Regen, Wind und Kälte: Der Winter ist für Menschen, die auf der Straße leben, besonders hart. Jürgen Michel weiß das. Er ist Streetworker beim Verein Schachtel e.V. in Koblenz. Zweimal pro Woche fährt er mit dem Kältebus durch die Stadt, um Obdachlosen zu helfen. Im Gepäck hat er dann warme Mahlzeiten, Kaffee, Schlafsäcke und Decken.
„Immer wieder warmes Essen, das ist Sicherheit", sagt Sonja. Die 47-Jährige lebt auf der Straße, Streetworker Michel kennt sie seit rund sieben Jahren. Als er sie an diesem Abend besucht, liegt Sonja auf einer Isomatte unter einem Wellblechdach, eingepackt in zwei Schlafsäcke. „Also wenn ich die Schachtel nicht hätte, wäre ich schon lange geliefert", sagt sie.
Gründe für Obdachlosigkeit sind vielfältig
Warum Menschen wie Sonja auf der Straße landen? Die Gründe seien vielfältig, erklärt Streetworker Michel: der Verlust des Partners, Probleme im Job oder Suchterkrankungen zum Beispiel. „Was uns auffällt ist, dass psychische Erkrankungen zunehmend sind", sagt der 60-Jährige, der den Job seit 1999 macht. „Das ist ganz deutlich."
Einen weiteren Obdachlosen trifft Michel an diesem Abend zum ersten Mal. Zwischen Fahrrädern, Mauerbogen und Straße hat sich Gerald sein Nachtlager eingerichtet. „Die größte Herausforderung ist momentan die Kälte. Der Wind ist schon doll", erzählt der 53-Jährige. Seit drei Monaten lebe er auf der Straße, so der Mann. Zuvor habe er Job und Wohnung wegen der Corona-Pandemie verloren.
Tod eines Obdachlosen „kann man nicht abschütteln"
Seit über 20 Jahren begleitet Michel Menschen wie Gerald und Sonja. Doch manche Erlebnisse lassen auch den erfahrenen Streetworker nicht kalt. „Teilweise kennst du die Menschen gut, jahrelang", erzählt er. Erst diesen Winter sei ein Obdachloser gestorben, den er lange kannte. „Wir sind Menschen, sie sind Menschen. Man kann's nicht abschütteln, aber man lernt, damit umzugehen."
Die meisten Obdachlosen wünschen sich ein Leben fernab der Straße zurück, ist sich Michel sicher. Auch Gerald bestätigt: „Ich würde gerne wieder arbeiten gehen und würde gerne wieder normal leben." Einen ersten Schritt dahin hat er getan: Tagsüber gehe er bereits zur Caritas und hole sich Hilfe. Und auch nachts, wenn es besonders kalt ist, weiß Gerald nun: Zweimal pro Woche kommt der Kältebus von Streetworker Michel vorbei.