Der 27. Februar 1945 war ein schöner, sonniger Tag, erinnert sich Rosi. Zehn Jahre alt war sie damals und wohnte mit ihrem Vater, ihrer Stiefmutter, deren Vater sowie der eigenen Großmutter im fünften Stock eines Mehrfamilienhauses in der Mainzer Neustadt, die damals nur aus wenigen Straßen bestand. Ihre Mutter war bereits in einer „Heilanstalt“ getötet worden (wir berichteten). Zwei Angriffe hatte Mainz schon hinter sich, vieles war zerstört, darunter etwa die Opel-Werke und die Bahngleise. „Mit einem erneuten Angriff hat niemand mehr gerechnet um diese Zeit“, sagt Rosi heute.
Um 16:30 Uhr heulte plötzlich der Voralarm, der aktiviert wurde, wenn die Flieger die französische Grenze überquerten. Rosi hatte Keuchhusten zu der Zeit, durfte eigentlich nicht in den Keller wegen der Infektionsgefahr. „Doch als der Alarm kam, rannten wir die Treppen hinunter“, wisse sie noch, „als ob es gestern war“.
1500 Tonnen Bomben in 16 Minuten
Die Warnungen des eigens auf Mainz angesetzten Kampfverbands der Briten wurden vom deutschen Flugmeldedienst zu spät gemeldet. Als die zehnjährige Rosi und die anderen Hausbewohner in Richtung Keller hasteten, kamen ihnen die Scherben von den zerborstenen Fenstern bereits entgegen. Sie schafften es, sich ins Untergeschoss zu retten. 425 Bomber der britischen Royal Air Force flogen den Angriff auf Mainz und warfen dabei knapp 1500 Tonnen Bomben ab, innerhalb von nur 16 Minuten.
Als der Angriff vorbei war, Rosi wieder aus dem Keller nach oben kam und aus den zerstörten Fenstern schaute, sei „alles platt“ gewesen, erzählt sie. Sie schüttelt den Kopf, und sagt dann leise: „Nur der Dom war noch zu sehen, und das von der Neustadt aus.“ Er hatte bei dem verheerenden Angriff lediglich Schäden am Dach davongetragen. In der restlichen Altstadt hatte der Angriff einen gewaltigen Flächenbrand entfacht. Es war „ein einziges Flammenmeer“, so Rosi. „Unvorstellbar.“ 80 Prozent der Innenstadt wurden bei diesem Angriff zerstört. Die Große Bleiche: eine „brennende Hölle“, wie es in Beschreibungen von damals oft heißt. Wie eine Fackel sei das Feuer überall Richtung Himmel geschossen, verbrannte Teile weite Strecken geflogen, teilweise bis nach Gonsenheim.
Menschen bei lebendigem Leib verbrannt
Als Rosis Vater später nach Verwandten an der Umbach schauen wollte, hätten sich dort die Leichen gereiht, erzählte er später. Viele waren durch die Phosphorbomben bei lebendigem Leib verbrannt. Viele Menschen hatten sich nicht mehr retten können, mehr als 1200 Menschen starben. 4000 Mainzer hätten in den Kellern der Mainzer Aktienbrauerei und der Sektkellerei Kupferberg Schutz finden können, doch wegen der späten Warnung flohen viele hilflos durch die Straßen. Etliche sind in den Kellern erstickt, da viele Ausgänge verschüttet wurden. Allein in den Kellern der Aktienbrauerei und am Kupferberg starben 200 Menschen.
Das Haus in der Goethestraße, in dem Rosi wohnte, stand noch, wenn auch stark beschädigt. „Es gab kein Wasser mehr, keinen Strom, keine Fensterscheiben, kaum Essen“, erinnert sich die heute 89-Jährige. Das Dachgeschoss sei abgebrannt gewesen, es habe in die Wohnung hinein geregnet. „Wenn uns nachts die Tropfen auf den Kopf gefallen sind, haben wir das Bett ein Stück zur Seite geschoben.“ Sie weiß noch, dass viele Menschen Löcher in die Hauswände geschlagen hatten, als Abluft für die Kamine.
Leben in Armut
„Wir lebten in Armut, zu fünft auf kleinem Raum“, so Rosi. Menschen, die ihre Wohnungen verloren hatten, seien zusätzlich im Haus untergekommen. Manchmal zogen die Kinder ein Holzstück aus den Trümmern heraus, mal einen alten Kochtopf. Zeitweise kamen sie bei einer Tante in Budenheim unter, die für sie Kleider genäht und gekocht hat. Später wurden die Trümmer auf dem Goetheplatz gesammelt und zermahlen, um aus dem Baumaterial neue Gebäude zu errichten.
„Wenn ich jetzt die zerstörten Städte in der Ukraine sehe, werden wieder Erinnerungen bei mir geweckt“, sagt Rosi. „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass es nochmal Krieg in Europa geben würde. Ich wünsche mir sehr, dass alle Menschen in Frieden leben und sich so etwas bei uns nie wiederholen wird.“
Zum Gedenken an die Opfer des Bombardements auf Mainz wird am Dienstag von 16:30 bis 16:46 Uhr ein Stadtgeläut der Innenstadtkirchen erinnern:
Seit einiger Zeit berichtet „Rosi aus Mainz“ auf ihrem Instagram-Kanal von ihren Erinnerungen aus den letzten 80 Jahren in Mainz. Ihre Familie, vor allem ihre Enkelin Paula, war 2022 auf die Idee gekommen. Inzwischen folgen ihr rund 14.000 Menschen.