Paragraph 175 – das war für viele schwule und lesbische Menschen in Deutschland lange Zeit Ursache eines Albtraums. Denn laut Strafgesetzbuch waren „sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts“ unter Strafe verboten. Gleichgeschlechtliche Paare konnten also angezeigt werden, mit den entsprechenden Konsequenzen.
Mit dem „Tag gegen Homophobie“, der jedes Jahr am 17. Mai (analog zum Paragraphen) begangen wird, wird daher mehr Respekt und Toleranz für Lesben und Schwule gefordert. Zudem hatte die Generalversammlung der Weltgesundheitsorganisation am 17. Mai 1990 beschlossen, Homosexualität von der Liste psychischer Krankheiten zu streichen.
Gültigkeit hatte der Paragraph 175 aber auch nach 1990 noch, und das seit dem Jahr 1871. Aufgeboben wurde es erst 1994 – sogar unter einigem Widerstand, wie sich Holger Groß erinnert: „Einige forderten sogar, dass das Gesetz noch verschärft werden soll.“ Groß wohnt in einem Dorf in Rheinhessen, besucht regelmäßig die Treffen des Mainzer Vereins „Schwuguntia“.
Seit 33 Jahren ist er bereits mit seinem Partner zusammen, seit einigen Jahren sind sie verheiratet. Seine Jugend, so erinnert sich der 63-Jährige, war eine Odyssee. Und sie steht doch stellvertretend für so viele Geschichten, die Homosexuelle erleben mussten.
Zum „Schwulenklatschen“ aufgerufen
Es war in den 1970ern, als Groß merkte, dass mit ihm „etwas anders“ war. Seine Mutter, die sehr auf den Ruf der Familie bedacht war, hatte Angst vor dem Gerede der Nachbarn, ständig habe sie ihn unter Druck gesetzt, sich eine Freundin zu suchen. „Meine drei Brüder hatten Freundinnen, nur ich nicht, das machte ihr zu schaffen.“
Immer wieder erzählte sein Vater, der bei der Kriminalpolizei arbeitete, dass sie „wieder jemanden erwischt“ hätten. Als Nachbarn sahen, dass Groß in einer Bar aushalf, die von einem lesbischen Paar betrieben wurde, verbot seine Mutter ihm den Umgang.
Dann kamen die 1980er. „Das war die ganz schlimme Zeit“, so Groß. Aids verbreitete sich, wurde als „Schwulenkrankheit“ denunziert, teilweise sollten Schwule weggesperrt, von der Gesellschaft ferngehalten werden, es wurde zum „Schwulenklatschen“ ausgerufen. Vor den Kneipen wurde aufgelauert, viele wurden angezeigt oder verprügelt.
Mit 18 Jahren beging Groß einen Suizidversuch. „Ich habe es nicht mehr ausgehalten.“ Doch er überlebte, und seine Mutter erhöhte den Druck umso mehr. Also suchte er sich eine „Pseudo-Freundin“, wie er sagt. „Das war nicht schön, aber meine Mutter war beruhigt.“ Erst mit 29 Jahren schmiss er alles hin und zog um – vom Badischen nach Frankfurt. Er sammelte erste Erfahrungen mit Männern, lernte seinen jetzigen Mann bei einem Stammtisch kennen. Sie zogen nach Rheinhessen, verbringen seitdem viel Zeit in Mainz.
„Das ist keine Homophobie mehr, das ist blanker Hass“
Doch frei bewegen, so sagt es Groß, könne er sich immer noch nicht, auch nicht in Mainz. „Hand in Hand laufen wir nie durch die Stadt, das wäre zu gefährlich.“ Die Leute würden schauen, ihn beleidigen, sich in der S-Bahn von ihm wegsetzen, wenn er nur Regenbogensocken trägt. „Die Hetze wird immer größer, die Übergriffe nehmen zu, vor allem gegen Transpersonen“, so Groß. Er vermutet, dass Verbote von gleichgeschlechtlichen Beziehungen in anderen Ländern „zu uns rüberschwappt“. Das ist oft keine Homophobie mehr, das ist blanker Hass.“
Dennoch sei er froh, nach Mainz gekommen zu sein. Er hat den Verein, in dem er sich sicher fühlt, „wie in einer Familie“. Er ist immer froh, wenn auch Jugendliche und Kinder den Mut haben, bei der Demonstration anlässlich des Christopher-Street-Days (CSD) mitzugehen. „Es ist so wichtig, bereits Kindern zu vermitteln, dass jegliche Lebensform ‘normal’ ist“, so Groß. Denn die Abneigung und der Hass, so hat er das Gefühl, fange inzwischen oft schon in der Schule an.
Um auch in der Stadt Mainz Zeichen zu setzen, werden anlässlich des Internationalen Tags gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBITA) an diesem Mittwoch wieder an mehreren Stellen Regenbogenflaggen gehisst, darunter vor dem Stadthaus Große Bleiche und dem Polizeipräsidium am Valenciaplatz.
Der CSD findet in Mainz in diesem Jahr am 29. Juli statt.