Warum Gundula Gause sich nicht als Feministin sieht

Warum braucht es heute noch einen Weltfrauentag? Gundula Gause spricht im Merkurist-Interview über Gewalt an Frauen, Gendern und darüber, warum sie sich selbst eher nicht als Feministin bezeichnen würde.

Warum Gundula Gause sich nicht als Feministin sieht

Keine Mainzerin ist aktuell wohl öfter im Fernsehen zu sehen als sie: Seit über 30 Jahren moderiert Gundula Gause Formate wie die heute-Nachrichten oder das heute-Journal im ZDF. Doch wie ist das Leben als Karrierefrau und Mutter zugleich? Und was muss noch getan werden, damit Frauen wirklich gleichberechtigt sind? Diese und weitere Fragen hat die 58-Jährige zum Weltfrauentag am 8. März für uns beantwortet.

Merkurist: Frau Gause, ist der Weltfrauentag heute noch notwendig?

Gundula Gause: Grundsätzlich ist der Weltfrauentag immer noch wichtig. Noch immer gibt es zu viele benachteiligte Frauen, sei es in Bezug auf Gleichberechtigung im Job, in Bezug auf vergleichbare Gehälter oder auf das ewige Thema der Aufteilung der Familienarbeit, die immer noch überwiegend von Frauen geleistet wird. Und ganz wichtig: Immer noch werden Frauen Opfer von Gewalt und Missbrauch, was einfach nicht sein darf.

Dazu gibt es auch konkrete Zahlen: Jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet, alle vier Minuten erfährt eine Frau Gewalt in der Partnerschaft – und das allein in Deutschland.

Viel Gewalt findet hinter verschlossenen Türen statt. Wir alle sollten mit offenen Augen durch die Welt gehen und denjenigen helfen, bei denen man vermuten muss, dass sie in Not sind. Die betroffenen Frauen kann ich nur ermutigen, rauszugehen aus diesen Situationen und sich in Frauenhäusern oder bei Menschen ihres Vertrauens Hilfe zu suchen. Es bleibt eine gesamtgesellschaftliche und staatliche Aufgabe, Strukturen zu unterbinden, die Frauen unterdrücken, wie beispielsweise in der Zwangsprostitution.

Stichwort Zwangsprostitution oder auch Menschenhandel: In anderen Ländern gibt es viele Frauen, die noch sehr viel stärker von patriarchalen Strukturen und Frauenhass unterdrückt werden. Wie stehen Sie zu dem Argument, dass es den deutschen Frauen doch vergleichsweise gut gehe?

Das ist so – und damit auch einer der Gründe, warum ich mich für das katholische Hilfswerk „missio“ engagiere, das in Partnerschaft mit Ordensleuten weltweit Benachteiligte unterstützt, für die Armen da ist. Paradoxerweise habe ich auf meinen Reisen für „missio“ zum Beispiel im Senegal erlebt, dass es gerade die Frauen sind, die versuchen, in entlegenen Dörfern auf kargem Grund Gemüse anzubauen, um die Familie zu ernähren. Das Bild, wie sie den Staub vor ihren Hütten kehren, während die Männer auf ihren weißen Plastikstühlen den Tag mit Nichts verbringen, geht mir nicht aus dem Kopf.

Was bedeutet der Weltfrauentag für Sie persönlich?

Es ist existenziell wichtig, gerade benachteiligte Frauen zu unterstützen. Für mich bedeutet der Weltfrauentag, dass wir alle uns das bewusst machen sollten, auch wenn es vielen Frauen, gerade in europäischen Ländern, heute gut geht – und sie, wie ich, den Weltfrauentag persönlich nicht bräuchten.

Sie selbst haben keine Erfahrungen mit Sexismus gemacht?

Tatsächlich habe ich das Glück, persönlich keinerlei Diskriminierung zu erleben. Und sehe in meinem Umfeld auch keinerlei Vorkommnisse dieser Art. Vielleicht aber erfahren dies immer noch viele Frauen, – quasi „hinter verschlossenen Türen“. Zugleich sollten wir alle über andere Formen der Diskriminierung nachdenken, die vielen Menschen begegnen, sei es aus etwa aus rassistischen oder antisemitischen Gründen.

Wie sind Ihre Erfahrungen im Berufsfeld? Haben Sie das Gefühl, dass Sie es schwerer hatten als männliche Kollegen?

Nein. Grundsätzlich sind es Kompetenzen und Qualifikationen, die im Beruf zählen. In Sachen Kinderbetreuung allerdings liegt immer noch Einiges im Argen. Der Mangel an Betreuungsplätzen ist ja bekannt, auch dass händeringend Erzieherinnen und Erzieher gesucht werden. Da stellen sich große Herausforderungen, – eher den Frauen, die sich für Familie entscheiden, als ihren Männern. Wobei es ja heute alle möglichen Lebensmodelle gibt, – und auch diese Thematik ja nicht mehr nur auf „Frauen und Männer“ fokussiert. Zugleich kenne ich viele Väter, die in Elternzeit gehen.

Das stimmt, das gesellschaftliche Familienbild wandelt sich immer mehr. Dennoch verspüren viele Frauen den Druck, sich nicht nur für Karriere oder Familie zu entscheiden, sondern beides unter einen Hut zu kriegen. Wie haben Sie das erlebt?

Tatsächlich kenne ich einerseits einige Mütter, die sich ganz für die Familie entschieden und andererseits Frauen, die ganz auf Karriere gesetzt haben – aus jeweils individuellen Gründen. Damit widersetzen sie sich also dem Erwartungsdruck, den ich im Allgemeinen auch nicht mehr so empfinde. Zum Glück leben wir in einer freien Gesellschaft, in der jede Frau, jeder Mann und jede Familie das selbst entscheiden kann. Jenseits natürlich der Tatsache, dass das Leben in Deutschland mittlerweile so teuer geworden ist, dass viele Familien auf zwei Einkommen angewiesen sind.

Gibt es auch Vorteile, die Frauen in unserer Gesellschaft gegenüber Männern haben?

Wir sind diejenigen, die das Glück der Mutterschaft erleben können. Und mit der Entscheidung für Familie eröffnen sich gerade für uns Frauen alternative Lebensmodelle. Vielschichtige, neue Freiheiten. Für viele Männer kann das etwas sein, worum sie uns Frauen fast beneiden. Auch für sie gelten traditionelle Rollenerwartungen, die manch ein Mann auch als belastend empfinden mag.

Ist Mutterschaft für Sie also essentieller Bestandteil des Frau-Seins?

Also ich freue mich für jede Frau, die das Glück hat, das erleben zu dürfen. Wenn sich jemand – aus welchen Gründen auch immer – dagegen entscheidet, respektiere ich das natürlich auch. Für mich ist es das größte Glück dieses Lebens und dieser Welt, das man sich nur vorstellen kann.

Als Mutter hat man es natürlich auch ein Stück weit selbst in der Hand, die neue Generation zu prägen. Gibt es etwas, das Sie Ihren eigenen Kindern mitgegeben haben, um sie auf Themen wie fehlende Gleichberechtigung oder Gewalt gegen Frauen vorzubereiten?

Ich habe vor allem meiner Tochter mitgegeben, stark zu sein und einen Willen zu haben und frühzeitig Situationen zu erkennen, in die man nicht geraten möchte – und sich ehrlich gesagt auch gar nicht erst in Situationen zu bringen, die gefährlich werden könnten.

Damit schiebt man die Verantwortung, nicht Opfer von Gewalt zu werden, ja wieder auf die Frauen. Sollte man nicht vielmehr Jungs und jungen Männern beibringen, wo es eindeutige Grenzen gibt?

Natürlich, alle besorgten Eltern sensibilisieren auch ihre Söhne. Aber wir wissen, dass es viele Menschen auf den Straßen gibt, die es anders sehen und die in manch einem Auftreten womöglich noch eine Aufforderung sehen. Unsere Gesellschaft verändert sich, wird immer heterogener und differenzierter. Das müssen wir uns vergegenwärtigen und Folgen daraus ziehen. Es gibt Menschen mit anderen Beweggründen, Hintergründen, Migrationshintergrund unter uns. Hier von Zugewanderten zu erwarten, dass sie sich auf unser Wertegerüst einlassen, ist eine Überforderung, glaube ich. Das muss alles mitgedacht werden.

Würden Sie sich selbst als Feministin bezeichnen?

Nein. Ich setze weniger auf Ideologien als auf realistische Umsetzbarkeit von für mich selbstverständlichen Vorhaben. Als Team-Mensch habe ich oft erlebt, wie gut sich Probleme oder Herausforderungen gemeinsam und partnerschaftlich lösen lassen, ohne dass Einer oder Eine sich kämpferisch für etwas einsetzen musste.

Dabei vertreten Sie viele Meinungen, die sich auch im Feminismus wiederfinden: Gleichberechtigung im Job und im Alltag, oder die Verantwortung von Gesellschaft und Politik, Gewalt gegen Frauen einzudämmen.

Natürlich, das ist ganz klar. Es gab auch Zeiten, in denen Feminismus absolut notwendig war, in denen Frauen zum Beispiel das Wahlrecht noch nicht zugestanden war, in denen Frauen ihre Männer fragen mussten, wenn sie berufstätig werden wollten. Aber zum Glück sind diese Zeiten ja vorbei. Ich sehe heute nicht mehr den Bedarf, dass wir dafür kämpfen müssen. Sondern wir sollten in vernünftigen Gesprächen Kompromisse schließen sowie auch auf der internationalen Ebene an eigenen Forderungen arbeiten. Alle Strukturen müssen sich überdenken und so muss sich halt auch ein solches Konstrukt wie der Feminismus aus meiner Sicht selbst überdenken und anpassen an diese, wie ich finde, modernen Zeiten.

Apropos moderne Zeiten und neue Forderungen: Wie stehen Sie zum Gendern?

Für mich ist es eine Verunstaltung der Sprache, die ich als nicht notwendig ansehe. Natürlich ist es so, dass das generische Maskulinum nur auf eine männliche Personengruppe abzielt. In meinem individuellen Verständnis aber empfinde ich mich als angesprochen, auch wenn ich „liebe Zuschauer“ höre. In meinen Texten benenne ich die Frauen konkret in ihren Funktionen, wie zum Beispiel die Ministerpräsidentinnen. Schließlich sind drei der 16 Personen in diesem Amt Frauen. Diese sprachliche Umständlichkeit nehme ich gerne in Kauf.

In Ihrem Berufsalltag begegnen Ihnen ja immer wieder erfolgreiche Frauen. Haben Sie ein Vorbild?

Da gibt es keine konkret, sondern ich verfolge mit Respekt und Anerkennung die Leistungen vieler Frauen, die sich in den immer noch männlich dominierten Strukturen in Politik und Wirtschaft durchsetzen. Und da gibt es doch immer mehr erfolgreiche Frauen!

Gibt es eine Mainzerin, die Sie besonders bewundern?

Frau Prof. Özlem Türeci, zwar in Siegen geboren, aber: Sie lebt und arbeitet seit Jahren in Mainz, ist Ehrenbürgerin unserer Landeshauptstadt – und vielfach geehrt, wegen ihrer Verdienste rund um die Krebsforschung und daraus resultierend einen Impfstoff, der in der Pandemie weltweit Menschenleben gerettet hat. Mehrfach habe ich sie erlebt – und bin begeistert von ihrer Bescheidenheit. Und die Erfolge als Medizinerin und Unternehmerin hat sie im Team erarbeitet. Ich denke, sie wird meinen Fokus aufs Team teilen. Es geht alles nur gemeinsam!

Sie selbst haben ein internationales Studium hinter sich, sind seit über 30 Jahren eines der bekanntesten Gesichter beim ZDF und haben das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen. Gibt es jetzt überhaupt noch Ziele, die Sie erreichen wollen?

„Höher, schneller, weiter…“ – das ist vorbei. Stellung halten, gesund bleiben und dafür tun, was möglich ist – das ist ein allgemeiner Wunsch. Und im großen Kontext? Man versucht, einen Beitrag zum Guten zu leisten, zumindest im Kleinen. Denn die Probleme im Großen sind so existenziell zurzeit, mit Blick auf die Kriege, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und den Krieg im Gazastreifen nach dem schrecklichen Hamas-Massaker. Dazu zunehmende Aggressionen in der Gesellschaft hierzulande. Und wenn man durch Moderation oder Spenden oder einzelne Engagements einen Beitrag dazu leisten kann, dass Menschen miteinander ins Gespräch kommen, dass man zu Frieden findet – das ist etwas, das mich immer antreiben wird.

Vielen Dank für das Gespräch!