„Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit schusssicherer Weste und Militärabzeichen rumlaufen würde,“ erzählt Benny aus Mainz gegenüber Merkurist. Denn eigentlich sei der 35-Jährige überzeugter Pazifist. Doch schon vor dem offiziellen Kriegsbeginn stand für ihn fest: Er will den Menschen in der Ukraine helfen. Immer wieder fährt er privat Hilfsgüter in die Frontgebiete, nimmt Leute mit, die vor dem Krieg fliehen wollen, und begibt sich als Sanitäter selbst in Lebensgefahr.
Zum ersten Mal hat Benny die Grenze zur Ukraine am 4. März 2022 überquert. Seitdem war er über 60 Mal in dem Land, oft für mehrere Wochen am Stück. Aktuell pendelt er zwischen der Ukraine, seinem Zuhause und dem Ahrtal hin und her. Denn dort sei er auch schon seit anderthalb Jahren als freiwilliger Helfer im Einsatz. „Ich konnte mit dem Allradbus da hinfahren, wo andere nicht hinkamen“, erklärt er. Viele Helfer aus dem Ahrtal hätten sich dann bei Kriegsausbruch auch für die Ukraine zusammengetan.
Alles privat organisiert
Seine Fahrten in die Ukraine organisiere Benny privat, jedoch arbeite er auch mit einigen Hilfsorganisationen aus Deutschland und Polen zusammen. Für diese transportiere er regelmäßig Hilfsgüter wie Medikamente und Essen. Aber auch er selbst sammelt Spenden, über eine Amazon-Wunschliste und ein Spendenkonto auf PayPal. Seine Ausrüstung habe er selbst gekauft und bezahlt: eine schusssichere Weste, einen Helm, Sanitäter-Ausrüstung. Besonders am Anfang habe er viel Privatvermögen für seine Touren ausgegeben. Die Spendengelder, die er sammelt, halte er jedoch strikt von seinen eigenen Finanzen getrennt: „Ich hebe jede Quittung auf.“ Ob es Personen gebe, die ihm regelmäßig Spenden schicken? „Ja, Betroffene aus dem Ahrtal“, sagt Benny. „Die wissen selber, wie scheiße es einem gehen kann.“
Um sein eigenes Leben zu finanzieren, erhalte er momentan viel Hilfe aus seinem Bekanntenkreis. Denn seit einigen Monaten kann er nicht mehr arbeiten und müsste eigentlich Krankengeld erhalten. Doch da machten die Ämter gerade einige Probleme. „Ich hätte es aber auch gemacht, wenn ich arbeiten würde“, stellt Benny klar. Vor allem sein Chef sei sehr kooperativ und hätte sogar eine seiner Touren bezahlt.
Freundschaften und ukrainischer Galgenhumor
Im Laufe seiner Touren hat Benny viele Ukrainer und freiwillige Helfer aus den unterschiedlichsten Ländern kennengelernt. Am Grenzübergang sei er schon bekannt und werde mit Handschlag begrüßt, auch beim Militär habe er einige Kontakte. Aus einigen Bekanntschaften wurden Freundschaften – und das, obwohl die Skepsis vieler Menschen vor Ort am Anfang groß gewesen sei. „Jeder hat Angst, zum Ziel zu werden“, sagt Benny. Als Fremder, der noch nicht einmal dieselbe Sprache spricht, hätte er vielerorts erstmal das Vertrauen der Leute gewinnen müssen.
Was ihm dabei geholfen habe? Seifenblasen. „Es sind tatsächlich die banalsten Dinge, mit denen man Menschen eine Freude bereiten kann“, erklärt er. „Das funktioniert auch trotz Sprachbarriere.“ Mit der Zeit habe er die Menschen in der Ukraine etwas besser kennengelernt: ihr Leid, ihre Wünsche, ihren Humor. „Die Moral ist extrem hoch“, erzählt Benny. „Die Ukrainer sind ein stolzes Volk, sie kämpfen für ihre Freiheit.“ Vielerorts würden T-Shirts mit Mottos verteilt, überall sähe man Plakate und Banner gegen Putin. „Aber es geht nicht unter die Gürtellinie“, meint er.
Der Galgenhumor, den er erlebt habe, richte sich in erster Linie gegen Putin und die russische Armee, nicht gegen die russische Bevölkerung an sich. Allerdings gebe es immer mehr Ukrainer, die im Alltag kein Russisch mehr sprechen wollen. Benny selbst mache zwischen Russen und Ukrainern jedoch keinen Unterschied. Die russischen Soldaten, die bei ihm auf dem OP-Tisch lagen, habe er genauso behandelt wie die ukrainischen. „Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken, wer das ist, wo der herkommt“, sagt er dazu.
Schattenseiten des Helfens
Allein unterwegs zu sein, sei eine bewusste Entscheidung gewesen. Denn nicht in allen Gruppen oder Hilfsorganisationen laufe alles mit rechten Dingen zu. In einigen Fällen seien zum Beispiel Medikamente nicht richtig sortiert worden, sodass Medizin für Kinder bei Erwachsenen eingesetzt werden musste und anders herum. Andere wiederum hätten sich sogar am Krieg bereichert, indem sie minderwertige Schutzkleidung an Bedürftige verkauften. „Das hast du in jedem Konflikt“, sagt Benny. Doch noch ein weiterer Grund floss in die Entscheidung ein, allein zu fahren: „Dann bin ich nur für mich selbst verantwortlich.“ Auf sich allein gestellt sei er unabhängiger, flexibler und schneller. Das sei auch ein Vorteil, wenn er Menschen aus Krisengebieten abhole.
„Ein Mädchen ist mir besonders in Erinnerung geblieben“, erzählt Benny. „Weil sie es nicht geschafft hat.“ Der Vater des Mädchens hatte Benny angerufen, nachdem es bei einem Anschlag zwei Beine, einen Arm und seine Mutter verloren hatte. Die Rettungsinfrastruktur vor Ort sei komplett lahmgelegt gewesen. Benny sei dann aus Deutschland in die Ukraine gefahren, um das Mädchen abzuholen, um sie in ein richtiges Krankenhaus zu bringen. Auf der Fahrt sei jedoch ihr Herz stehen geblieben, nach 50 Minuten hätte Benny die Reanimation aufgeben müssen.
„Die Bilder kann man nicht zeigen“
Er selbst befinde sich auch häufig in Lebensgefahr – vor allem, wenn er nah an der Front arbeite, in Gegenden, die gerade unter Beschuss stünden. Das Bild einer Stadt, in der die Toten einfach auf der Straße lagen, habe er immer noch vor Augen. Wie viele Personen er schon auf dem OP-Tisch hatte, könne er nicht zählen. Er hebt jedoch die Kugeln auf, die er in OPs entfernt hat. „Alle Kugeln, die ich aufgehoben habe, sind mit einem Namen und einem Datum versehen“, sagt Benny. Manchmal gebe es auch mehrere Kugeln mit einem Namen. Mittlerweile wiegt die Dose mit den Kugeln drei Kilo. Doch nicht nur Schussopfer gehören zu seinen Patienten.
„Gerade in Frontnähe musste ich oft die ‘Pille danach’ austeilen“, erzählt Benny weiter. „Das hat mich wirklich wütend gemacht, was den Frauen teilweise angetan wurde. Frauen, denen ein Messer in den Bauch gestochen wurde, weil es keine ukrainischen Babys mehr geben solle. Frauen, denen nach der Vergewaltigung in den Bauch geritzt wurde, dass hier nur noch russische Babys geboren werden sollen.“ Ob das ganze Leid ihn beeinträchtige? „Ich funktioniere dann noch, egal, was ich im OP mache“, meint Benny. Im Gespräch mit Merkurist zeigt er seine Ausrüstung und einige Fotos – aber längst nicht alle. „Die Bilder kann man nicht zeigen“, sagt er nur.
Für das, was Benny in der Ukraine tut, schlage ihm viel Dankbarkeit und Verständnis entgegen. Ukrainer aus seiner Nachbarschaft würden sich persönlich bei ihm bedanken und ihm Sachen für ihre Familien mitgeben. Aber nicht alle teilen diese Meinung. Immer wieder würden ihn auch Anfeindungen und Bedrohungen erreichen. Bei der Polizei angezeigt hätte er das jedoch noch nicht. „Ich lasse mich nicht einschüchtern“, sagt Benny. „Wenn es diese Menschen so sehr stört, was ich mache, dann mache ich wohl irgendwas richtig.