In Handschellen wird der stämmige und großgewachsene Angeklagte durch die Gänge im Amtsgericht Mainz geführt. Zwei Justizbeamte in Uniform bringen den 39-Jährigen am Mittwochvormittag (6. September) in den Gerichtssaal. Später wird er dort auf Opfer und Zeugen treffen, die gegen ihn aussagen. Dazu zählen drei Polizisten und Klaus Tiller, der durch seine regelmäßigen Clubauftritte als „Schon Schön“-Opa in Mainz zum Kult wurde.
In dem Prozess geht es außer diversen anderen Delikten auch um den Angriff auf Tiller am 17. Dezember letzten Jahres. Auf dem Nachhauseweg wurde er damals gegen 6:15 Uhr am Mainzer Hauptbahnhof bewusstlos geprügelt. Zuvor versuchte er, eine heftige Auseinandersetzung zwischen zwei Männern mit seinem Handy zu dokumentieren, als einer der Männer auf ihn zukam und immer wieder aggressiv „Was ist?! Was ist?!“ sagte. Kurz darauf schlug der Täter zu. Zuerst auf das Handy in der Hand, dann direkt auf die Zähne. Nach dem dritten Schlag auf die Schläfe fiel Tiller nach hinten und knallte mit dem Hinterkopf auf den Boden.
Schwere Verletzungen
„Ich hatte Glück, dass mein Schädel nicht gebrochen war. Vielleicht hat die Wollmütze geholfen, die ich anhatte“, sagt der 71-jährige am Mittwochvormittag als Zeuge vor Gericht. Dr. Ralf Werner, der als psychologischer Gutachter eingeladen war, stimmt ihm zu: „Als Neurologe weiß ich, wie gefährlich Kopfverletzungen sein können und welche schweren Schäden auftreten können.“ Drei Tage lange hatte Tiller mit Kopfschmerzen und Übelkeit zu kämpfen, bevor er Anzeige erstatten konnte.
An einem seiner Zähne fehlt bis heute eine kleine Ecke. Der Richter und die zwei Schöffen kommen im Gerichtssaal ganz nah, um es selbst zu begutachten. Vier Wochen ließ der „Schon Schön“-Opa seine üblichen Feiernächte in Mainz ausfallen. Der Schläger spricht Tiller vor Gericht nach seiner Aussage direkt an: „Entschuldigung, ich kann mich nicht erinnern an die Nacht. Es tut mir von Herzen leid.“ Tiller entgegnet: „Erst mal gut, dass Sie Reue zeigen. Aber ich hoffe, dass sie das in Zukunft auch unterlassen werden. Das ist wirklich keine Art, mit seinen Mitmenschen umzugehen.“
Bekannter Intensivtäter mit Alkoholproblem
Der Täter ist gebürtiger Binger, der in Bad Kreuznach aufgewachsen ist. Seit 2017 hat er keinen festen Wohnsitz und hält sich mindestens seit 2020 in Mainz auf. Trotz seiner Obdachlosigkeit ist er in guter körperlicher Form und sieht gepflegt aus, wie der Gutachter offiziell bescheinigt. Während des Gerichtstermins tritt er ruhig und besonnen auf. Die geladenen Polizeibeamten kennen ihn gut – immer wieder ist er in Mainz auffällig geworden. Nach jeder Zeugenaussage entschuldigt sich der Angeklagte persönlich und verweist auf Erinnerungslücken und seinen Alkoholrausch.
Tatsächlich war er bei jeder der Straftaten stark alkoholisiert. Trotz durchschnittlichen Werten über 2 Promille sieht der psychologische Gutachter keinen Grund für strafmildernde Umstände, wie zum Beispiel eingeschränkte Handlungs- oder Entscheidungsfähigkeit. „Personen wie der Angeklagte haben sich durch den regelmäßigen Konsum so an den Rausch gewöhnt, dass die Toleranzgrenze sehr hoch liegt.“ Nur bei einem einzigen Delikt, bei dem von über drei Promille auszugehen ist, wurde die Alkoholisierung in der Urteilsfindung beachtet. Außer Alkohol konsumierte der 39-Jährige große Mengen Cannabis und gelegentlich Amphetamine und Kokain in kleinen Mengen.
Schuldig in 15 Anklagepunkten
Das Gericht spricht den 39-Jährigen schuldig in 15 Anklagepunkten. Fünf Fälle von Körperverletzung, davon eine schwer. Drei Fälle von Widerstand gegen Polizeibeamte, jeweils einhergehend mit Beleidigung. Drei Diebstähle und zwei Beleidigungen inklusive einer Bedrohung. Der Verurteilte wird für zwei Jahre und sechs Monate ins Gefängnis gehen. Anschließend muss er eine mehrjährige Suchttherapie starten. Der 39-Jährige akzeptiert das Urteil, eine Berufung oder Anfechtung sind damit ausgeschlossen.
Es ist nicht das erste Mal im Gefängnis für ihn. Eine zweijährige Haftstrafe hat er bereits hinter sich. Vielleicht ist das der Grund, warum seine Reaktion auf das Urteil wenig emotional ausfällt. Nickend und ausdruckslos vernimmt er die Worte des Richters: „Sie bekommen mit diesem Urteil eine Bestrafung, aber auch eine Chance. Sie brauchen den Entzug und eine Therapie unbedingt.“