In Mainz hatte die Diskussion um das Clubsterben spätestens seit dem Hilferuf von „Caveau“-Besitzer Wieland Wittmeier im März dieses Jahres an Fahrt aufgenommen. Die Uni Mainz hatte ihm nach 24 Jahren Zusammenarbeit den Pachtvertrag gekündigt. Letztendlich konnten sich beide Seiten in dieser Angelegenheit einigen, knapp ein Jahr lang sind die räumlichen Verhältnisse im Caveau noch gesichert. Und doch fürchtet Wittmeier wegen fehlender Gäste bald wieder das Aus, auch bei Merkurist wurde berichtet. Fragt man ihn wieso, hat er eine klare Antwort: „Das Clubsterben ist eine große Nummer.“
Der Eindruck des Clubsterbens ist nachvollziehbar
Ob man Wittmeiers Diagnose des Clubsterbens zustimmt, hängt in erster Linie davon ab, was man mit diesem ausdrucksstarken Begriff meint. Richtig ist, dass das Caveau keinen Einzelfall darstellt. Das „Alexander The Great“ ist das Beispiel der Stunde. Schon seit August letzten Jahres stand die Kulturstätte vor dem Aus, der Neueigentümer der Immobilie plante Abriss und Neubau. Jetzt steht fest: Die einzige Anlaufstelle für Hardrock in Rheinland-Pfalz wird Ende des Jahres schließen, an Silvester gibt es nach fast 25 Jahren Clubgeschichte den großen Abschied. Ab dem 1. Januar soll es nur noch vorübergehend einzelne Veranstaltungen geben. „Es hat sich nach Corona sehr viel verändert, leider nicht alles zum Guten. Die Gäste vor der Pandemie blieben danach aus, für das Partyvolk von heute sind so alte Clubs wie der unsere nicht mehr angesagt“, erklärt Besitzer Michael Vogt die Gründe.
Wie ernst die allgemeine Lage scheint, zeigt eine deutschlandweite Studie des Bundesverbands der Musikspielstätten: Fast zwei Drittel der befragten Clubbesitzer sehen sich in einer wirtschaftlich schlechteren Lage als noch vor einem Jahr, ein Sechstel denkt an eine Schließung in den kommenden zwölf Monaten. Mehr als die Hälfte aller Clubs haben in den vergangenen zehn Jahren geschlossen.
Dauerthema Bürokratie
Diego Sepulveda, der Besitzer des Roxy, bleibt trotzdem optimistisch. Er hat nicht den Eindruck, dass die Clubs in Mainz wirklich sterben. Zwar müssten einige Clubs schließen, aber als Kulturstätte an sich seien sie nach wie vor beliebt. Eher gehe es darum, durch mehr Events und alternative Konzepte neue Impulse für das Mainzer Nachtleben zu setzen. Vor allem die Vielfalt im Programm sei entscheidend. Sepulveda erhalte genau deswegen viele positive Resonanzen, daher sehe er sich nicht als Beispiel für das Clubsterben: „Im Gegenteil, wir sehen derzeit eine sehr positive Entwicklung. Aber natürlich können wir nicht sagen, wie die Lage bei den anderen Clubbesitzern aussieht“, sagt er.
Auch andere Besitzer sehen die Einschätzung des Clubsterbens ein wenig differenzierter. Ob die Diagnose Clubsterben zutrifft, kann Fabian Heubel vom Alten Postlager nicht beurteilen: „Der Begriff ist geläufig, manchmal empfindet man selber auch so, aber ob das objektiv zutrifft, ich weiß es nicht.“ Bei einem aber ist er sich sicher: „Als erster Schuldiger wird meistens die Politik gesehen, das entspricht natürlich nicht der ganzen Wahrheit. Es gibt für das Betreiben eines Clubs klare Vorgaben durch Bau- und Ordnungsamt, die müssen sich als öffentliche Behörden nun mal sehr strikt an das Gesetz halten“, räumt Heubel ein. Hier habe es in den letzten Jahren keine Verschärfung der Regeln gegeben, die bestehenden Vorgaben seien lediglich strenger kontrolliert worden. Laut Steven Riedl, dem Besitzer des Techno-Clubs Roof 175, sei die aktuelle Situation aber ohnehin schon unübersichtlich: „Was wir feststellen, ist, dass uns von allen Seiten Steine in den Weg gelegt werden. Die Vielzahl an jetzt schon geltenden bürokratischen Vorschriften macht es uns schwer.“
Ausgehverhalten der Jugendlichen hat sich verändert
Doch die Bürokratie ist von den vielen Gründen für den Rückgang von Nachtclubs eher ein Nebenschauplatz. Heubel sieht eher einen gesellschaftlichen Wandel als Ursache, lässt seine bisherige Zeit in Mainz Revue passieren: „Ich lebe seit 18 Jahren hier, und in dieser Zeit hat sich am Ausgehverhalten junger Menschen vieles geändert. Damals waren die Clubs auch am Mittwoch und Donnerstag voll, zwischen Freitag und Samstag sah man keinen Unterschied.“ Heute seien unter der Woche nur ein, zwei Clubs gut gefüllt, die Besucherzahlen an Freitagen sind im Vergleich vor der Corona-Pandemie rückläufig. Die Samstage seien zwar weitestgehend stabil. Doch auch hier gebe es hin und wieder schlechte Tage, viele Betreiber würden dann über fast leere Innenstädte klagen.
Andere Verhaltensweisen hätten sich ebenfalls geändert. Dating zum Beispiel findet immer häufiger in der digitalen Welt statt, Apps dafür gibt es wie Sand am Meer. Man muss also festhalten: Angebote wie Streamingdienste und Dating-Plattformen ersetzen das, was früher als Alleinstellungsmerkmal von Nachtclubs galt. Wer heute zu Musik feiern oder jemanden kennenlernen möchte, den zieht es nicht unbedingt in die Disco.
Auch der Alkoholkonsum würde bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen stetig weniger, merkt Heubel an. Sepulveda gibt ihm Recht: „Gerade alkoholfreie Getränke erfreuen sich insbesondere bei den jüngeren Generationen zunehmender Beliebtheit.“ Gerade hier käme es darauf an, sich durch alternative Angebote dieser Entwicklung anzupassen.
Wer sein Konzept nicht anpasst, bleibt auf der Strecke
Ein anderer Punkt ist die veränderte Musiklandschaft. Vor 15, 20 Jahren war zum Beispiel Rock sehr beliebt. Caveau und Alexander the Great bedienten fast nur dieses Genre, im Red Cat, KUZ oder Schon Schön lief an speziellen Abenden nur Rockmusik. „Heute wäre das undenkbar, weil Rock nicht mehr so richtig in Mode ist“, sagt Heubel. Er wisse, wovon er spreche, schließlich veranstalte er selbst zwei- bis dreimal im Jahr Rock-Events. Mit viel Marketing und noch mehr Glück kommen nur etwa 250 Leute.
Deswegen müssten eben die Clubs schließen, die es nicht schaffen, die Wünsche und Bedürfnisse der Zielgruppe zu erkennen und das Programm an den aktuellen Trends zu orientieren. „Wer es nicht hinbekommt, die nachrückenden Jahrgänge anzusprechen, der bleibt auf der Strecke“, so Heubel. Dabei spielt auch die Einwohnerzahl eine Rolle. Die Logik dahinter: Je kleiner eine Stadt, desto schwieriger gestaltet sich die Suche nach genug Publikum für die Nische, die man trotz wechselnden Trends und Geschmäckern besetzt halten möchte.
Vergnügungssteuer bleibt die größte Sorge
Doch das größte Problem für die Clubs muss erst noch gelöst werden. „Unsere größte Befürchtung ist, dass die Vergnügungssteuer 2025 wieder eingeführt wird. Deutschland hat sowieso schon eine extrem hohe Steuerlast, und eine zusätzliche Vergnügungssteuer auf Eintrittsgelder in Höhe von 20 Prozent wie hier in Mainz würde uns vor große Probleme stellen“, so Riedl. Und nicht nur ihn, denn gerade Technoclubs sind häufig auf Zusammenarbeit mit externen Veranstaltern angewiesen. Wenn diese jetzt noch neben Gagen für DJs, Reisekosten und Booking-Gebühren eine solch hohe Vergnügungssteuer zahlen sollen, müssten sie wahrscheinlich in andere Städte mit besseren Bedingungen gehen.
Kai Walldorf, Gründer der Mainzer Techno-Veranstaltungsreihe Helix Events, ist einer dieser Veranstalter. Er bestätigt Riedls Befürchtungen: „Wegen den zusätzlichen Belastungen würde uns eigentlich nichts anderes übrigbleiben, als uns auf andere Städte im Rhein-Main-Gebiet zu beschränken.“ Laut ihm sei die Clubszene in Mainz für private Investoren unattraktiv. Die Stadt hätte kaum Immobilien zu bieten, die sich für Clubs eignen und den Bebauungsplänen entsprechen. Außerdem gebe es in Mainz nur wenig geeignete Orte für Outdoor-Veranstaltungen, auch die besonderen Event-Locations würden immer weniger werden.
Hinzu kommen Preise für Getränke und Energie, die wegen der Inflation der letzten Jahre deutlich teurer geworden sind. Auch die Gagen für DJs sind in den letzten Jahren, besonders in der Technoszene, um ein Vielfaches gestiegen. Das führt zunehmend zu ernsthaften Problemen: „Eigentlich müssten wir viel höhere Eintrittspreise verlangen, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Ein solcher Preis ist für viele Gäste aber nicht tragbar, deswegen halten wir uns zurück“, erklärt Walldorf. Rücklagen seien bei den meisten externen Veranstaltern und Clubbesitzern nicht vorhanden, entsprechend ist die finanzielle Situation vieler Kulturbetriebe schon jetzt alles andere als rosig.
Die umstrittene Vergnügungssteuer war gegen Ende der Corona-Pandemie ausgesetzt worden, um die finanziell angeschlagenen Betreiber finanziell zu unterstützen und so das Mainzer Kulturleben wieder in Schwung zu bringen. Umstritten deswegen, weil sie eigentlich nur für Bordelle und Casinos gedacht war. „Ähnlich wie beim Thema Tanzverbot befinden wir uns hier gefühlt in den 50er-Jahren. Hier wird Kultur mit Prostitution und Glückspiel gleichgesetzt“, kritisiert Heuber.
Immer mehr Kommunen schaffen Vergnügungssteuer ab
Bei einem Gespräch Riedls mit dem parteilosen Oberbürgermeister Nino Haase während einer Bürgersprechstunde zeigt dieser sich offen für die Argumente der Clubbesitzer. Laut ihm ist nicht nur die Gleichsetzung von Nachtclubs mit Vergnügungsstätten im eigentlichen Sinne schwer nachvollziehbar. Fraglich ist auch, wie man angesichts des hohen bürokratischen Aufwands die vergleichsweise geringen Einnahmen rechtfertigt. Haase spreche sich deswegen für eine vollständige Abschaffung der Steuer aus. Gleichzeitig betont aber er auch, er allein könne das nicht entscheiden, dafür sei letztendlich der Stadtrat zuständig.
Mittlerweile können die Nachtclubs und Veranstalter wieder vorsichtig aufatmen. In seiner letzten Sitzung hat der Mainzer Stadtrat beschlossen, die Aussetzung der Vergnügungssteuer für das kommende Jahr zu verlängern. Das Problem ist damit zwar nicht gelöst. Trotzdem bleiben den Kulturschaffenden und der Stadt jetzt noch mehr als ein Jahr, um eine dauerhafte Lösung für alle zu finden.