„Ich werde mich nicht ändern“: Der neue Ortsvorsteher von Mainz-Bretzenheim

Mainz-Bretzenheim hat einen neuen Ortsvorsteher. Was Manfred Lippold jetzt mit seinem Stadtteil vorhat, wie Fußball ihn in die Politik brachte und warum ein Regenbogenstreifen in Bretzenheim funktionieren würde, verrät er im Merkurist-Gespräch.

„Ich werde mich nicht ändern“: Der neue Ortsvorsteher von Mainz-Bretzenheim

Zehn Jahre lang war Claudia Siebner (CDU) Ortsvorsteherin von Mainz-Bretzenheim. Nach ihrem Abschied ging das Amt nun an ihren Parteikollegen Manfred Lippold: Im Juni 2024 gewann der 63-Jährige knapp die Stichwahl gegen Florian Kärger (Grüne). Wir haben mit dem neuen Ortsvorsteher gesprochen.

Merkurist: Herr Lippold, im Juni wurden Sie zum Bretzenheimer Ortsvorsteher gewählt, seit Ende der Sommerpause sind Sie auch offiziell im Amt. Wie fühlt sich das an?

Manfred Lippold: Ich habe mir schon vorher gesagt: „Wenn du es wirklich packen solltest, das wäre ein Riesending.“ Und jetzt kam es wirklich so. Schade, dass meine Mutter das nicht mehr erlebt hat. Oder mein Vater, der ist sehr früh gestorben. Der wäre vor Stolz geplatzt. Meine Mutter hätte gesagt: „Da trinken wir jetzt mal lecker Prosecco!“ (Lacht.)

Haben Ihre Eltern auch in Bretzenheim gelebt?

Ich bin geboren in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Als ich fünf Jahre alt war, sind wir nach Mainz gezogen. Da haben wir 1966 in Bretzenheim am Eselsweg gewohnt. Das war die Kante, da war noch nichts. Ein paar Häuser haben gestanden, es gab keine Infrastruktur, da war kein Sportplatz, keine Schule, also eigentlich gar nichts.

Das hat sich ja inzwischen geändert.

Allerdings. 1965 hatte Bretzenheim nur rund 9000 Einwohner, das habe ich letztens in einem Buch gelesen, das einer meiner Vorgänger zurückgelassen hat. Bis 1989 ist Bretzenheim auf knapp 17.000 Einwohner angewachsen. In den letzten 35 Jahren sind nicht mehr so viele dazugekommen, heute liegen wir bei knapp 20.000. Ich glaube, da ist jetzt auch die Grenze erreicht. Noch mehr Wachstum kann ich mir nicht vorstellen.

Fast 60 Jahre in Bretzenheim: Hat es Sie in der Zeit nicht mal weiter hinausgezogen?

Ich habe nur einen Hauptschulabschluss, dafür schäme ich mich auch nicht. Sport war mir immer wichtiger als die Schule. Deshalb habe ich nach der Schule direkt ein Handwerk gelernt, Zentralheizungs- und Lüftungsbauwerk bei der Firma Dornhöfer in Kostheim. Danach war ich bei der Bundeswehr. Aber von dort hat es mich wieder zurück in die Bretzenheimer Vereine gezogen, da hatte ich auch schon mit 16 Jahren angefangen. Seit 47 Jahren bin ich jetzt in der Jugendarbeit tätig und bin dem immer treu geblieben.

Was begeistert Sie daran?

Ich mag die Menschen. Ich mag nicht nur die guten Seiten, sondern auch ihre Fehler. Ich bin nicht jemand, der sich hinstellt und sagt: „Ich kann alles, ich bin alles.“ Ich mache genauso Fehler, auch jetzt noch.

In der Politik sind Fehler allerdings nicht gerne gesehen.

Das ist etwas, das ich einfach nicht verstehe. Leute, die in der Politik tätig sind, müssen endlich lernen, Fehler einzugestehen und die offen zu kommunizieren. Einen Fehler zu machen, ist nicht schlimm, solange man das Problem danach richtig angeht. Als Vorsitzender im Vereinsring beispielsweise habe ich immer viele Ideen gehabt. Da waren auch welche dabei, wo ich mir irgendwann eingestehen musste: Die kann man in die Tonne kloppen. Aber das ist noch lange kein Grund, dass ich mich zurückziehe. Dann kommt halt die nächste Idee, die man zusammen startet. Es geht darum, gemeinsam zu arbeiten und auch mal Verantwortung abzugeben. Ich bin so großgeworden und werde mich auch nicht ändern.

Ist das auch ihr Credo als Ortsvorsteher?

Auf jeden Fall. Ich habe wenige Sprechstunden im Büro, die Leute können mich anrufen. Dann komme ich vorbei, wir kommen ins Gespräch und können uns das Problem vor Ort anschauen. Vielleicht kann man das ja selbst angehen und auch die Nachbarn mit einbinden. Im Oktober habe ich die Aktion „Mal wieder vor der eigenen Haustür kehren“ gestartet. Es geht darum, den alten Ortskern von Bretzenheim auf Vordermann zu bringen – und einfach mal gemeinsam anzupacken, anstatt auf die Kehrmaschinen der Stadt zu warten. Wer teilhaben möchte, bringt seine Schippe mit, bringt seinen Besen mit. So kann man die Leute bewegen und die Gemeinschaft fördern. Das läuft schon ganz gut in Bretzenheim, aber trotzdem gibt es immer auch Leute, die eine schlechte Stimmung reinbringen.

Auch in der Politik?

Im Wahlkampf habe ich am Anfang mit vielen alten Hasen zusammengehockt, die mir teilweise nicht so gute Tipps gegeben haben – zum Beispiel, wie man einen harten Wahlkampf führt und den anderen bloßstellt. Da habe ich von vornherein gesagt: „Nein, keine Chance.“ Ich habe einen Wahlkampf gemacht, der auf mich zugeschnitten war und bei dem man niemandem wehtut. Denn damit könnte ich überhaupt nicht umgehen. Nachher ist zwar die Wahl gewonnen, aber dann guckt man sich nicht mehr an. Das ist jetzt zum Glück nicht so.

Sie verstehen sich also gut mit Ihrem ehemaligen Konkurrenten Florian Kärger (Grüne)?

Ich mag Flo sehr gerne, wir haben uns schon im Vorfeld gut verstanden. Auch mit den anderen Parteien haben wir eine gute Zusammenarbeit im Ortsbeirat. Wir schauen auch, dass wir uns außerhalb der Beiratssitzungen treffen und zusammen etwas trinken – also alle, die Zeit haben.

Apropos Zeit: Mit Beruf und der ehrenamtlichen Vereinsarbeit, wie sind Sie da auf die Idee gekommen, zusätzlich in die Politik zu gehen?

Angefangen hat das in meiner Zeit als Jugendleiter bei der TSG Bretzenheim. Mich hat schon immer geärgert, dass man die Sportvereine in der Politik nicht so gehört hat. 2003 ging es dann darum, ob Marienborn oder Bretzenheim einen Kunstrasenplatz bekommt. Wir wollten den wirklich gerne haben, weil so viele Fußballmannschaften in Bretzenheim beheimatet sind, vor allem auch Jugendmannschaften. Deshalb haben wir uns dafür starkgemacht und sind mit 220 Kindern, mit Erwachsenen, mit Fahnen, mit Transparenten hochgefahren zur Sitzung des Sportausschusses auf der Zitadelle. Wir haben richtig Randale gemacht (lacht). Trotzdem haben wir den Kunstrasenplatz in dem Jahr nicht bekommen, sondern Marienborn. Wir haben aber nicht lockergelassen. Ein Jahr später konnten wir dann auf unserem eigenen Kunstrasenplatz feiern. Aber ich dachte mir, das kann doch nicht sein, dass man immer nur bitten und betteln muss. Das ist doch der Auftrag, den die Politik hat: gerade die Jugend oder auch die Senioren zu stärken und ihnen die Möglichkeit zu geben, am gemeinschaftlichen Leben teilzuhaben.

War es dann direkt Ihr Ziel, Ortsvorsteher zu werden?

Eigentlich hatte ich nie Ambitionen. Aber ich bin da so sukzessive reingerutscht. Am Anfang habe ich mich nur bei der CDU angemeldet und Plakate geklebt. 2009 bin ich dann in den Ortsbeirat gewählt worden. Als die ersten fünf Jahre rum waren, ist Claudia Siebner Ortsvorsteherin geworden und hat mir gesagt: „Du musst Fraktionssprecher werden.“ Ich mag Claudia Siebner ungemein, wir haben ein tolles Verhältnis. Deshalb habe ich gesagt: „Okay!“ Das war wieder ein Baustein, wieder eine Treppe, die man nach oben geht. Letztes Jahr im Februar hat Claudia Siebner mir gesagt, dass sie nicht nochmal antreten will, und gefragt, ob ich mich zur Wahl aufstellen lassen möchte. Ich habe das dann nicht nur mit meiner Familie besprochen, sondern auch mit den anderen CDU-Mitgliedern. „Ist hier jemand anderes, der Lust hat und auch die Freizeit dafür opfern möchte?“ Das war nicht der Fall – und jetzt bin ich hier.

Jetzt, wo Sie Ortsvorsteher sind: Welche Probleme wollen Sie am dringendsten angehen? Was ist den Bretzenheimern besonders wichtig?

Ein Riesenthema: Bretzenheim braucht ein Bürgerhaus. Für unsere Vereine, aber auch als Treffpunkt und für Feiern. Der Plan ist, das alte Pfarrhaus St. Georg umzubauen. Wichtig ist, dass die Stadt das jetzt ankauft. Dann können wir in die Planungen gehen. Ein anderes Thema ist der Verkehrsdialog: Wie können wir in Zukunft die verkehrsberuhigten Zonen gestalten? Wie können wir den alten Ortskern umgestalten und lebenswerter machen – ohne dabei die Autofahrer zu vergessen? Der Verkehrsdialog hat Hunderte von Stunden investiert und ein Programm aufgestellt, es gab sogar schon einen Beschluss. Aber wir warten schon ein Jahr lang darauf, dass nur mal ein bescheidener Blumenkübel hingestellt wird, um zu sehen, wie es wird.

Welche Themen liegen Ihnen persönlich am Herzen?

Am wichtigsten ist mir das Bürgerhaus, als Haus der Vereine. Fertig wird das aber während meiner Amtszeit wohl nicht mehr. Aber es gibt auch noch einige weitere Themen. Ganz klar: Bretzenheim braucht Sportflächen. Und eins darf man nicht vergessen: die Landwirtschaft. Seit vier Jahren mache ich diese Landwirtschaftsfahrt durch Bretzenheim mit einem kleinen Trecker: „Geh nicht fort, kauf im Ort“. Da habe ich dann Produkte von verschiedenen Landwirten, die hier vor Ort produzieren. Wir haben so viele Dinge, die direkt vor unserer Haustür angeboten werden, und das will ich den Leuten rüberbringen. Ich will sie für das Thema Landwirtschaft sensibilisieren und unsere Landwirte unterstützen. Es ist schlimm genug, dass die Auswärtsfans der 05-Spiele meinen, über die Felder laufen und dort ihren Müll hinterlassen zu müssen.

Stichwort Mewa Arena: Es gab ja mal die Idee, dort Großveranstaltungen wie Konzerte zu organisieren. Der Bretzenheimer Ortsbeirat war nicht so begeistert davon. Was ist Ihre persönliche Meinung dazu?

Meine persönliche Meinung: Ich bin für alles offen. Aber ich glaube, der Großteil von Mainz-Bretzenheim hätte Probleme mit diesen Großveranstaltungen. Nicht nur wegen der Lautstärke, sondern auch wegen der Felder, die dann noch weiter zerstört werden würden.

Ein anderes umstrittenes Thema: Der Regenbogenstreifen in der Altstadt hat ziemlich gemischte Reaktionen hervorgerufen. Auch in Bretzenheim gibt es schon einen Antrag dafür, einen Regenbogenstreifen zu machen. Rechnen Sie da mit Widerstand?

Die Idee kam aus dem Ortsbeirat heraus. Dazu gibt es natürlich unterschiedliche Meinungen. Klar, der eine sagt: „Muss ich die Vielfalt auf dem Zebrastreifen leben? Die Gelder könnte man auch woanders einsetzen.“ Aber ich bin kein Schlechtredner, ich sehe viele Sachen positiv. Und wenn eine Minderheit da ist, die man schützen muss und die man vielleicht noch stärken kann mit gewissen Dingen, um darauf aufmerksam zu machen, ja warum denn nicht? Jeder soll sein Leben so gestalten, wie er das für richtig hält. Für mich persönlich ist das kein Thema und für viele Bretzenheimer, glaube ich, ist es auch keins. Es gibt immer wieder Leute, die das anders sehen. Das ist auch gut so, man darf und man kann sich darüber unterhalten. Aber es wird jetzt nicht eine Regenbogenmarkierung sein, die Bretzenheim komplett aus den Fugen reißt. Das kann ich mir nicht vorstellen.

Wie tickt Bretzenheim denn grundsätzlich? Wie würden Sie den Stadtteil charakterisieren?

Das Lebenswerte an Bretzenheim ist, dass die Menschen so offen sind. Bretzenheim ist ein lustiges Völkchen, Bretzenheim feiert gerne. Bretzenheim ist aber auch, mit im Boot zu sein, wenn Menschen in der Not sind. Ich kann mich daran erinnern, als damals die Flutkatastrophe in Bad Neuenahr-Ahrweiler war. Als ich Spenden gesammelt und nach Helfern gesucht habe, kamen unglaubliche Mengen zurück: 25.000 Euro Geldspenden, 36.000 Euro Sachspenden. Alle Vereine haben mitgeholfen und sich ins Zeug gelegt. Das war bestimmt auch in anderen Orten so. Aber ich kann da nur für Bretzenheim sprechen. Bretzenheim ist nicht nur der lustige Club, sondern macht sich auch stark, wenn es um Ungerechtigkeiten geht. Mutig genug, um zu sagen, wir gehen voran.

Vielen Dank für das Gespräch!