Lebensmittelverschwendung: Das sagt die Mainzer „Container“-Community

Lebensmittel aus Containern zu holen ist illegal – bis jetzt. Doch würde eine Legalisierung überhaupt etwas ändern? Wir haben mit einem Mainzer gesprochen, der viele Jahre lang „containert“ hat.

Lebensmittelverschwendung: Das sagt die Mainzer „Container“-Community

Elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen jedes Jahr im Müll – so jedenfalls lautet die offizielle Zahl. Michael Bernartz glaubt nicht daran. Er hat selbst nachgerechnet und kommt auf mindestens 25 Millionen Tonnen. Was er jedoch ebenso glaubt wie die offiziellen Schätzungen: Ein Großteil der Lebensmittel werden in Privathaushalten entsorgt (etwa 60 Prozent), im Handel wurden sieben Prozent Lebensmittelabfälle gemessen.

Da ein Teil der weggeworfenen Lebensmittel eigentlich noch genießbar wären, bedienen sich manche Menschen an den Tonnen der Supermärkte, um diese zu „retten“, also noch zu verwenden. Auch Bernartz hat etliche Jahre lang Essen aus den Tonnen gezogen. Doch diese Praxis ist bis heute illegal. Nun sorgten Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) sowie Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann (FDP) vor kurzem für eine kleine Überraschung: Sie forderten, das „Containern“ zu legalisieren. Es soll keine Straftat mehr sein, noch verwertbare Lebensmittel aus dem Müll der Supermärkte zu fischen. „Wer Lebensmittel vor der Tonne rettet, sollte dafür nicht weiter strafrechtlich verfolgt werden. Das Containern nicht strafrechtlich zu verfolgen, ist einer von vielen Bausteinen im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung“, so Özdemir in seiner Begründung.

Mainzer „Container“-Gruppe bei Facebook: Über 700 Mitglieder

Dass dieser Vorstoß der Politiker aber mehr für Ärger als für Freude sorgt, erfährt man, wenn man mit Menschen spricht, die selbst jahrelang „containert“ haben. So wie Michael Bernartz. „Die ganze Sache ist eine Luftnummer, ein politisches Lippenbekenntnis“, sagt er. Vor 15 Jahren hatte er damit begonnen, aus finanziellen Gründen Lebensmittel zu verwerten, die vom Handel entsorgt wurden, aber noch genießbar waren. Um sich besser mit anderen zu vernetzen, gründeten er und andere eine Facebookgruppe in Mainz, die inzwischen fast 750 Mitglieder zählt.

Die meisten Supermarktbetreiber, so hat Bernartz die Erfahrung gemacht, schließen ihre Container ab und stellen sie unter. Oft seien diese Räume zusätzlich mit Kameras überwacht. „Wer sich hier weiterhin bedient, begeht Hausfriedensbruch“, so Bernartz. Daran würde auch eine Gesetzesänderung nichts bewirken. Die einzige Möglichkeit, an den Inhalt zu kommen, sei am Vorabend der Entsorgungstermine. Dann stünden die Tonnen im öffentlichen Raum und seien damit frei zugänglich.

Privathaushalte entsorgen am meisten

Fragt man bei den Supermärkten nach, verweisen diese auf die Privathaushalte. Hier solle man Maßnahmen ansetzen, da sie „das größte Potenzial haben, Lebensmittelverschwendung spürbar einzudämmen“, teilt Raimund Esser, leitender Pressesprecher bei Rewe, auf Merkurist-Anfrage mit. Im Handel würden Lebensmittel in der Regel aus drei Gründen zu Abfall: wenn sie ihre „spezifischen Eigenschaften stark eingebüßt haben“, wenn sie nicht mehr den gesetzlichen Hygienevorschriften genügten oder wenn aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes nicht mehr in Verkehr gebracht werden dürften. Daher würden die Container bei Rewe grundsätzlich nicht frei zugänglich auf dem Betriebsgelände stehen.

Produkte, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten hätten, würden zudem preisreduziert angeboten. Mindestens 98 Prozent der Lebensmittel würden bei Rewe verkauft, versichert Esser. Die, die nicht mehr verkauft, aber noch verzehrt werden könnten, würden an die Tafeln abgegeben, einige Märkte würden auch mit Foodsharing-Initiativen kooperieren. „Auch deshalb kommt es bei unseren Märkten eher selten zum ‘Containern’“, so Esser.

Auch Bernartz meint, dass der Kern des Problems nicht die Supermärkte seien. „Ein Viertel der Lebensmittel werden vernichtet, bevor sie überhaupt in den Handel kommen“, kritisiert er. Vieles falle bereits in der Produktion oder der Landwirtschaft durch ein Raster: Kartoffeln, die zu groß, Pflaumen, die zu klein oder Möhren, die zu krumm sind. Auf den Feldern rund um Mainz hat Bernartz daher bereits schon das eingesammelt, was nach der Ernte liegengeblieben war. Ein weiteres großes Problem sieht auch er in den Privathaushalten. „Zu viele Menschen entsorgen Lebensmittel, wenn sie gerade das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben. Die Leute sollten sich mehr auf ihre Sinne verlassen“, findet er. Containern geht Bernartz inzwischen nicht mehr. Stattdessen ist er im Foodsharing aktiv, organisiert Schnippelpartys und weist weiter auf die Lebensmittelverschwendung hin.

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