Wie viele Menschen ohne festen Wohnsitz es in Mainz gibt, kann selbst die Stadt Mainz nicht sagen: „Darüber liegen uns keine fundierten Erkenntnisse vor“, teilt Pressesprecher Ralf Peterhanwahr auf Merkurist-Anfrage hin mit. Die sogenannten „Nicht Sesshaften“ schlafen an wechselnden Plätzen, eine eigene Wohnung haben sie nicht, also auch keine Adresse. Dennoch haben sie das Recht in dem Ort zu wählen, an dem sie sich gewöhnlich aufhalten.
Doch wie ist das möglich, wenn die Stadt ihnen keine Wahlbenachrichtigung zuschicken kann?
„Wahlberechtigte, die keine Wohnung innehaben, werden nur auf eigenen Antrag in ein Wählerverzeichnis eingetragen“, heißt es auf der Seite des Bundeswahlleiters. Zuständig für die Eintragung ist die Gemeinde, in der der Wahlberechtigte seinen Antrag stellt. Allerdings muss der Antrag spätestens bis zum 21. Tag vor der Wahl gestellt werden.
„Sie erhalten die Wahlunterlagen, wenn sie den Antrag bis zum 5. September bei uns im Wahlbüro gestellt haben“, so Peterhanwahr. Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W) kann dieser Antrag formlos sein, muss aber den vollen Namen, das Geburtsdatum sowie die persönliche Unterschrift des Antragstellenden beinhalten. Anstelle einer persönlichen Postanschrift kann zum Beispiel auch die Anschrift der Gemeindeverwaltung angeben werden. Für die Briefwahl kann der Vordruck beim Wahlamt genutzt werden.
Hohes Maß an Politikverdrossenheit
Thomas Stadtfeld ist Leiter der Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe des Caritasverbands Mainz e.V. In dem angegliederten Thaddäusheim können wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Männer übernachten. Sie werden verpflegt, bei Bedarf fachlich beraten und von einem Sozialarbeiter unterstützt. 78 Plätze bietet das Heim insgesamt. „Wir hatten mit dem Wahlbüro in Mainz Kontakt aufgenommen und hier einen Aushang gemacht, wo sich Durchwanderer registrieren lassen konnten“, so Stadtfeld. Gleichzeitig leben im Thaddäusheim aber auch viele ehemals Wohnungslose über einen längeren Zeitraum, die sich in einer Wiedereingliederungsmaßnahme befinden. Damit sind sie dort auch angemeldet und erhalten die Wahlbenachrichtigung an die Adresse des Heims.
Doch leider erlebe er ein hohes Maß an Politikverdrossenheit „Es gibt wenig Motivation, sein Wahlrecht wahrzunehmen“, so Stadtfeld. Dennoch haben die Mitarbeiter versucht, das Thema Bundestagswahl anzusprechen. Vor der Coronazeit habe es Veranstaltungen in Gruppen gegeben, bei denen sich ausgetauscht werden konnte. „Von Kolleg:innen im Sozialdienst weiß ich, dass das Thema in Einzelgesprächen aufgenommen wird und auf fruchtbaren Boden fällt.“ Wie viele aber letztlich von dem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben, könne er nicht sagen.
Bei der Stadt Mainz ist zu erfahren, dass in der ganzen Stadt fünf Wählerinnen und Wähler ohne Wohnsitz tatsächlich von diesem Recht Gebrauch gemacht haben. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe weist darauf hin, wie groß die Hürden für wohnungslose Menschen ohne Meldeadresse tatsächlich sind: „Damit sie gleichberechtigt ihr demokratisches Grundrecht wahrnehmen können, sollten alle Verantwortlichen die Betroffenen unterstützen“, sagt Geschäftsführerin Werena Rosenke. „Kommunen, Ämter und Einrichtungen der Freien Träger sollten aktiv auf die Möglichkeit zur Teilnahme an den Wahlen hinweisen, die Fristen, die Adressen der Antragsstellen und weitere Wahlmodalitäten leicht verständlich veröffentlichen und allen Ratsuchenden zur Seite stehen.“