Das Semester neigt sich dem Ende zu, Klausuren stehen an. Immer mehr Studierende strömen in die Bibliotheken, um zu lernen. Doch die neuen Energiesparmaßnahmen bringen jetzt ein schon länger schwelendes Problem ans Licht. Denn die seit Oktober 2022 verkürzten Öffnungszeiten der Bibliotheken führen dazu, dass die dortigen Lernplätze noch umkämpfter sind als ohnehin schon. Ein Merkurist-Leser spricht sogar von „Zuständen wie in der Viehzucht“. Was steckt dahinter?
Lernen auf dem Boden
Um ihren Energieverbrauch um 15 Prozent zu senken, hat die Johannes Gutenberg-Universität (JGU) im laufenden Semester verschiedene Sparmaßnahmen ergriffen. Eine davon sind die kürzeren Öffnungszeiten in den Bibliotheken. Wochentags schließen die meisten Standorte jetzt früher, an den Wochenenden haben nur noch zwei von insgesamt zehn Bereichsbibliotheken geöffnet: die Bereichsbibliotheken Georg-Forster-Gebäude (GFG) sowie Rechts- und Wirtschaftswissenschaft (ReWi). Selbst die Zentralbibliothek bleibt samstags und sonntags geschlossen.
Die Folge: Am Wochenende stehen von den regulär über 3500 Arbeitsplätzen in den Bibliotheken nur noch etwa 1800 zur Verfügung. Während des Semesters schien das kein größeres Problem darzustellen, doch in der Klausurenphase spitzt sich die Lage offenbar zu. Wer nicht mindestens eine Dreiviertelstunde vor Öffnungsbeginn da sei und sich in die Schlange einreihe, bekomme schon keinen Platz mehr, erzählt eine Doktorandin, die aufgrund ihrer Berufstätigkeit nur am Wochenende lernen könne. „Vereinzelt suchen sich Leute eine Ecke auf dem Boden“, berichtet eine andere Studentin über die Zustände in der GFG-Bibliothek. Was sagt die Universität dazu?
Das Problem mit den Stromanschlüssen
„Die Nutzung der Bibliotheksbereiche der Universitätsbibliothek wird fortlaufend evaluiert“, so JGU-Pressesprecherin Petra Giegerich. „Während die Bibliothek im Georg Forster-Gebäude wie in jeder Prüfungsphase bis auf den letzten Platz belegt ist, waren in der Bereichsbibliothek Rechts- und Wirtschaftswissenschaft an den Wochenenden bisher zu jedem Zeitpunkt mehrere hundert Arbeitsplätze frei und nicht belegt.“ Doch wie kann das sein? Studierende berichten von gravierenden Platzproblemen im ReWi und GFG, laut Uni soll in einer der beiden Bibliotheken jedoch gähnende Leere herrschen.
Die Lösung des Rätsels verrät Giegerich selbst: „In der Tat sind jedoch viele Arbeitsplätze in der Bereichsbibliothek Rechts- und Wirtschaftswissenschaften nicht elektrifiziert.“ Den Mangel an Arbeitsplätzen mit Steckdosen oder festinstallierten Computern beklagt auch Merkurist-Leser und JGU-Student Ali: „Das ist hochgradig diskriminierend gegenüber Studenten, die nicht die Möglichkeit haben, zuhause zu lernen oder auf einen PC zurückzugreifen.“ An dieser Situation werde sich aber zumindest kurzfristig nichts ändern, heißt es von der Universität. „Eine Nachrüstung der Arbeitsplätze mit Stromanschlüssen wird derzeit geprüft, kann aber erst mittelfristig erfolgen“, so Pressesprecherin Giegerich.
Kein neues Problem
Die aktuellen Zustände in den Bibliotheken der JGU sind jedoch nicht allein auf die Energiesparmaßnahmen und die daraus resultierende Platzknappheit zurückzuführen. Vielmehr bringen sie ein schon länger schwelendes Problem an die Oberfläche. Denn dass die Schließung der Bibliotheken überhaupt ein so wichtiges Mittel zum Energiesparen ist, spricht für sich. Schon vor Jahren hätten die Bibliotheken grundlegend saniert werden müssen, allen voran die Zentralbibliothek, die Giegerich zufolge „in einem der energetisch schlechtesten Gebäude der JGU untergebracht“ ist. „Die Einspareffekte, die durch die Schließung dieses Gebäudes zu erzielen sind, übertreffen diejenigen anderer Bibliotheksgebäude deutlich, vor allem durch den Bücherturm mit seinen großen Außenflächen, dessen Fenster vielfach undicht sind.“
Unter diesem Gesichtspunkt ist es auch kein Wunder, dass, wie die Universität selbst beobachtet hat, „die Bibliothek im Georg Forster-Gebäude wie in jeder Prüfungsphase bis auf den letzten Platz belegt ist“. Während man in der ReWi-Bibliothek vergeblich nach Stromplätzen sucht und die Besucher immer mal wieder in Winterjacken dasitzen, wenn durchgelüftet wird, hat das erst knapp zehn Jahre alte GFG nämlich eine funktionierende Klimaanlage und Steckdosen an jedem Sitzplatz.
Anstatt schon frühzeitig auf die hohe Nachfrage im GFG zu reagieren und die restlichen Bibliotheken entsprechend zu sanieren oder nachzurüsten, hat sich in den vergangenen Jahren jedoch nicht viel getan. Und weil die veralteten Bibliotheksgebäude solche Energiefresser sind, wird nach Corona bereits die zweite Krise auf die Studierenden abgewälzt. Denn wer nicht im Kalten und ohne Stromzugang im ReWi oder auf dem Boden im GFG lernen will, bleibt in den eigenen vier Wänden – und zahlt die Stromrechnung selbst.