Millionen jüdischer Menschen aus allen Teilen Europas wurden während der Zeit des Nationalsozialismus ermordet. Sinti und Roma, Behinderte, Alte und Kranke, Homosexuelle, politisch Andersdenkende, sogenannte „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ sowie Kriegsgefangene wurden ins Konzentrations- und Vernichtungslager von Auschwitz deportiert.
Am 27. Januar 1945 wurde das KZ Auschwitz befreit. Bundesweit gedachte man daher am Montag den Opfern des Nationalsozialismus, so auch in Mainz. Hier veranstaltete der Landtag Rheinland-Pfalz im Gebetshaus der Neuen Synagoge eine Gedenksitzung mit prominenten Gästen und sorgenvollen Gesprächen.
Kapelle wird zu Synagoge
Mit dabei waren nicht nur etwa Landtagspräsident Hendrik Hering und Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) sowie der jüdische Journalist Dr. Ronen Steinke, sondern auch Überlebende des Holocaust, darunter der 104-jährige Nicolaus Blättermann. Mit 19 Jahren wurde er damals deportiert. 1953 zog er aus Berlin nach Bad Kreuznach und baute hier die jüdische Gemeinde mit auf, dessen Ehrenvorsitzender er heute ist.
Damals hatte er eine ehemalige Baptisten-Kirchenkapelle der US-Army abgekauft und sie zu einer Synagoge umgestalten lassen. Als „Heimat für die ganzen Zuwanderer, die nach Bad Kreuznach gekommen sind“, berichtete er am Montag in Mainz. „Ein Traum, der in Erfüllung gegangen ist.“ Inzwischen mache er sich Sorgen um die Zukunft der Synagogen.
Blättermann sprach mit der Mainzer Studentin Julia Panasyuk von der Jüdischen Kultusgemeinde Mainz-Rheinhessen. „Emotional und eine große Ehre“ sei das Treffen mit Blättermann, so Panasyuk, die als Kind mit ihrer Familie aus der Ukraine in die Region gezogen ist und schon früh die jüdische Gemeinde in Bad Kreuznach besuchte. Sie war selbst am 7. Oktober 2023 in Israel, zum Zeitpunkt des Hamas-Überfalls. Ihre Schwester und Teile ihrer Familie leben weiterhin dort.
Als sie nach Deutschland zurückgekommen war, sei der Schock groß gewesen, berichtete sie am Montag: Statt Solidarität und Unterstützung sei die Flagge vor dem Mainzer Stadthaus angezündet worden. „Es ist schrecklich, man muss wachsam sein“, so Panasyuk. So müsse sie sich sogar die Frage stellen, ob sie sich als Jüdin in der Öffentlichkeit bekennen könne oder den Davidstern an der Kette unter dem T-Shirt tragen sollte.
Antisemitismus weiterhin Teil der Gesellschaft
Auch Landtagspräsident Hering warnte davor, dass Antisemitismus nach wie vor Teil der Gesellschaft sei und sich seine Wege suche. „So begann es damals, und so kann es wieder beginnen.“ Hering sprach von der „monströsen Mordmaschine“ Auschwitz, von einer „Hölle, der nur wenige entrinnen konnten“.
Viele Deutsche seien daran beteiligt gewesen, „durch aktive Teilnahme und durch Unterlassen“, so Hering. Demokratien in ganz Europa hätten damals unter Beschuss von Extremisten und Nationalisten gestanden. Hering sieht darin „erschreckende Parallelen zu unserer Gegenwart“. Damals habe es „gezielte Hetze, Desinformation“ gegeben. Es sei Angst gemacht, aufgewiegelt worden, auf „menschenverachtende“ Weise.
Und, so Hering weiter: „Es wäre zu stoppen gewesen, wenn nicht das Schweigen der Mehrheit so ohrenbetäubend“ gewesen sei. „Die Mittäter und Mitläufer hatten den Massenmord erst möglich gemacht.“ Viele Verbrecher seien zudem damals straffrei davongekommen.
„Antisemitistische Angriffe haben wieder zugenommen“, erklärte auch Ministerpräsident Schweitzer, sie seien „salonfähig“ geworden, ein „Angriff auf unsere Demokratie“. Und er warnte: „Eine offene Gesellschaft, eine freiheitliche Demokratie kann sich verändern, ärmer werden, erfrieren und aus der Hand rutschen.“ In dieser Lage befinde sich die Gesellschaft momentan. Daher sollten diejenigen „schämen“, die dazu aufrufen, mit dem Gedenken aufzuhören, so Schweitzer.
Das SWR übertrug die Gedenkveranstaltung live. Falls ihr sie verpasst habt, könnt ihr sie euch in der ARD-Mediathek noch einmal ansehen.