Wie gefährlich ist es für jüdische Menschen in Mainz?

Am Donnerstag beginnt eines der größten Feste für jüdische Menschen. Gleichzeitig haben viele Juden Angst im Alltag, etliche meiden inzwischen sogar die Öffentlichkeit. Wie sicher ist das Leben für sie noch in Mainz? Wir haben uns umgehört.

Wie gefährlich ist es für jüdische Menschen in Mainz?

Am 7. Dezember beginnt für Juden mit „Chanukka“ eines ihrer wichtigsten Feste. Acht Tage lang dauert das Lichterfest. Dann versammeln sich traditionell Freunde und Familienmitglieder, es gibt Aktionen in den jeweiligen Gemeinden, Geschenke für die Kinder und Spezialitäten der jüdischen Küche. Zudem wird der traditionelle acht- bis neunarmiger Leuchter (Chanukkia) entzündet.

Auch in der Neuen Mainzer Synagoge wird es von Donnerstag an jeden Tag Gottesdienste und Zusammenkünfte der Jüdischen Kultusgemeinde Mainz-Rheinhessen geben. Ganz selbstverständlich ist das nicht, glaubt man den Worten der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). „Mich persönlich erschüttert es sehr, wie viel Angst jüdische Bürger und Bürgerinnen um ihre Sicherheit haben“, erklärte sie Ende November zum wiederholten Mal.

Ebenso sprach Anna Kischner, die Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde Mainz-Rheinhessen, bei einem Treffen von einer „angespannten Sicherheitslage für die Jüdischen Gemeinden in Rheinland-Pfalz“. Dreyer versicherte, die Sicherheitsmaßnahmen weiter erhöht zu haben. „Wir sind im engen Austausch zwischen Sicherheitsbehörden und jüdischen Gemeinden.“

Wie gefährlich ist das Leben für Juden in Mainz und Rheinhessen tatsächlich geworden?

Angst im Alltag

Berichte aus erster Hand zu diesen Themen gehen bei Monika Fuhr ein. Sie ist die Beauftragte für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen in Rheinland-Pfalz und berichtet im Merkurist-Gespräch, wie vorsichtig die Menschen seit dem Angriff auf Israel vor zwei Monaten, am 7. Oktober, geworden sind: „Es trifft leider zu, dass Juden und Jüdinnen auch in Rheinhessen und in Mainz aus Angst darauf verzichten, in der Öffentlichkeit ihre Kippa oder den Davidstern zu tragen“, so Fuhr. Viele würden sogar den öffentlichen Nahverkehr meiden. „Sie fahren beispielsweise am Abend nach einer Veranstaltung nur noch mit einem Taxi nach Hause oder lassen sich von Freunden nach Hause fahren.“

Laut Innenministerium, so erklärt sie, seien seit den Terroranschlägen der Hamas fast 60 antisemitische Straftaten registriert worden – darunter vor allem Sachbeschädigungen, Volksverhetzungen und Verletzungen von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten. So wurde etwa in Mainz in der Nacht auf den 12. Oktober die erst kurz zuvor gehisste israelische Flagge vor dem Stadthaus angezündet und beschädigt. Zudem wurden am 9. November, dem Gedenktag zur Reichpogromnacht, in Ebersheim Stolpersteine beschädigt sowie dort niedergelegte Rosen in eine Hecke geworfen.

Polizeiliche Schutzmaßnahmen

Nun, vor allem zu Beginn des Chanukka-Festes, seien „polizeiliche Schutzmaßnahmen vorgesehen und eng abgestimmt“, erklärt Fuhr. Dazu würden Streifenpolizisten in unregelmäßigen und festgelegten Zeiträumen unterwegs sein und Gebäude bewacht werden. Vereinzelt würden Polizisten vor Ort präsent sein. „Der Schutz jüdischen Lebens genießt höchste Priorität“, versichert die Beauftragte. „Die rheinland-pfälzischen Polizeibehörden stehen in einem fortlaufenden und engen Austausch mit den jüdischen Gemeinden in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen.“

Doch trotz ihrer Angst besuchten die Menschen weiterhin Veranstaltungen ihrer Gemeinde, wie etwa den Vortrag der Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland. „Die Synagoge war bis auf den letzten Platz besetzt“, so Fuhr. Zudem gibt es seit kurzem den Jüdischen Studierendenverband Rheinland-Pfalz und Saarland (Hinenu). „Gerade jetzt in dieser schwierigen Zeit ist es wichtig, dass junge jüdische Bürgerinnen und Bürger eine feste Anlaufstelle und ein Netzwerk für den Austausch haben“, sagt Fuhr dazu. Zudem würden sie damit ein gemeinsames Statement für ihre jüdische Identität und Kultur geben.

Monika Fuhr sagt aber auch, dass nicht nur Juden zunehmend gefährdet seien. Denn gleichzeitig sei die Zahl islamfeindlicher Straftaten laut Innenministerium von 13 im vergangenen Jahr „auf eine mittlere zweistellige Zahl im laufenden Jahr angestiegen“. Ihr sei es daher besonders wichtig, die Gespräche zwischen den Religionen weiterzuführen „und zu intensivieren“. Das sei von „sehr großer Bedeutung für ein friedvolles und wertschätzendes Zusammenleben“, so Fuhr. „Je mehr wir voneinander wissen, desto besser können wir einander verstehen. Und das hilft auch dabei, Vorurteile abzubauen.“

Mainzer OB solidarisch mit Israel

Besorgt zeigt sich auch der Mainzer Oberbürgermeister (OB) Nino Haase (parteilos). In einem Merkurist-Interview spricht er davon, dass gerade „Unsicherheiten in der jüdischen Community“ herrschen. Er sei aber froh, dass es Aufmärsche und Parolen, „oder auch die Aggressivität, wie das in anderen Städten zu beobachten war“, in Mainz bisher nicht gab. Die Stadtverwaltung achte darauf, dass das auch so bleibe. Es sei zwar für ihn selbstverständlich, dass Menschen auch in Mainz weiterhin Solidaritätskundgebungen mit Palästina abhalten. „Wir werden bei Veranstaltungen aber keine antisemitischen Parolen oder Zeichen in welcher Art auch immer dulden“, stellt der OB klar.

Dass Mainz und Rheinland-Pfalz trotz der Vorfälle wie der beschädigten Flagge ein „Hotspot sind für antisemitisches Gedankengut“ sei, glaubt Haase aber nicht. „Wir müssen klar machen, dass wir auch weiter hinhören – auch wenn wir zu der konkreten Tat einen klaren Standpunkt an der Seite Israels haben. Das müssen wir als SchUM-Stadt, als eine Stadt mit einer israelischen Partnerstadt wie Haifa, auch tun“, so Haase.