Mainzer Partnerstadt Haifa hält nach Hamas-Terror zusammen

Der gebürtige Mainzer Tobias Huch ist unter anderem wegen seines Einsatzes für kurdische Flüchtlinge bekannt geworden. Nun war er als Journalist in Israel, genauer gesagt in der Mainzer Partnerstadt Haifa. Für Merkurist schildert er seine Eindrücke.

Mainzer Partnerstadt Haifa hält nach Hamas-Terror zusammen

Haifa, die nach Jerusalem und Tel Aviv drittgrößte Stadt im Norden Israels, ist sehr arabisch geprägt. Wie kaum anderswo in Israel leben hier muslimische Araber, Juden und Christen friedlich Seite an Seite. Nach dem Massaker des 7. Oktober – einem Verbrechen, das man in puncto Grausamkeit und Tragweite durchaus mit dem 11. September vergleichen kann, war die Lage in Israel sehr angespannt und es taten sich leider auch Gräben des Misstrauens auf. Konnte man den Arabern noch vertrauen? Wie soll das Zusammenleben weitergehen? Immerhin hatten viele palästinensische Araber, die in den Kibbuzen rund um Gaza arbeiteten, die Israelis verraten und verkauft; sie haben nachweislich Sicherheitscodes weitergegeben, der Hamas vertrauliche Informationen verschafft und so dafür gesorgt, dass ihre jüdischen Brotgeber und ihnen vertrauenden Freunde brutal und unmenschlich abgeschlachtet wurden.

Haifa, die Stadt der Hoffnung: Hier betraten etliche Holocaust-Überlebende vor über 75 Jahren zum ersten Mal den Boden des britischen Mandatsgebiets „Palästina“ und später dann Israels; zuvor war die Stadt seit dem 19. Jahrhundert Schmelztiegel von Einwanderern aus der ganzen Levante gewesen: Araber aus den Libanon-Bergen, Maroniten, syrische Christen, Jordanier. Vielfalt herrschte hier schon vor, lange bevor der Begriff im Westen zum politischen Schlagwort wurde. Nirgendwo sonst kann man dieser Tage wohl einen besseren Einblick in die Seele Israels bekommen als hier. Seit 1987 ist Haifa Partnerstadt von Mainz. Und weil ich selbst Mainzer Wurzeln habe, ist für mich der Besuch dort ohnehin etwas Besonderes.

Begegnung in einem Restaurant

Ein „Bild“-Artikel hatte meine Neugier auf ein stark frequentiertes Hummus-Restaurant geweckt. Hummus, jene schmackhafte Kichererbsenpaste, die es in allen Variationen gibt, ist im gesamten Vorderen Orient sehr beliebt, so auch hier. Der Inhaber des Lokals, Ossama Abou-Chaker (50) trägt den in Deutschland negativ behafteten Clan-Namen „Abou-Chaker“. Vor allem Arafat Abou-Chaker ist vielen ein Begriff; Menschen mittleren Alters kennen ihn noch als „Manager“ des Rappers Bushido, die Jüngeren hingegen als TikTok-Clown.

Bei den Behörden ist er neuerdings aktenkundig als jemand, der Adolf Hitler relativiert und sich über andere Religionen lustig macht. Ich selbst habe ihn vor Jahren kurz als „unwichtigen Dorfgangster aus einem Dorf kurz vor Polen“ (gemeint war Berlin) bezeichnet, und bis heute glaube ich, dass diese Beschreibung am besten zu ihm passt. Doch zurück zum Hummus-Restaurant: Tatsächlich soll Ossama Abou-Chaker ein Onkel der Berliner Clanchefs x-ten Grades sein. Auf Arafat angesprochen stellte er jedenfalls klar, dass zu diesem kein Kontakt bestünde; die Verbindung war ihm – verständlicherweise – unangenehm, schon deshalb wäre es unhöflich gewesen, weiter nachzuhaken. Warum auch? Der Mann betreibt ein über Generationen aufgebautes, ordentliches Geschäft und genießt in Haifa, ja in ganz Israel, einen tadellosen Ruf. Wohlbegründet – wie seine leckeren Hummus-Spezialitäten beweisen.

Sofort unterstützte Gastronom Abou-Chaker als arabischer Israeli die IDF (Israelische Armee) in ihrem Kampf gegen die Terroristen der Hamas, indem er den Soldaten kostenlos Hummus lieferte; eine Geste, mit der er sich in Israel viele Freunde, aber auch einige Feinde machte. In der größten Tageszeitung Israels, der „Jerusalem Post”, stand zu lesen, es hätte arabische Boykottaufrufe gegen seinen Laden gegeben.

Zusammenhalt bleibt bestehen

Mir gegenüber tat Abou-Chaker dies mit den Worten ab: „Das sind Radikale. Mit denen will ich nichts zu tun haben!“ Die lange Schlange vor seinem Laden gab ihm Recht. In seinem Restaurant kommen alle Bürger Haifas zusammen: Soldaten, junge Frauen, Muslime, Geschäftsleute. Hier gibt es keine Aggressionen, kein böses Wort. Es herrscht ein Zusammenhalt vor, von dem man in den deutschen Medien nur sehr selten bis überhaupt nicht liest. Überhaupt ist die deutsche Wahrnehmung sehr schwarz-weiß geprägt: Auf der einen Seite „die Juden“ (oder direkt „Siedler“), auf der anderen Seite die „unterdrückten Palästinenser“, die mit Israel nichts zu tun haben. Falscher könnte der Eindruck gar nicht sein, wie ich bei meinen Reisen durchs Land immer wieder feststelle.

Und auch Abou-Chaker war bemüht zu betonen, dass hier, in Haifa, wirklich alle zusammenhalten – egal ob jüdischer, muslimischer oder christlicher Israeli. Die Bevölkerung rückt zusammen, wenn sie von außen angegriffen wird. Hier im Norden, in Haifa, geht die größere Bedrohung auch nicht von der Hamas aus, sondern von der weit gefährlicheren Hisbollah im Libanon. Diese verfügt über ein zehnfach größeres Waffenarsenal und wird direkt vom Iran mit allem ausgerüstet, was er für einen offen angekündigten neuen Holocaust an den Juden braucht. Mag sein, dass auch die radikal-schiitische Hisbollah ihren Teil dazu beiträgt, die Bevölkerung Haifas zu vereinen (denn die überwiegende Mehrheit der arabischen Israelis sind Sunniten, die von einem radikalen Mullah-Regime der Schiitennichts Gutes zu erwarten hätten); doch das ist nur Spekulation und basiert eher auf meiner subjektiven Wahrnehmung, die von meiner Arbeit in Kurdistan, dem Irak und Syrien geprägt ist.

Im Restaurant Abou-Chakers spürte man jedenfalls nicht das Geringste von Spaltung. Auch wir wurden freudig als Ausländer – ich zudem als gut erkennbarer Journalist – begrüßt und willkommen geheißen; mein Kameramann und ich bekamen sogleich einen Premium-Tisch im Restaurant zugewiesen und man servierte uns jeweils eine große Portion Hummus mit Fleisch und Pilzen.

Gastfreundschaft

Am Ende jedoch kam dann doch die eindeutige arabische Kultur durch: Unser angebotenes Geld zur Bezahlung wurde unter wildem Gestikulieren und Protest nicht angenommen. Die Besucher am Nachbartisch erklärten uns, dass wir als Gäste aus dem Ausland, die gerade in diesen Zeiten nach Israel kommen, keinesfalls bezahlen dürften! Eine ganz wundervolle Gastfreundschaft also, die bei Arabern zum Ehrverständnis zählt. Lieber hätten sie uns noch die ganze Speisekarte hoch und runter als Wegzehrung mitgegeben, als dass sie auch nur einen Schekel (die israelische Währung) von uns angenommen hätten. Im Irak und Syrien ist das nicht viel anders.

Die Hafenstadt Haifa zeigt, dass die Mainzer Partnerstadt offen für alle und jeden ist. Sie ist nicht nur ein Tor zu Welt; sie ist ein Tor zu Israel und damit eine offene Pforte zu der ganz Israel prägenden toleranten, offenen Gesellschaft; eine multikulturelle Gesellschaft, die in Deutschland leider oft nur ein frommer Wunschtraum ist. Die zuweilen als etwas grob empfundene israelische Direktheit und Ehrlichkeit wird durch die in Haifa vorherrschende arabischen Sanftmut angenehm kontrastiert. Ich finde: Haifa passt sehr gut zu meiner alten Heimatstadt Mainz!