Erst kürzlich brachte eine Studie des Rechtsanwalts Ulrich Weber ans Licht, welche Gräueltaten sich in den vergangenen Jahrzehnten im Mainzer Bistum ereignet hatten: Hunderte Fälle von sexuellem Missbrauch seien im Bistum Mainz verschwiegen und verharmlost worden sein.
Weber und sein Team hatten für ihre 1100 Seiten lange Studie Hunderte Betroffene interviewt, darunter Opfer und Beschuldigte. Unter ihnen sollen sich Kleriker, Angestellte und ehrenamtlich Tätige befinden. Auch die Pfarrgemeinden hätten sich mit den Beschuldigten solidarisiert und die Opfer diskreditiert sowie eine Aufklärung erschwert, sagte Weber bei der Vorstellung seiner Studie am Freitag.
Bischöfe sollen bewusst weggesehen haben
Vor allem mit den Bischöfen ging Weber hart ins Gericht. So habe es unter Bischof Hermann Kardinal Volk (1962 bis 1982) besonders viele Missbrauchsfälle gegeben. Bischof Karl Kardinal Lehmann (1983 bis 2017) habe den selbst geäußerten „Anspruch für den Umgang mit sexueller Gewalt in der katholischen Kirche im Bistum Mainz selbst zu keiner Zeit erfüllt", sagt Weber. Der amtierende Bischof Peter Kohlgraf nehme die Vorwürfe jedoch ernst und sei bereit, die Fälle aufzuarbeiten (wir berichteten).
In einer Pressekonferenz am Mittwochvormittag im Erbacher Hof sprach Kohlgraf nun von einem „systemischen Versagen“ der Kirche. Besonders harte Worte fand er gegen Bischof Lehmann, der ihn damals selbst zum Bischof geweiht hatte: Es sei „erschreckend“, dass er im Umgang mit Betroffenen eine solch „unglaubliche Härte und Abweisung“ gezeigt habe. „Er genießt im Volk immer noch eine große Beliebtheit, aber es gab auch eine andere Seite seiner Amtsführung, besonders im Umgang mit von sexuellem Missbrauch Betroffenen.“ So habe fehlende Verantwortung Missbrauch begünstigt. Er selbst, so Kohlgraf, wolle nun Verantwortung übernehmen, auch wenn es ihm nicht leicht falle.
Kohlgraf: „So eine Kirche will ich nicht mehr!“
Den Betroffenen, die nun gesprochen haben, sei er dankbar für ihren Mut. Er sei froh, dass die Wahrheit nun ans Licht gekommen sei. Die Aufarbeitung werde nun weitergehen, die Studie sei dazu ein „großer Gewinn“ und ein „weiterer Schritt“ dorthin. Jahrzehntelang war das Sprechen über den sexuellen Missbrauch ein Tabu gewesen, sei den Kindern nicht geglaubt worden. Der „Heilige Mann“ sei jeder Kritik enthoben worden. „Das machte sie unangreifbar“, so Kohlgraf. Ein „unvorstellbares“ und „widerwärtiges“ Verhalten sei das. „So eine Kirche will ich nicht mehr“, so Kohlgraf. „Menschen dürfen nie erniedrigt werden oder zum Instrument eigener Bedürfnisse gemacht werden.“ Missbrauch sei immer auch verbunden mit Machtausübung, auch mit der priesterlichen Lebensform.
Das Sprechen über sexuellen Missbrauch soll nun kein Tabu mehr sein, fordert Kohlgraf. Jetzt sei es wichtig, Präventionsmaßnahmen weiter voranzutreiben, um Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu verhindern. 20.000 Menschen hätten bereits Präventionsschulungen absolviert. Das mache ihn zuversichtlich. „Es gibt Widerstände, dennoch ist der Prozess nun unumkehrbar.“
Die Pressekonferenz hat der SWR live übertragen. Die Studie kann auf der Webseite von Ulrich Weber abgerufen werden.
Das Bistum Mainz hat für Betroffene sexuellen Missbrauchs in der Kirche nun eine Telefonhotline geschaltet: 06131/253-522.