Gastautor Christoph Kessel über den Sinn und Unsinn der Trikotflut im Fußball

Neue Saison, neue Trikots: In den vergangenen Jahren spielt das Thema Trikots eine immer größere Rolle bei Fußballfans. Doch wie werden die Trikots hergestellt? Und was verdienen Vereine daran? Ein Gastbeitrag von Christoph Kessel.

Gastautor Christoph Kessel über den Sinn und Unsinn der Trikotflut im Fußball

„Alle in Weiß!“ lautete am Freitag das Motto der aktiven Fans für den Pflichtspiel-Auftakt des Männerteams des 1. FSV Mainz 05. Schließlich traten die 05er mit einem weißen „Ausweichtrikot“ zum DFB-Pokalspiel in Wiesbaden an. Dieses neue Trikot wurde der Öffentlichkeit am 5. August präsentiert. Genau einen Monat vorher stellte der Verein sein neues „Heimtrikot“ für die Spielzeit 2024/2025 in den Vereinsfarben Rot und Weiß vor. Exakt zwei Wochen später folgte die Präsentation des „Auswärtstrikots“ in Dunkelblau. In die Bewerbung der Trikots steckt der Verein sehr viel Energie. Spielerinnen und Spieler treten in den neuen Teilen in kurzen Filmchen auf, die auf den Social-Media-Kanälen und auf der Vereinswebseite geteilt werden. Die Trikots werden auf der Webseite ausführlich beschrieben, wobei auf jedes noch so kleine Detail eingegangen wird. Durch diese aufwendige Präsentation bleibt der Club in der Sommerpause im Gespräch. Bei den Fans werden die Designs diskutiert und die Geschmacksfrage erörtert, vor allem wenn gleichzeitig auf dem Transfermarkt Flaute herrscht.

Bei so viel Aufwand für die Vorstellung eines neuen Stücks Stoffs stellt sich die Frage nach dem Warum. Oft ist zu hören, dass die Vereine darauf angewiesen sind, im harten Wettbewerb untereinander möglichst viel Umsatz mit dem Merchandise, also hauptsächlich dem Verkauf von Trikots, zu machen. Es gibt Gerüchte, dass die großen europäischen Top-Clubs durch Trikotverkäufe manchen Spielertransfer stemmen würden. Dem widerspricht Peter Rohlmann, Inhaber der Sportbusiness-Agentur PR Marketing, in einem Interview mit dem Medium „absatzwirtschaft“. Lediglich sechs bis zehn Prozent des Verkaufspreises landen beim Verein – abhängig davon, ob das Trikot direkt oder über den Handel vertrieben wird.

Was verdienen die Clubs an Trikots?

Alle Bundesliga-Clubs zusammen setzen laut Rohlmann jährlich etwa 2,7 Millionen Trikots ab. Folglich verbleiben bei den 18 Erstligaclubs bei einem durchschnittlichen Trikotpreis von 85 Euro nach Abzug aller Kosten insgesamt zwischen 14 und 23 Millionen Euro. Bricht man diese Summe auf den 1. FSV Mainz 05 herunter, würden für die 05er zwischen 765 000 und 1,275 Millionen Euro herausspringen – wenn man davon ausgeht, dass jeder Club mit 150 000 Stück die gleiche Anzahl an Trikots verkauft. Es ist anzunehmen, dass Mainz 05 eher 15 000 als 150 000 Trikots verkauft und der FC Bayern eher 1,5 Millionen. Damit würde am Ende für Mainz 05 ein geringer sechsstelliger Betrag übrigbleiben. Im Vergleich zu den kolportierten 30 Millionen Euro Ablösesumme, die Mainz 05 für den Transfer seines ehemaligen Spielers Brajan Gruda nach England erhalten hat, ist diese Summe praktisch zu vernachlässigen. Selbst die Antrittsprämie in der ersten Runde des DFB-Pokals ist mit 209 453 Euro etwa doppelt so hoch. Experte Rohlmann schätzt, dass nur sechs Prozent der Gesamteinnahmen im deutschen Profifußball auf das Merchandising entfallen. Die größten Erträge bei Mainz 05 im Geschäftsjahr 2022/2023 stammen laut Vereinswebseite aus der Medienverwertung (53,7 Millionen Euro) sowie den Transferaktivitäten (29,8 Millionen Euro).

Da wirtschaftliche Aspekte beim Trikot-Verkauf also zweitrangig sind, geht es bei dem entfachten Trikothype um Emotionen. Mit einem Trikot tragen Fans die Sympathie für einen Club nach außen. Zahlreiche Menschen sammeln Trikots und bieten Unsummen für Raritäten. Trikots dienen der Bindung der Fans an den Verein. Daraus entsteht eine Verantwortung seitens der Vereine, mit dem Auflegen immer neuer Trikots den Bogen nicht zu überspannen. Schließlich nutzt auch Mainz 05 die Möglichkeit, zu Fastnacht noch ein viertes „Sondertrikot“ produzieren zu lassen. Einige Vereine in England wie Brentford FC 2022/23 oder Luton Town FC 2024/2025 haben diese Verantwortung erkannt und legen zu Saisonbeginn nur jedes zweite Jahr neue Trikots auf, um die Geldbeutel der Fans zu schonen.

Nachhaltigkeit bei Trikots

Mainz 05 betont immer wieder das Thema Nachhaltigkeit. So wird in der Trikotbeschreibung auf der Webseite auch auf das Thema Umwelt eingegangen. Das für die Trikots eingesetzte Polyester stammt komplett aus dem Recycling. Dies ist ein wichtiger Schritt nach vorne, wenn es um Umweltbelange geht, da aus Erdöl kein neuer Kunststoff produziert wird. Vielmehr dienen PET-Flaschen und anderer Plastikmüll als Rohstoff. Aber auch recyceltes Polyester hat eine schlechte Ökobilanz, da sich in der Waschmaschine Mikroplastik aus dem Gewebe löst und über das Abwasser in die Umwelt gelangt. Während der ersten drei Wäschen wird das meiste Mikroplastik ausgewaschen. Mit Hilfe eines Wäschenetzes ließe sich ein großer Teil an Mikroplastik auffangen und über den Hausmüll entsorgen. Aber die Netze sind teuer, und das Problem ist in der Öffentlichkeit noch nicht angekommen.

Außerdem ist die Produktion von Trikots energieintensiv und steht einer Ressourcenschonung diametral entgegen. Auch recyceltes Polyester lässt sich nicht unendlich wiederverwerten. Irgendwann landet jedes Trikot als Plastikabfall im Müll. Dieser wird laut Greenpeace aus Deutschland oft in die Länder Südostasiens oder in die Türkei exportiert. Damit landen die Trikots genau dort, wo sie hergestellt wurden – meist auf wilden Deponien, die ein Gesundheitsrisiko für die dort lebenden Menschen darstellen. Alternative Materialien wie Tencel oder Lyocell, die aus natürlichen Holzfasern bestehen, werden von den großen Sportartikelherstellern aktuell noch nicht für die Trikotherstellung verwendet, sondern finden nur im Breitensport Verwendung.

Siegel sorgen nicht unbedingt für Klarheit

Vielen Fans stößt beim Thema Trikot der Verkaufspreis auf. Möchte man sich beispielsweise alle vier neuen Trikots des 1. FSV Mainz 05 zulegen, sind dafür 340 Euro fällig. Laut Experte Rohlmann entfallen pro Trikot zirka 9,65 Euro auf die Herstellung und den Transport der Trikots. In einem Artikel des Online-Mediums Utopia berichtet eine indonesische Gewerkschafterin davon, dass nur ein Prozent des Ladenpreises bei ihren Kolleginnen ankommt, die die Trikots für einen bekannten Sportartikelhersteller aus Herzogenaurach nähen. Bei Mainz-05-Trikots wären dies 0,85 Euro. Ein Blick auf die Webseite des Sportartikelherstellers, der für Mainz 05 die Trikots produziert, zeigt, dass die Trikots mit einem „Fair“-Piktogramm gekennzeichnet werden. Allerdings bezieht sich dies nur auf die Rohstoff-Auswahl, also das recycelte Polyester, und nicht auf den Umgang mit den Menschen, die die Trikots nähen. Der Hersteller ist Mitglied bei „amfori BSCI“, einer Initiative zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in globalen Lieferketten. In der Textilbranche gibt es mittlerweile sehr viele Siegel. Ob diese Siegel seriös sind oder nicht, ist für Fußballfans kaum zu durchschauen.

Die Webseite „Labelchecker“, die unter anderem von der EU finanziell gefördert wird, urteilt zu „amfori BSCI“: „Es gibt nicht genügend Instrumente zur Zahlung eines existenzsichernden Lohns und zur Förderung von Vereinigungsfreiheit und dem Recht auf Kollektivverhandlungen. Die Umsetzung der sozialen Kriterien obliegt vorrangig den Zulieferunternehmen. amfori BSCI berücksichtigt nicht die negativen Auswirkungen der Beschaffungspolitik ihrer Mitgliedsunternehmen auf die Arbeitsbedingungen.“ Ein Siegel, das laut „Labelchecker“ als sehr empfehlenswert gilt, ist „Fair Wear“. Allerdings gibt es bisher keinen Sportartikelhersteller, der Bundesliga-Clubs ausrüstet, und der nach „Fair Wear“-Standards Trikots produziert. Der FC St. Pauli lässt als einziger Fußballclub weltweit zu „Fair Wear“-Bedingungen T-Shirts produzieren, hat allerdings seine Produktion nachhaltiger Trikots zum Ablauf der letzten Saison eingestellt.

Um als Kollektiv bei Auswärtsspielen in Weiß aufzutreten, hilft es also weder dem Verein, noch der Umwelt oder den Menschen, die die Trikots herzustellen, ein neues Trikot zu kaufen. Auch 2007 trat Mainz 05 in Wiesbaden in Weiß an. Da ist es am Ende am nachhaltigsten, das alte weiße 2007er-Auswärtstrikot aus dem Schrank zu holen oder im weißen T-Shirt, das aus recycelter Baumwolle zu „Fair Wear“-Bedingungen produziert wurde, die Auswärtsfahrt anzutreten.

Über den Autor

Christoph Kessel ist in Mainz geboren und betreibt den Reise- und Fußball-Blog „Meenzer on Tour“ seit 2009. Der passionierte Mainz 05-Fan hat 2022 sein viertes Buch „Nachhaltigkeit würde der Liga guttun“ veröffentlicht.