Kritik an Mainzer Fastnacht: Reine „Männersache“?

Auch 2024 haben sich viele Mainzer Fastnachter für Vielfalt und gegen Ausgrenzung ausgesprochen – vor allem bei der Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“. In der Fastnacht selbst scheint diese Gleichberechtigung aber noch nicht angekommen zu sein.

Kritik an Mainzer Fastnacht: Reine „Männersache“?

„Jetzt hat sich auch die Emanzipation bei uns voll durchgesetzt“, sagte Sitzungspräsident Andreas Schmitt alias der Obermessdiener zu Beginn der diesjährigen Ausgabe von „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“: 2024 gab es in der Mainzer Fastnacht zum ersten Mal überhaupt eine alleinige Kinderprinzessin. Das royale „Helau“ von Luise der Ersten blieb in der Fernsehsitzung dann jedoch der einzige Redebeitrag, der nicht von einem Mann kam.

Diskussion um Diversität

Über den Frauenmangel in der Bütt haben auch die Merkurist-Leser diskutiert. „Keine weibliche Rednerin bei ‘Mainz bleibt Mainz’ und auch kein Darsteller mit Migrationshintergrund. Ernsthaft?“, schreibt Daniel in einem Snip.

„Vermutlich gibt's keine weibliche Rednerin, weil es dieses Jahr keine weibliche Rednerin mit einem guten Beitrag gibt“, antwortet ein anderer Leser. „Oder soll eine Frau mit einem schlechteren Beitrag ausgewählt werden, nur weil es eine Frau ist?“ Eine weitere Leserin äußert sich weitaus kritischer: „Vorne sitzen die alten weißen Männer. Klischee erfüllt. Diversität ist bei dieser Sendung ein Fremdwort.“

Dass nur Männer zu Wort kommen, ist nicht das erste Mal in der Geschichte von „Mainz bleibt Mainz“. Zwar sind mit den Tanzgruppen immer zahlreiche Frauen auf der Bühne zu sehen, 2024 saßen zwei Frauen im Sitzungskomitee. Doch dass Frauen tatsächlich in der Bütt stehen, ist eher die Ausnahme. 2023 im SWR war Kati Greule die einzige weibliche Rednerin – und das auch nur in einem gemeinsamen Auftritt mit Thomas Becker und Dennis Roßkopp. Bei der 2022 im ZDF übertragenen Sitzung gab es keinen weiblichen Redebeitrag, dafür aber einen Gesangsauftritt von Laura Heinz. 2024 war dann nicht einmal diese Quote erfüllt.

Wer kommt zu „Mainz bleibt Mainz“?

Doch wie werden die Beiträge für „Mainz bleibt Mainz“ überhaupt ausgewählt? Wer entscheidet über die Auftritte? Gibt es Quoten für mehr Diversität? Das ZDF, das die Sitzung in diesem Jahr ausgestrahlt hat, meldet sich auf Merkurist-Anfrage mit einem knappen Statement zu Wort: „Die ZDF-Redaktion sieht die Aktiven von MCV, MCC, KCK, GCV bei den Sitzungen vorab live und stellt dann das Programm für die Fernsehsitzung in enger Absprache mit den vier Vereinen zusammen.“ Die Frage, wie der Sender zum Frauenmangel bei den Redebeiträgen steht, lässt das ZDF unkommentiert.

Der Mainzer Carneval-Verein (MCV) erklärt den Auswahlprozess für „Mainz bleibt Mainz“ etwas ausführlicher. Zur Auswahl stünden nur Leute, die ohnehin schon beim MCV, dem Mainzer Carneval Club (MCC), dem Gonsenheimer Carneval Verein (GCV) oder dem Karneval-Club Kastel (KCK) auftreten. Nachdem sich die zuständigen Redakteure die Sitzungen der vier Vereine angeschaut haben, würden sie die besten Nummern auswählen und diese Auswahl dann mit den Vereinen besprechen, erklärt MCV-Präsident Hannsgeorg Schönig. „Man nimmt idealerweise diejenigen, die am erfolgreichsten und auch für ein Fernsehformat geeignet sind.“

„Männersache“ und starre Klischees?

Zu den wenigen Frauen, die es gleich mehrfach zu „Mainz bleibt Mainz“ geschafft haben, gehört Hildegard Bachmann. 1997 hatte die heute 75-Jährige ihren ersten Auftritt in der Fernsehsitzung, bis 2013 gehörte sie zum festen Kern der Sendung. Leicht sei das nicht immer gewesen, sagt Bachmann im Merkurist-Gespräch. „Die Männer meinen, sie wären die Besten, und trauen uns Frauen nichts zu.“

Nach 2013 habe sie sich dann selbstständig dazu entschlossen, nicht mehr bei „Mainz bleibt Mainz“ aufzutreten, inzwischen ist sie bei den Mombacher Bohnebeiteln aktiv. Was sie nach all den Jahren bei „Mainz bleibt Mainz“ jedoch immer noch enttäusche: dass sie oder andere weibliche Rednerinnen in Büchern über die Mainzer Fastnacht kein einziges Mal erwähnt würden. „Das ist Männersache, da gibt’s nichts.“

Frauen tanzen (und singen manchmal), Männer kommen in die Bütt und treten mit den beliebtesten Fastnachtssongs auf: Dieses starre Klischee scheint nicht nur „Mainz bleibt Mainz“ Bestätigung zu finden. Generell kommen auf Mainzer Fastnachtsbühnen wenige Frauen zu Wort. Menschen mit Migrationshintergrund oder einer anderen Hautfarbe sind noch seltener zu sehen. Woran liegt das? „Das ist doch eine Henne-Ei-Frage“, meint eine Merkurist-Leserin. „Gibt es so wenige Frauen oder Menschen mit Migrationshintergrund in der Bütt, weil man sie nicht lässt oder weil sie nicht wollen?“

MCV wünscht sich mehr Frauen in der Bütt

Dass Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund der Zugang zur Mainzer Fastnacht verwehrt werde, weist der MCV ab. „Es sind in den vier Korporationen und vermutlich in der gesamten Fastnacht einfach zu wenig Fastnachtsrednerinnen aufgetreten“, räumt MCV-Präsident Schönig ein. Doch alle Vereine würden sich gute Rednerinnen wünschen, „die sich allerdings genau wie die Redner dem Wettbewerb stellen müssen“. Außerhalb von „Mainz bleibt Mainz“ gebe es zudem zahlreiche Frauen, die sich im MCV engagieren und auch auf der Bühne stehen, zum Beispiel bei der MCV-Posse oder beim Damenkomitee.

Eine der aktuell bekanntesten Frauen beim MCV ist Lilli Neger, Tochter von Thomas Neger und Urenkelin der Mainzer Fastnachtslegende Ernst Neger. Schon seit ihrer Kindheit sei sie tief mit der Mainzer Fastnacht verbunden, sagt die 23-Jährige gegenüber Merkurist. Seit Anfang 2023 ist sie beim MCV aktiv und steht als Moderatorin bei der Straßenfastnacht auf der Bühne.

Sie selbst habe nicht das Gefühl, dass sie es als Frau schwerer habe. „Aber ich glaube schon, dass bei vielen Frauen die Hemmschwelle größer ist.“ Ihrer Meinung nach ist das der Geschichte der Fastnacht geschuldet: Die meiste Zeit hatten Frauen dort tatsächlich nichts zu sagen. Auch den Grund für den geringen Anteil von Migranten sieht Lilli Neger im „Traditionsaspekt“ der Fastnacht. „Wenn man nicht damit aufgewachsen ist, dann kann man vielleicht auch nicht so viel damit anfangen.“

Die Fastnacht im Wandel?

Immerhin: In den vergangenen zwei Jahren habe sich in Sachen Diversität schon einiges geändert, zumindest immer mehr Frauen seien in der Fastnacht aktiv. „Ich würde sagen, es kommt“, sagt Lilli Neger. „Aber man muss den Leuten auch deutlicher zeigen, dass sie gewollt sind.“

Ein solches Zeichen könnte in Zukunft vielleicht sogar „Mainz bleibt Mainz“ setzen. Erhard Grom, Protokoller beim GCV und oft gesehener Gast der Mainzer Fernsehsitzung, hat sein Amt Mitte Februar an seine Tochter Christina abgegeben. Die Chancen, dass sie demnächst bei „Mainz bleibt Mainz“ zu sehen sein wird, stehen also nicht schlecht.

Und auch in der Sparte Tanz scheint sich etwas zu wandeln: Ihren diesjährigen Auftritt in der Fernsehsitzung haben die „Rot-Weißen Funken Frickhofen“ mit einer politischen Botschaft für mehr Vielfalt untermalt – und so gezeigt, dass man notfalls auch ohne Redebeitrag seine Meinung sagen kann.