Wie Wokeness und politische Korrektheit den Humor gefährden

Wokeness, Sprachpolizei, verletzte Gefühle: Komiker und Kabarettisten wie Michael „Bully“ Herbig und Serdar Somuncu verzweifeln an der politischen Korrektheit. Gastautor Jürgen Kessler wünscht sich mehr Hegel und weniger Jakobinismus.

Wie Wokeness und politische Korrektheit den Humor gefährden

Vieles wird zusehends schlechter, anderes wegsehends nicht besser. Der das sagte, hieß Helmut Qualtinger, war ein weltbekannter Schauspieler (Der Name der Rose) aus Wien, und wenn er als Kabarettist und Autor in Mainz gastierte, gab er sich seinem kennerischen Publikum im Unterhaus auch schon mal hochtrunken zur unverstellten Betrachtung frei, las aus seinem berühmten ‚Herrn Karl‘, verkörperte geradezu diesen kleinbürgerlichen Spießer, der sich stets den Guten zurechnet: opportunistisch, borniert, wehleidig, selbstgefällig.

Natürlich eckte er damit auch an. Wer Sinn für das Gegenteil von ‚Political Correctness‘ hatte, konnte an ihm seine Studien treiben, nur kannten wir diesen Begriff gar nicht. Wir scherten uns auch nicht daran, diesem ebenso lebenssüchtigen wie ‚weanerisch‘ morbiden Österreicher nach seinem Programm zur Entspannung in der Anatomica-Bar Gesellschaft zu leisten, damals den Freunden der Nacht ein verlässliches Etablissement in der Breitenbacher Straße.

Wokeness, Gender, politische Korrektheit

Es war etwa zu der Zeit, als Hanns Dieter Hüsch den Tag kommen sah, an dem alle in unseren Breiten zugleich Ärzte und Patienten sein werden, an dem jeder jeden operiert, die Frauen keine Frauen, die Männer keine Männer, die Kinder keine Kinder mehr sind, nur noch kleine, abgewetzte Gesichter auf verhältnismäßig großen Körpern – und umgekehrt. Poeten, seismographisch begabte Dichter, erfassen Irrlichterndes am Horizont eben noch bevor die Strategen neuer Weltordnungen dem gefügigen Markt mit ihren abgezirkelten Begriffen einheizen – ganz gleich, ob es sich um Wokeness, Gender oder eben die sogenannte politische Korrektheit handelt.

Trotz medialer Dauerberieselung für die heute beanspruchte ‚Zeitenwende‘ im täglichen Verhalten, bei Anschaffungen oder dem Gebrauch der eigenen Sprache, entdecken immer mehr Zeitgenossen nichts als unsinnig aufgenötigte Importe, denen ein monströser Defekt innewohnt. Die Strippenzieher hinter dieser Denk- und Lenkungsart, von WEF bis WHO, haben sich übrigens noch nie für die letzte Generation gehalten. Warum auch? Sie haben ihre Schäfchen im Trockenen, um Armutsverteilung geht es bei ihnen nicht. Die heutige Planwirtschaft ohne Plan, der neue Drang zum sozialistischen Einheitsglück, wird sie selber nicht treffen auf unserer Erde. Die dreht sich ohnehin beharrlich weiter, genauso wie sie es nach 1945, nach 1918 und nach 1789 getan hat.

Die woken Jakobiner

Apropos französische Revolution: ‚Woker’, sprich: unduldsamer, als diese mörderischen Weltbeglücker, voran die radikalen Jakobiner und Sansculottes, konnte man wohl seinerzeit kaum sein. Enteignet und geschreddert hat der gnadenlose Pöbel nicht nur korrupte Absolutisten, ignorante Aristokraten, faule Reiche, oder den verblendeten, bigotten Klerus, auch der den Alltag einteilende christliche Kalender musste weg, wurde quasi weggegendert, ersetzt durch einen von Gott befreiten, naturalistischen Revolutionskalender, den auch die Nazis nicht besser hingekriegt hätten. Der hielt ein dutzend Jahre lang, dann wollte man den traditionellen Kalender zurück.

Aber der Kitt der abendländischen Zivilisation, das Christentum, hatte noch vor der Säkularisation im Bannstrahl der linken Hasardeure zu erodieren begonnen. Den bürgerlichen Girondisten, die gerne ohne Guillotine ausgekommen wären, warf man fehlende politische Korrektheit vor und grenzte sie unbarmherzig aus. Kopflosigkeit nahm ihren Lauf, das in Ideologie getränkte Fallbeil ruhte nicht; Humorlosigkeit war allgemeine Geschäftsgrundlage.

Bully Herbig sieht Zukunft der Komödie in Gefahr

Daran musste ich denken, als ich Michael ‚Bully‘ Herbig von dunklen Zeiten, die auf uns zukämen, reden hörte. Wie oft in der Geschichte waren die Zeiten schon dunkel? In einer Talkshow hatte er – Ironie – einen Katalog propagiert, in dem aufgelistet sein sollte, über welchen Mensch man noch Witze machen darf, über welchen nicht, über welchen Kulturkreis noch geflachst werden darf, über welchen nicht. Denn dauernd sei irgendwer in seinen Gefühlen verletzt, verstoße man gegen die totalitären Moralideen von irgendwem, steige einem die gestrenge Sprachpolizei aufs Dach.

Er selber habe keinen Spaß mehr daran, unter solchen Bedingungen überhaupt noch Komiker zu sein. Irgendwann würde es den Autoren angesichts unüberschaubar vieler Fettnäpfchen zu heiß, dann würde es keine Komödien mehr geben. Das verstehe ich, da ist was dran, er wäre nicht der erste, der wegen Unverträglichkeit mit der woke organisierten medialen Öffentlichkeit sich selbst das Bühnenlicht ausknipste.

Der Shitstorm wird gewiss nicht ausbleiben

Kurz danach schickte mir Lisa Fitz den Link zu ihrem neuen Song „Der Journalist (...ist was er ist)“ auf Youtube. Sie hält der grassierenden Pervertierung unserer hergebrachten Werte unerschrocken entgegen. Tiefes Durchatmen, der Shitstorm wird gewiss nicht ausbleiben. Obschon Lisa ganz im Sinne dessen argumentiert, was die vornehmste Pflicht des Journalismus in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist, nämlich zu berichten über das, was ist, und nicht zu indoktrinieren, was seiner Meinung nach sein sollte. So habe ich es im Aufbaustudium Journalistik an der Uni Mainz einst gelernt. Genauso wie den Merksatz, dass es Wahrheit nur zu zweit gibt, angelehnt an Hegels Postulat: Das Ganze ist die Wahrheit. Heute fühlt man sich einsam mit dieser intellektuellen Grundausstattung.

Das scheint auch dem Kabarettisten Serdar Somuncu so zu gehen, einem unbestechlichen politischen Analytiker mit klaren Texten, der an Dieter Hildebrandts und Georg Schramms Wut und Mut erinnert; auch er hat bereits ans Aufhören gedacht. Er sieht die Grundlagen unseres gemeinsamen kulturellen Selbstverständnisses bröckeln.

Draußen herrscht zurzeit die kalte Sophie, drinnen denke ich, dass alles schon mal da war. Der Mensch irrt, solang er strebt. Es ist nichts Neues unter der Sonne und der Stein der Weisen wurde noch nicht gefunden, genauso wenig wie der Schatz der Nibelungen. Alles ist komisch. Nur die Lage ist ernst.

Gastautor Jürgen Kessler unterhielt über drei Jahrzehnte eine Künstler- und Tournee-Agentur, von der Lisa Fitz sich einige Jahre vertreten ließ. Von 1989 bis 2019 leitete er das Deutsche Kabarettarchiv.

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