Auch wenn Kabarettist Lars Reichow in diesem Februar nicht bei „Mainz bleibt Mainz“ zu sehen war, ist es um ihn in Mainz nicht still geworden. Vor kurzem hat er eine Spendengala für die Ukraine im Staatstheater mitorganisiert und moderiert, zudem lief im Oktober sein neues Kabarett-Programm an. Im Merkurist-Gespräch macht er deutlich, was beides seiner Meinung nach mit Haltung zu tun hat – und wie er andere dazu bringen will, sich ebenfalls zu engagieren.
Merkurist: Ihr neues Programm heißt „Boomerland“. Da drängt sich mir die Frage auf: Was ist für Sie denn ein Boomer? Und in welcher Welt lebt er?
Lars Reichow: Die Generation der Boomer ist riesig groß. Wenn man es großzügig nimmt, sind das die 50- bis 70-Jährigen. Diese Gruppe hat also Einfluss allein durch ihre schiere Menge an einflussreichen Menschen und sie ist auch vermögend! Die Boomer, das sind die, die jetzt darüber entscheiden, ob dieses Land sich noch mal bewegt oder ob wir uns von der Zukunft verabschieden, um noch ein paar letzte Flugreisen und Kreuzfahrten in Angriff zu nehmen. Es ist die entscheidende Generation. Für mich ist die Forderung an meine Altersgruppe ganz klar: Lasst uns unseren Einfluss und unser Vermögen dafür einsetzen, die Zukunft, die gesellschaftliche Transformation anzugehen und zu gestalten. Und außerdem gilt es, für Gerechtigkeit und Freiheit in einer Demokratie zu kämpfen!
Also wollen Sie den Boomern eine Botschaft übermitteln?
Zuerst will ich, dass sich mein Publikum wohl fühlt und wir gemeinsam lachen können über andere und uns. Aber natürlich geht es auch um die Frage: Wie wollen wir dieses Land, wie wollen wir Europa, wie wollen wir die Welt am Ende sehen? Die Achse der Autokraten – China, Russland, Nordkorea, Syrien und andere Unterdrückersysteme – nehmen keine Rücksicht auf den Zustand der Erde. Hier geht es um Macht und Einfluss, um das Geschäft mit fossilen Rohstoffen.
Unsere Chance liegt darin, einen positiven, hoffnungsvollen Ansatz zu wählen. In meinem Programm „Boomerland“ gibt es eine Passage, die ich „Politik und Haltung“ nenne. Es ist ein Appell an alle, sich auf die Zukunft einzurichten, mit Freude an der Veränderung. Und mit einer klaren Abgrenzung zu denen, die tumben Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit zu einer Lösung aller Probleme machen wollen. Keine Macht den Populisten! Ich kann heute kein Kabarett-Programm schreiben, ohne diese Wahrheiten auszusprechen. Wir brauchen eine Moral, eine Gesellschaft mit Rückgrat und Charakter, gerade und besonders vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine.
Vor 20 Jahren konnte man noch leicht über alle politischen Akteure Witze machen. Man wählte links und rechts, die Akteure waren mal talentiert, mal unfreiwillig komisch und tapsig. Aber eins war bei allen gleich: Im Parlament saßen ausschließlich Demokraten! Davon sind wir heute leider weit entfernt.
Sie organisieren seit Beginn des Krieges Benefizveranstaltungen für die Ukraine. Wie steht es Ihrer Meinung nach um die Bereitschaft, hier noch weiter zu unterstützen?
Ich glaube grundsätzlich, dass die meisten Menschen in unserer Gesellschaft mithelfen wollen. Ich kenne viele, denen das alles sehr nahe geht. Sie suchen nach einer Möglichkeit, Hilfe leisten zu können, die ohne Verluste bei denen landet, die sie auch dringend nötig haben. Wir haben in den vergangenen Jahren viele, sehr nützliche, wunderbare Veranstaltungen mit viel Musik aus der Ukraine, Historikern und mit voller Unterstützung aus der Politik machen können.
Gemeinsam mit dem Ukrainischen Verein Mainz werden wir am 5. Dezember dieses Jahres im Schloss wieder eine große „Mainz versteht die Ukraine – und hilft weiter!“-Veranstaltung organisieren, zu der sich jeder anmelden kann. Im Vorfeld werde ich Großspender ansprechen, damit wir unser Spendenziel vom letzten Mal übertreffen, dieses Mal sollen 100.000 EUR zusammenkommen. Wir machen diese Abende im festen Glauben an ein Überleben der Ukraine, wir machen das für die wunderbaren Menschen aus diesem Land, die mich persönlich durch ihre Bodenständigkeit, ihren Fleiß und ihren Mut, ihren Glauben, aber auch durch die ihre reichhaltige Kultur tief beeindruckt haben. Ich habe von den ukrainischen Freunden gelernt, worauf es ankommt: Es geht nicht darum, Putin zu hassen. Es geht darum, der Ukraine zu helfen!
In den USA stehen die Präsidentschaftswahlen an, über Trump haben Sie sich mehrfach öffentlich geäußert. Was glauben Sie, welche Folgen es haben könnte, sollte er wiedergewählt werden?
Am Anfang war Trump eine lustige, skurrile Figur. Man konnte sehr gut über ihn lachen, seine primitive Art, die Menschen zu überzeugen. Dann wurde er Präsident, ein überforderter, nichtsnutziger, Putin-höriger Schwachkopf. Heute wissen wir, dass Trump ein charakterlich ungeeigneter, verurteilter Krimineller, Vergewaltiger und Betrüger ist. Er ist gefährlich und offenbar geneigt, sein Schicksal mit dem Amerikas zu verknüpfen, auch wenn beide gemeinsam dabei untergehen.
Auf der anderen Seite haben die Demokraten eine respektable Alternative angeboten, eine viel jüngere, kompetente, klar strukturierte und engagierte Demokratin, von Beruf Staatsanwältin. Wenn ich die Wahl hätte zwischen einer Staatsanwältin und einem verurteilten Kriminellen, dann wüsste ich genau, was zu tun ist. Es ist traurig, dass viele Amerikaner das nicht ganz selbstverständlich sehen, aber für Kamala Harris wird sich hoffentlich am Ende eine satte Mehrheit finden. Dann ist der Spuk um Trump vorbei.
Und falls das nicht klappt?
Wir müssen uns vor Augen halten: Wir leben zu Zeiten einer Zivilisationskrise. Der Klimawandel wartet nicht mehr lange, er wandelt ja schon. Wenn Trump die Wahl gewinnt, dann müssen wir nicht nur vier Jahre länger warten, sondern er wird dafür sorgen, dass manche hoffnungsvollen Ansätze sogar umgekehrt werden. Trump ist ein Verlierer, ein Schaumschläger – wenn er die Wahl verliert, dann wird er im Gefängnis landen, mindestens so enden wie sein insolventer, geächteter Freund Rudolph Giuliani. Für Trump schlägt im November die Stunde der Wahrheit. Wer weiß: Vielleicht wird er sich eines Tages wünschen, die Kugel hätte nicht nur sein Ohr gestreift … Für solche Typen gibt es keine guten Abgänge mehr.
Sie scheuen klare Worte nicht, auch nicht bei „Mainz bleibt Mainz“ im letzten Jahr. Bei Ihrem Auftritt haben Sie die AfD kritisiert und sie als „Haufen ungehobelter Arschlöcher“ bezeichnet. Dafür hat ein bayerischer AfD-Politiker sie dann angezeigt …
Es wurden sogar fünf oder sechs Anzeigen eingereicht, aber sie wurden vom Gericht nicht angenommen. Das wurde alles abgeschmettert, weil meine Äußerung von der Meinungsfreiheit gedeckt war. Das heißt, da gab es keine Gerichtsverfahren.
Bereuen Sie mittlerweile, was Sie damals gesagt haben?
Manche Folgen tun mir leid. So hat der SWR zum Beispiel sehr viel Arbeit damit gehabt. Die AfD hat dem Rundfunkrat viele Sitzungen abgezwungen. Aber ich muss ehrlich sagen: Vielleicht habe ich mich noch nicht deutlich genug ausgedrückt. Das geistig-moralische und das politische Niveau der AfD im Bundestag und in den Landtagen ist – wie jeder sehen kann – erschreckend. Diese Partei ist nicht gekommen, um Politik besser zu machen. Sie sind gekommen, um unsere Staatsform zu verwirren und sie zu zerstören. Ich wünsche mir ganz viele Menschen, die mich unterstützen, genau das zu verhindern. Die AfD muss verschwinden!
Was könnte bei den AfD-Wählern Ihrer Meinung nach ein Umdenken erzeugen?
Wir können nicht warten, bis dieser Trümmerhaufen in die Staatskanzleien einzieht und sich daran macht, die demokratischen Strukturen auszuhebeln. Die beste Wirkung wird eine Regierung haben, die mit vernünftigen Debatten und kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gute Arbeit macht. Ohne Streit und mit einer gemeinsamen Kraft, die Einigkeit und Zielstrebigkeit zum Ausdruck bringt.
Und gleichzeitig sollten wir – nach allem, was bekannt ist – ein Verbotsverfahren anstreben, denn die AfD hat in einer Demokratie nichts verloren. Die Wähler müssen erkennen, dass sie keinen Platz hat in einer freien, pluralen und modernen Gesellschaft mitten in Europa. Man kann sich als Demokrat nur dafür schämen, wie sie sich in den Bänken der Landtage und im Bundestag aufführen. Eine peinliche Episode in der Geschichte unseres Landes, die hoffentlich bald überwunden ist.
Wenn Sie nun noch einmal eingeladen würden zu „Mainz bleibt Mainz“, würden sie dann wieder mitmachen?
Oh ja, ich werde mich sehr anstrengen, um im nächsten Jahr wieder mitmachen zu dürfen. Ich liebe diese Bühne und die Fastnacht ist ein Teil meines Lebens. Und die Mutter aller Sitzungen, „Mainz bleibt Mainz“, ist natürlich fantastisch geeignet, um Botschaften zu überbringen. Ich möchte in der kommenden Kampagne wieder alle begeistern mit einem witzigen Vortrag und einer unmissverständlichen Haltung.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Reichow!
Das Interview führten Anna C. Huber und Julia Broder.