Seit 2019 ist Christoph Hand (Grüne) Ortsvorsteher der Mainzer Neustadt. Mit rund 30.000 Einwohnern ist die Neustadt der bevölkerungsreichste Stadtteil von Mainz – und hat damit mehr Einwohner als Bingen oder Alzey. Hand zog vor 25 Jahren in die Neustadt, kommt ursprünglich aus Hessen. Im Merkurist-Interview spricht er über Grünflächen in der Neustadt, Tempo 30 und autofreie Quartiere.
Herr Hand, vor rund zwei Wochen wurde das Grünufer an der Nordmole eröffnet. Viele Mainzer dachten sich: Endlich mal ein bisschen Grün am Zollhafen. Warum gibt es dort sonst so wenig Grün, z.B. am Clarissa-Kupferberg-Platz?
Das liegt am Bebauungsplan, der vor 15 Jahren ins Leben gerufen wurde, um die ganze Fläche zu entwickeln. Die Vorstellung, wie z.B. der Clarissa-Kupferberg-Platz aussehen könnte, war damals noch ein bisschen anders als heute. Einfach etwas zu ändern, was damals festgeschrieben wurde, ist schwierig. Daher sind wir sehr glücklich über die grüne Nordmole. 10.000 Quadratmeter Grünfläche am Rheinufer sind eine tolle Sache. Früher war dort eine Containeranlage, ein Umschlagsplatz für Schiffscontainer. Das ist jetzt eine riesengroße Verwandlung. Auch die ganze Architektur, die wir dort sehen, mit den geradlinigen Achsen, den puristischen Gebäuden und Plätzen, ist vor 15 bis 18 Jahren projektiert worden. Was wir heute bekommen, ist das, was damals geplant wurde. [Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde geführt, bevor bekannt wurde, dass der Rasen aktuell vertrocknet ist.]
Aber könnte man denn heute einige der Flächen am Zollhafen entsiegeln?
Zurzeit wird noch ein großer Teil des Gebiets am Zollhafen von der Zollhafen GmbH entwickelt oder vorangetrieben. Wie es dann ganz am Ende aussieht, muss man sehen. Ich kenne das aus den alten Bereichen der Neustadt: So ein Quartier muss erst mal mit Leben gefüllt werden.
Es hieß vor wenigen Jahren noch, dass der Zollhafen bis 2026 fertig sein soll. Das ist nicht mehr realistisch, oder?
Nein, das ist absolut nicht realistisch. Wir kennen alle die Marktsituation. Zinsen steigen, Zinsen fallen. Dementsprechend stehen Entwickler vor einer großen Herausforderung. Eine weitere ist, dass die Baubranche stark kränkelt, wegen Rohstoffmangels, aber auch wegen eines Mangels an Fachpersonal. Natürlich hat auch der Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine Auswirkungen auf die Baubranche. Manche Entwickler sagen: Ich kriege meine Immobilien vielleicht nicht vermarktet, also trete ich davon zurück. Die Vermarktung von Grund und Boden ist tatsächlich die letzten Jahre schwieriger geworden.
Wann könnte denn der Zollhafen fertig werden?
Das wäre jetzt ein Blick in die Kristallkugel. Aber es sind nicht mehr so viele freie Parzellen. Genauer gesagt, gibt es noch ein Baufeld an der Rheinfront.
In den vergangenen 15 Jahren gab es am Zollhafen einige spektakuläre Zwischennutzungen. Erst die großen Konzerte, dann Planke Nord, zuletzt F. Minthe. Ist für so etwas noch Platz in der Neustadt?
Ich sage mal: immer wieder. Aber klar, so etwas wie ein Autokino auf dem Zollhafengelände oder die Planke Nord mit den Palettenhochburgen ist aktuell eher unrealistisch. Aber wir stellen fest, dass es immer wieder neue Pop-up-Möglichkeiten gibt. Unser Stadtteil ist riesig, und oft ergeben sich Möglichkeiten, die man heute noch gar nicht sieht.
„Die Klimakrise spüren wir jedes Jahr erneut und immer heftiger“
Wo könnte denn die Neustadt sonst noch grüner werden? Merkurist hat vor kurzem mit KI einige Mainzer Plätze, auch in der Neustadt, grüner gemacht.
Ja, das habe ich gesehen. Die Neustadt ist ein dicht bebauter Stadtteil mit über 30.000 Einwohnern. Orte für die ganz großen Umwandlungen von öffentlichem Raum muss man schon ganz genau suchen. Was auf jeden Fall im Fokus steht, ist der Erhalt der Grünanlagen. Das wird in Zukunft eine weitere große Herausforderung sein. Die Klimakrise spüren wir jedes Jahr erneut und immer heftiger. Wenn es über einen langen Zeitraum nicht mehr regnet, kommen auch die städtischen Gärtner nicht mehr nach. Das ist ein Riesenthema. Wir sind auch immer auf der Suche nach neuen Standorten für Bäume. Bäume sind ein wichtiger Faktor in einer Stadt. Deshalb schauen wir immer wieder, wo man noch neue Bäume pflanzen kann. Außerdem wünsche ich mir definitiv mehr Fassadenbegrünungen. Die sind jetzt glücklicherweise nach der Novellierung der Grünsatzung verstärkt vorgegeben worden. Aber es dauert natürlich, bis sich das auswirkt.
Auch verkehrstechnisch stehen in der Neustadt große Veränderungen an. Geplant sind eine neue Straßenbahnstrecke über die Rheinallee und eine Spange durch die Goethestraße bzw. Nahestraße.
Ich bin sehr glücklich über diese Entscheidung. Das war auch die Achse, die ich priorisiert habe. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass eine Straßenbahn durch die Hindenburgstraße fährt, wie es auch vorgeschlagen wurde. Wir haben dort alte Baumbestände und eine enge Achse. Ich sehe sie dementsprechend so, wie sie jetzt auch gestaltet ist: als Fahrradstraße und für Anlieger frei. Meine Wunschvorstellung für die Neustadt sieht so aus, dass im äußeren Ring – also Kaiser-Wilhelm-Ring und dann Rheinallee – die Straßenbahn fährt. In der Mitte der Neustadtachse, rund um die Hindenburgstraße, ist man überwiegend zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs. Menschen, die schneller unterwegs sein möchten, nutzen dann wahlweise den ÖPNV. In der Hindenburgstraße gibt es aber auch eine Buslinie, die sehr gut funktioniert.
Wenn die Straßenbahn durch die Goethestraße fahren soll, müssen wahrscheinlich entweder Parkplätze oder Bäume weichen.
Wie die genaue Planung dort aussieht, steht noch in den Sternen. Wichtig war für mich erst einmal, dass hier eindeutig die Achse auf der Rheinallee vor der Hindenburgstraße favorisiert wurde und diese Planung jetzt weiter vorangetrieben wird.
„Es gibt immer Menschen, die auf das Auto angewiesen sind“
Parkplätze sind in der Neustadt immer ein Riesen-Aufreger. Für die einen gibt es zu viele, für die anderen zu wenig. Wie sehen Sie die Parkplatzsituation in der Neustadt in fünf oder zehn Jahren?
Es gibt immer Menschen, die auf das Auto angewiesen sind. Die müssen auf jeden Fall die Möglichkeit haben, mobil zu sein. Wir haben in den letzten Jahren stark daran gearbeitet, dass wir Alternativen anbieten: Mietfahrräder, Verbesserung der Fahrradstruktur, Carsharing. Dass jeder seinen Stellplatz für seine private Mobilität in greifbarer Nähe oder direkt auf der Straße hat, das wird in Zukunft deutlich seltener. Es gibt mittlerweile gute Konzepte für die öffentlichen Parkhäuser, wie zum Beispiel Park@Night. Und bei allen Neubauten, die die letzten Jahre entwickelt wurden, ist auch immer eine Tiefgarage drunter.
Deutlich erhöht wurde auch der Preis fürs Anwohnerparken. Daran gab es viel Kritik.
In der Vergangenheit wurde der Anwohnerparkausweis kostenlos angeboten. Das kann man niemandem mehr erklären. Kostenlos deshalb, weil diese 60 Euro, die damals für zwei Jahre erhoben wurden, nur die Bearbeitungsgebühr für die Verwaltungsfachkräfte waren. Ich finde an der neuen Regelung fair, dass man jetzt nach der Größe des Fahrzeugs die Gebühr erhebt. Dann kann jeder selbst entscheiden: Möchte ich überhaupt noch ein Auto besitzen oder nutze ich eine der Alternativen, die angeboten werden? Welche Größe soll mein Fahrzeug haben? Miete ich einen festen Stellplatz in einer Garage oder stelle ich das Fahrzeug eben doch im öffentlichen Raum ab? Ich finde das durchaus zeitgemäß.
Autofreie Quartiere? „Warum nicht in der Neustadt?“
Könnten Sie sich in mittelfristiger Zukunft eine komplett autofreie Neustadt vorstellen?
Komplett autofrei? Das wäre schon sehr ambitioniert. Allerdings höre ich immer wieder in Gesprächen im Stadtteil, dass autofreie Quartiere schon gewünscht sind und dass das auch in anderen Städten bewiesenermaßen funktioniert. Warum nicht in der Neustadt?
Welche Quartiere kämen dafür in Frage?
Da sollte man schauen, welche Rahmenbedingungen vorherrschen. Fakt ist, dass man sensibel darauf achten muss, wo sich der Verkehr dann hinbewegt. Das müsste eine Studie zeigen. Prinzipiell bedeuten Quartiere ohne Autos für die Menschen vor Ort, aber auch für die Menschen, die sich dort bewegen, eine ganz starke Erhöhung der Lebensqualität.
Sie haben eben die Fahrradstraße erwähnt. Die Hindenburgstraße war vor zwei Jahren die erste Straße in Mainz, die umgewidmet wurde. Kommen weitere Straßen als Fahrradstraßen in Frage?
Mit Sicherheit. Ich denke da zum Beispiel an die Neustadtseite der Kaiserstraße. Die dritte Spur Richtung Innenstadt wird von Autofahrern kaum genutzt, weil sie irgendwann in die Hindenburgstraße bzw. Boppstraße einmündet. Hier könnte man eine Fahrradspur einrichten, um schneller von der Rheinachse zum Hauptbahnhof zu kommen.
Seit kurzem gilt in der Kaiserstraße und auf der Rheinachse wieder Tempo 30. Wie haben Sie die Diskussion davor erlebt?
Ich hatte mich schon 2019 dafür eingesetzt, dass wir auf der Rheinachse Tempo 30 bekommen. Deshalb war ich sehr glücklich, als es so kam und umso überraschter, als es dann wieder weggefallen ist. Die Rheinallee ist mittlerweile beidseitig bebaut und hat dadurch einen Schluchtencharakter. Dementsprechend sammelt sich dort der Lärm, der durch Verkehr verursacht wird. Außerdem sind Kitas und Schulen an der Straße. Wir haben gesehen, wie die Lebensqualität mit Tempo 30 gestiegen ist. In den wenigen Wochen mit Tempo 50 war der Unterschied doch immens. Tempo 30 war zunächst wegen der Verschlechterung der Luft eingeführt worden und wurde dann aufgehoben, als die Luft wieder besser wurde. Die Maßnahme hat ihre Wirkung gezeigt und daher habe ich mir umso mehr die Frage gestellt, warum diese wieder rückgängig gemacht wurde.
„Für den Großteil der Menschen ist Tempo 30 eine Verbesserung“
Jetzt wurde Tempo 30 wieder eingeführt mit der Begründung Lärmschutz. Nicht jeder ist davon begeistert.
Manche fühlen sich in ihrer Freiheit beschnitten. Aber für den Großteil der Menschen, vor allem für die, die dort wohnen, ist es eine Verbesserung.
Könnte bald nicht das gleiche passieren wie bei der Luftqualität: Jetzt ist es wieder ruhig, dann können wir ja wieder zu Tempo 50 zurück?
(lacht) Na, das hoffe ich nicht. Aber wer weiß: Wenn wir in Zukunft 100 Prozent elektromobil unterwegs sind, könnte sich das schon wieder ändern.
In der Neustadt gibt es jetzt kaum noch Tempo 50, abgesehen von den Randgebieten wie auf der Rheinallee Richtung Mombach.
Es gibt noch einen kleinen Abschnitt im Kaiser-Wilhelm-Ring – von der Boppstraße kommend bis zur Goethestraße. Hier wäre Tempo 30 aus Verkehrssicherheitsgründen wichtig. Wir sind dran und haben das im Ortsbeirat vor kurzem behandelt. Das muss jetzt weiter geprüft werden. Es ist am Ende nicht nur das Umschrauben von Verkehrsschildern, da ist ein langer, langer Prozess hintendran.
„Ein kleiner Traum, ein Quartier autoarm oder autofrei zu bekommen“
Welche sind für Sie persönlich die größten Themen in der Neustadt, die jetzt anstehen?
Einige haben wir schon angesprochen: Der Erhalt der Grünflächen ist ein wichtiges Thema, auch der Erhalt der Außengastronomie, die Unterstützung der Ehrenamtlichen und der vielen Vereine, die wir im Stadtteil haben. Und es wäre tatsächlich schon ein kleiner Traum, ein Quartier autoarm oder autofrei zu bekommen. Auch die Kultur haben wir immer im Blick. Bald wird die Kulturbäckerei fertig. Da bin ich sehr gespannt, das ist ein sehr wichtiges Thema für die Neustadt, aber auch über den Stadtteil hinaus. Der Erhalt von bezahlbarem Wohnraum ist immer ein Dauerbrenner. Hier haben wir jetzt mit der Milieuschutz-Satzung einen großen Wurf gelandet. Hinzu kommen viele Mikroprojekte von Fußgängerüberweg über Lastenradstellplatz im öffentlichen Raum bis hin zu kleinen städtebaulichen Veränderungen. Es gibt regelmäßige Feste wie neulich die Gaadefelder Kerb. Die Neustadt ist ein sehr lebendiger Stadtteil.