Helfen Einsicht und Geldstrafen bei der Einhaltung von Regeln?

Wenn viele Menschen miteinander klar kommen wollen, braucht es Regeln. Manche sind notwendig, um Unfälle zu verhindern, manche braucht es für eine saubere Stadt.

Helfen Einsicht und Geldstrafen bei der Einhaltung von Regeln?

„Habe ich ein Schild übersehen?“ Die Frage schoss mir durch den Kopf, weil in der Hinteren Bleiche ein Pkw entgegen der Einbahnstraße fuhr. Die Hintere Bleiche ist von der Bauhof- bis zur Binger Straße eine Einbahnstraße. Radelnde dürfen gegen die Einbahnstraße fahren, Fahrzeuge nicht. Zwischen der Bauhofstraße und der Heidelbergerfaßgasse kommt mir ein Auto entgegen – ich fahre in Fahrtrichtung, der Pkw also gegen die Einbahnstraße. „Wurde die Verkehrsführung hier geändert und ich bekam es noch nicht mit?“ Auch diese Frage richte ich nur an mich selbst. Ich habe schon als Kind gelernt, zuerst mein Verhalten zu prüfen, bevor ich andere beschuldige. Eine Verhaltensweise, die mich z.B. im Straßenverkehr schon oft davor bewahrt hat, andere Verkehrsteilnehmer anzumaulen, um dann voller Scham festzustellen, ich war diejenige, die eine geänderte Verkehrsführung übersehen hat.


In der Hinteren Bleiche hat allerdings die gegen die Einbahnstraße fahrende Frau das Verkehrsschild nicht erkannt – siehe Foto – was nachvollziehbar ist. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich um das Verkehrszeichen 267 „Verbot der Einfahrt“– so lautet die korrekte Bezeichnung für dieses verunstalte Schild. Jedenfalls meinte die Frau nichts falsch gemacht zu haben. Wobei „falsch“ gibt es eigentlich nicht im Straßenverkehr. Solange es keine schlimmen Unfälle gibt, kann jeder und jede fahren oder gehen, wie er und sie will. Diesen Eindruck gewinnt, wer sich halbwegs aufmerksam durch die Stadt bewegt, egal ob auf zwei Beinen, zwei oder mehr Rädern.

Kennen Sie den? Fährt ein Streifenwagen durch die Bushaltestelle Höfchen, kommt ihm ein Pkw entgegen – und? Nix. Die Polizei fährt weiter. Der Pkw auch. Und? Laut den Verkehrszeichen darf diese Bushaltestelle NUR von Bussen befahren werden – auch Radelnde haben darin nichts zu suchen. Wer weiß es? Gute Frage. Wen interessiert es? Noch bessere Frage. Oder kennen Sie den? Alle Fahrzeuge in der Kaiserstraße sind sehr langsam unterwegs, halten sich an die Tempo-30-Regelung. Warum? Weil der mobile Blitzer am Straßenrand steht. Direkt dahinter geben alle wieder Gas.

Mit solchen Beispielen lassen sich abendfüllende Gesprächsrunden verbringen, in denen viele Beispiele für die Nicht-Einhaltung von Verkehrs- und anderen Regeln erörtert werden können. Wozu? Gibt es nicht genügend andere Themen zum Aufregen? Warum das eigene Handeln überdenken, solange die Unfallstatistiken keine dramatische Zunahme von Todesfällen und Schwerverletzten aufzeigen. Wenn die Straße frei ist, kann auch bei Rot die Kreuzung passiert werden. Solange kein Blitzer an der Ampel steht. Wenn doch ist das Abzocke, logisch. Wie kommt der Staat auf die Idee, die Einhaltung von Regeln die für alle gelten, zu kontrollieren und bei Zuwiderhandlung auch noch Geld zu verlangen?

Es ist ein Wortmonstrum: Parkraumbewirtschaftung. Nein, es gibt auf den öffentlichen Parkplätzen weder etwas zu trinken noch zu essen. Stattdessen: wer ohne Parkschein parkt, muss zahlen. Wenn er oder sie erwischt wird. Und: wenn es keinen findigen Rechtsanwalt gibt, der in der Lage ist noch die abstruseste Begründung vorzutragen, warum es gar nicht anders ging, als im Kreuzungsbereich zu parken. Natürlich ist es umständlich für die Fußgänger, wenn sie mit Kinderwagen und Rollator um das parkende Fahrzeug herum kurven müssen, aber Mensch, die machen das so oft, da kommt es auf das eine Mal mehr auch nicht an. Oder?

In der Politik hat sich schon lange die Überzeugung durchgesetzt, ohne die Einsicht der Bürger geht nichts. Sie müssen überzeugt werden, dass es Sinn macht, Gesetze und Verordnungen einzuhalten. Selbstverständlich ist das leider nicht mehr.


Viel Überzeugungsarbeit leistet die Stadt Mainz zum Beispiel beim Abfall: Seit dem Jahr 2000 gibt es die Dreck-Weg-Woche und den Dreck-Weg-Tag; das UmweltBildungsZentrum in der Wormser Straße bietet „Erlebniswelten“ zu den Themen Abfall und Umwelt; in den Sommermonaten sind „Müllscouts“ unterwegs, die den Menschen erklären, warum sie ihren Müll bitte in den dafür vorgesehenen Behältnissen entsorgen sollen. Diese Behältnisse sind in den letzten Jahren stetig größer geworden, viele sind sogar mit einem eigenen Aschenbecher ausgestattet. Dennoch liegen Müll und Kippen auf der Straße. Überzeugen, um Einsicht zu befördern, klappt offenbar nicht. Obwohl das alles „unser“ Geld kostet: Die „Abfallhaie“, das sind die großen Edelstahlmülleimer, die zwischenzeitlich fast überall in der Innenstadt aufgestellt wurden, kosten pro Stück mindestens 1200 Euro. Deren Leerung, teilweise werden sie zwei- bis dreimal geleert am Tag, kostet ebenfalls Geld: Gebührengeld. Alle, die in Mainz einen Wohnsitz haben zahlen Abfallentsorgungsgebühren. Damit werden die Mülleimer finanziert und deren Leerung und die Beseitigung des Mülls, den die Leute trotz Mülleimer und Müllscouts auf die Straße werfen. Paradox irgendwie. Aber Realität.

Der Staat kann die Bürger mittels Verwarnungs- und Bußgelder bestrafen, wenn sie Gesetze und Verordnungen nicht einhalten. Die Mainzer Ordnungsdezernentin hat kürzlich erneut die „Verwarnungsgelder“ erhöht. „Das Wegwerfen von Gegenständen des Hausmülls (Zigarettenkippen, Zigarettenschachteln, Kaugummis, Becher, Teller, Taschentücher), Wildes Urinieren sowie Verunreinigungen durch menschlichen Kot werden mit 55 Euro bestraft. Vorher lag die Strafe zwischen 15 und 35 Euro.“


Diejenigen, die ihre Kippe auf die Straße werfen, wissen wahrscheinlich nicht, dass sie 55 Euro zahlen müssten – würden sie dabei erwischt. Dazu braucht es entsprechende Kontrollen, die sind angekündigt – nur: Wie viele Ordnungskräfte braucht es, um die Vielzahl von Vergehen zu kontrollieren, die längst normal sind? Den meisten Menschen ist gar nicht bewusst, dass sie irgendeiner Regel zuwider handeln. Die verhalten sich so, wie sich Viele verhalten: auf dem Gehweg Rad fahren, die Plastikreste des Mittagessens auf der Bank liegen lassen oder eben bei Rot noch schnell über die Ampel huschen.


Muss das die Gesellschaft so akzeptieren? Unabhängig von der „Gefahr“, mit einer Geldstrafe belangt zu werden, kann jeder Mensch selbst entscheiden, ob er sich an Regeln halten will oder nicht. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte lautet: Wenn weder Einsicht noch Strafen dazu bewegen, Regeln einzuhalten, setzt sich auf Dauer das „Recht der Stärkeren“ durch. Keine schönen Aussichten für das Zusammenleben in deutschen Landen.

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