen. Rechne man diese aus der Statistik heraus, sei die Zahl der Inobhutnahmen gesunken.
Auch in Mainz gibt es regelmäßig Fälle von möglicher Kindeswohlgefährdung. Wie die Stadtverwaltung mitteilt, gehen beim Amt für Jugend und Familie durchschnittlich zwei Meldungen pro Tag ein. In den meisten Fällen jedoch sei mit den Familien eine Lösung gefunden worden. Insgesamt seien im Jahr 2023 in Mainz 181 Kinder und Jugendliche in Obhut genommen worden, darunter 104 wegen Kindeswohlgefährdung sowie Selbstmelder und 77 unbegleitete Minderjährige.
Inobhutnahme als „letztes Mittel“
Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Familie nur getrennt werden, wenn „die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen“, so steht es im deutschen Grundgesetz. Zuständig für die Überwachung des Kindeswohls ist der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) des Jugendamts. Hier arbeiten Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Erziehungswissenschaftler.
Für den Mainzer ASD heißt es nach eigener Aussage: „Die Inobhutnahme findet als letztes Mittel entweder in akuten Gefährdungslagen statt oder wenn das Kind oder der Jugendliche hierum bittet, außerdem bei unbegleitet einreisenden Minderjährigen.“ Sei außerdem zu befürchten, dass dem Kind weiterhin Schaden zugeführt wird, bis das Familiengericht zur gemeinsamen Klärung angerufen wird, sei das Amt berechtigt und verpflichtet, das Kind in seine Obhut zu nehmen. Denn prinzipiell erlaube nur ein richterlicher Beschluss Eingriffe in das Sorgerecht und die Erziehungspflicht der Eltern.
Meldungen kommen oft von Ärzten, Schulen und Kitas
Sobald ein Hinweis auf Kindeswohlgefährdung vorliege, müssen die Mitarbeiter des ASD dem nachgehen. „Häufig kommen Meldungen von anderen Behörden, Ärzten, Schulen oder Kindertagesstätten“, teilt das Amt mit. Diese hätten sich oft schon vorher mit Fachkräften beraten und die Gefahr für ein Kind abgewogen. Zu einer „Kindeswohlgefährdung“ gehören körperliche Gewalt, sexueller Missbrauch, psychische Gewalt im Sinne von Erniedrigung, körperliche Gewalt zwischen den Eltern, Vernachlässigung der Grundbedürfnisse eines Kindes oder Anstiftung zu schwerster Kriminalität.
Sobald die „akute Gefahr“ für das Kind oder den Jugendlichen bewertet wurde, nehme man in der Regel zunächst Kontakt zu den Eltern auf, und biete Hilfe an. Kommt das Kind dann doch in Obhut des Jugendamts, wird es in einer Wohngruppe oder Bereitschaftspflegefamilie untergebracht. Drei Schutzeinrichtungen sind in Mainz auf Kinder von 4 bis 13 Jahren ausgelegt, eine weitere für 14- bis 17-Jährige sowie eine Schutzeinrichtung, in der Mädchen in Notfällen kurzfristig unterkommen können. Für 0 bis 3-jährige Kinder stehen acht Bereitschaftspflegestellen zur Verfügung. Die ASD-Mitarbeiter bleiben in der Zeit weiterhin mit den Eltern in Kontakt, suchen mit ihnen Lösungen und Wege für eine Rückkehr des Kinds in die Familie.
Melden sich Kinder und Jugendliche selbst beim Jugendamt und bitten um Obhut, werde diese Bitte immer „vorläufig gewährt“, so die Stadt. „Hiermit möchte der Gesetzgeber verhindern, dass Minderjährige ‘ausreißen’, obdachlos werden und sich in Gefahr begeben.“
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