Der Montag beginnt bei Yanik erst mit der dritten Stunde, der Dienstag und der Mittwoch ebenfalls. Freitag hat er nur eine Stunde Unterricht. So sieht der aktuelle Stundenplan eines Neuntklässlers an einer Mainzer Realschule aus. 17 Schulstunden fallen allein in dieser Woche aus.
„So geht das schon monatelang seit Schulbeginn“, berichtet Yaniks Mutter gegenüber Merkurist. Aktuell würden in vielen Schulen sogar ganze Tage ausfallen, „weil es einfach keine Lehrer gibt“. Teilweise, so habe sie von anderen Schulen gehört, hätten die Kinder teilweise an nur zwei Tagen in der Woche Unterricht. „Die Kinder haben schon seit circa Jahren keinen normalen Schulalltag mehr. Schüler, Lehrer und wir Eltern fühlen uns ignoriert.“
Lehrkräftemangel an fast jeder Schule
Yaniks Schule ist offensichtlich keine Ausnahme. Von einer „dramatischen Entwicklung“ spricht etwa Lars Lamowski. Er ist Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) Rheinland-Pfalz. So habe eine aktuelle Umfrage unter Schulleitern ergeben, dass es derzeit im Durchschnitt 1,1 offene Stellen an jeder Schule in Rheinland-Pfalz gebe. 85 Prozent hätten angegeben, dass ihre Schulen in Zukunft stark oder sehr stark vom Lehrkräftemangel betroffen sein werde. In mehr als der Hälfte seien inzwischen Seiteneinsteiger beschäftigt. 2019 war das noch in einem Drittel der Schulen der Fall. „Was als Notlösung gedacht war, ist nun fester Bestandteil der Schullandschaft“, so Lamowski. Dabei sei es zwingend erforderlich, dass alle, die unterrichten, auch eine fundierte pädagogische Ausbildung haben.
Beim rheinland-pfälzischen Ministerium für Bildung ist auf Merkurist-Anfrage zu erfahren, dass „alle Planstellen mit grundständig ausgebildeten Lehrkräften besetzt“ seien, teilt Pressesprecherin Madeleine Reccius mit. Insgesamt 1800 Lehrkräfte würden im Laufe dieses Schuljahres neu eingestellt. „Im Vergleich zu anderen Bundesländern steht Rheinland-Pfalz bei der Unterrichtsversorgung damit weiterhin solide da, wenngleich auch hier der bundesweite Fachkräftemangel zu spüren ist.“
Umfassender „Vertretungspool“ und „Feuerwehrlehrkräfte“
Temporärer Unterrichtsausfall, etwa wegen einer Erkrankung der Lehrkraft, sei nie komplett zu verhindern. „Alle Schulen haben eigene Konzepte entwickelt, um die Erteilung von Unterricht zu regulieren, falls dieser nicht wie geplant gehalten werden kann“, so Reccius. Rheinland-Pfalz habe jedoch bereit vor langer Zeit Vorkehrungen getroffen, „um dem temporären Unterrichtsausfall zu begegnen“. 1725 Stellen umfasse der „Vertretungspool“ aus Kräften, die bei langfristigen Ausfällen zum Einsatz kämen. Für Grundschulen stünden zudem für kurzfristige Ausfälle weitere Vertretungsreserve („Feuerwehrlehrkräfte“) in Höhe von 288 Stellen zur Verfügung.
So habe sich die Situation seit Jahren immer mehr verbessert, im Landesschnitt liege die Versorgung nach aktuellen Zahlen bei 99,3 Prozent, bei Grundschulen sogar bei über 100 Prozent. Dabei umfasse das Soll der Lehrer nicht nur die Stunden für den Pflichtunterricht, sondern auch für zusätzliche Förder- und Differenzierungsangebote sowie Arbeitsgemeinschaften (AG). Überhänge an Lehrerstunden würden von den Schulen also etwa für zusätzliche Fördermaßnahmen genutzt. So seien auch Werte unter 100 Prozent immer noch gut, „der Pflichtunterricht kann damit summarisch betrachtet vollständig abgedeckt werden“, sagt Reccius. So könnten höchstens nicht alle Zusatzangebote so umgesetzt werden, wie es die Schulen wünschten.
Land sieht keinen Lehrermangel
Auf dieser Grundlage und weil das Land bereits in den vergangenen Jahren Maßnahmen ergriffen habe, gebe es auch keinen „akuten Lehrkräftemangel“ , von dem etwa die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz spricht und zu der sie Empfehlungen ausgegeben habe. Dennoch würde das Bildungsministerium „die Empfehlungen natürlich genau prüfen, inwieweit diese für Rheinland-Pfalz überhaupt geeignet erscheinen für den Fall, dass wir weitere Maßnahmen umsetzen müssten“, so Reccius. Aktuell jedoch sei Rheinland-Pfalz in einer „vergleichsweise guten Situation“, da „hier seit vielen Jahren viele Stellschrauben in die richtige Richtung gedreht“ worden seien. So habe das Land mit die kleinsten Grundschulklassen in Deutschland. Zudem habe das Bildungsministerium den größten Einzeletat im Land, jeder vierte Euro im Landeshaushalt fließe in Bildung, aktuell seien das rund 5,8 Milliarden Euro.
Der VBE indes sieht die Situation an den Schulen anders. Der Verband fordert daher nun eine von Bund, Ländern und Kommunen durchgeführte und finanzierte Fachkräfteoffensive. Auch die Lehramtsausbildung soll verbessert werden, damit weniger angehende Lehrer ihr Studium abbrechen. Auch sollten multiprofessionelle Teams aufgebaut werden, die die Lehrkräfte entlasten könnten. „Die Arbeitsbedingungen müssen deutlich verbessert werden“, heißt es beim VBE.