In einem Interview mit Merkurist Koblenz sprechen Alexander Vatovac (Geschäftsführer Unternehmensservice) und Sven Klein (Referent Handel/Stadtmarketing), beide IHK Koblenz, über die wichtigsten Herausforderungen der regionalen Wirtschaft, insbesondere von Handelsbetrieben, am Zusammenfluss von Rhein und Mosel.
Welche sind die größten Herausforderungen, denen sich Unternehmen gegenübersehen und was sind die Erwartungen an die neue Bundesregierung?
Vatovac: „Die wirtschaftliche Lage in Rheinland-Pfalz bleibt angespannt. Viele Unternehmen blicken mit Sorge auf die kommenden Monate. Von der Politik erwartet die Wirtschaft daher ein klares Aufbruchssignal, um aus der Krise zu kommen. Die Unternehmen fordern von der neuen Bundesregierung entschlossenes Handeln, insbesondere bei Bürokratieabbau, Investitionen in Infrastruktur, Steuerentlastungen und der Sicherung wettbewerbsfähiger Energiekosten. Union und SPD müssen ihr Milliardenpaket mit konkreten und spürbaren Maßnahmen untermauern. Nur so werden Unternehmen wieder mehr im Inland investieren. Ohne grundlegende Reformen droht die wirtschaftliche Stagnation weiter anzuhalten.“
Die Handelsbranche stellt fast ein Drittel der Mitgliedsunternehmen der IHK Koblenz. Was bedeutet diese hohe Zahl für die regionale Wirtschaft und das Geschäftsnetzwerk?
Vatovac: „Mit derzeit mehr als 66.000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten und mehr als 4.000 Auszubildenden übernimmt der Handel eine wichtige Rolle als Arbeitgeber im nördlichen Rheinland-Pfalz. Ein starker Handel in attraktiven Innenstädten ist unverzichtbar, wenn die Städte und die zentralen Versorgungsorte auch künftig ihre Aufgabe als lebendiger Erlebnisraum erfüllen sollen. Für die Multifunktionalität einer lebendigen Innenstadt bedarf es neben Gastronomie, Dienstleistungen, Verwaltungs-, Freizeit- und Kultureinrichtungen insbesondere eines wettbewerbsfähigen und attraktiven innerstädtischen Handels. Dabei prägt der Einzelhandel das Gesicht unserer Innenstädte. Konzernunternehmen und ihre Filialbetriebe sind wichtige Aushängeschilder und Frequenzbringer. Ebenso machen jedoch die Vielfalt und Originalität unabhängiger, inhabergeführter (Fach-)- Einzelhandelsbetriebe den anziehenden, individuellen Charakter und das Flair der Innenstadt, eines Ortskerns, oder einer Geschäftsstraße aus.“
Andernach gilt als Musterbeispiel für die Revitalisierung seiner Innenstadt durch den Einzelhandel. Wie beurteilen Sie die innerstädtische Entwicklung vor Ort?
Klein: „Andernach ist ein Paradebeispiel gelungener Standortentwicklung: Innerhalb von rund fünf Jahren hat sich die Stadt neu erfunden. Das ist ein Erfolg, der vor allem durch regelmäßigen Austausch mit der lokalen Werbegemeinschaft und innovative Eventformaten wie die ‚First Friday‘ ermöglicht wurde. In Innenstädten dagegen, in denen vor Corona starke Filialisierung vorherrschte, entstehen heute oft Leerstände, sobald große Ketten ihre Flächen zurückfahren. Hier punkten inhabergeführte Einzelhändler mit hochwertigen Sortimentsangeboten und individueller Beratung.“
Vatovac: „Für alle Innenstädte in unserer Region, wie auch in Deutschland insgesamt, wird es künftig darum gehen, dass man diese nicht nur als Ort des Konsums versteht. Menschen kommen in Innenstädte, um etwas zu erleben, um Kultur zu genießen, um anderen Menschen zu begegnen, um in schönem Ambiente zu flanieren und ja, auch um einzukaufen. Hierbei spielt die Aufenthaltsqualität eine herausragende Rolle. Auch das Erscheinungsbild muss stimmen. Gibt es genügend Sitzgelegenheiten? In welchem Zustand sind diese und ist es sauber? Gibt es genügend Beschattung? Gibt es Spielplätze für Familien? Ist die Bepflanzung ausreichend? Fühlt man sich sicher?“
Wie wichtig ist die Digitalisierung im Zusammenspiel mit Standortmarketing, gibt es erfolgreiche Beispiele, die diese Balance eindrucksvoll demonstrieren?
Klein: „Erfolgreiche Unternehmen setzen heutzutage auf Multi-Channel-Strategien. Gelungene Beispiele sehen wir immer wieder, wie etwa ein hundertjähriges Unternehmen, das in den vergangenen zehn Jahren massiv in den Onlinehandel investiert hat, mittlerweile 40 Prozent seines Umsatzes digital erzielt und sich damit ein zweites Standbein geschaffen hat. Als IHK zeigen wir in kostenfreien Informationsveranstaltungen, wie Unternehmen ihre Online-Sichtbarkeit gezielt erhöhen können.“
Vatovac: „Digitalisierung geht dabei weit über das klassische „digitale“ Schaufenster hinaus. Maßnahmen wie Google-Anzeigen und gute Online-Shops sorgen dafür, dass potenzielle Kunden, besonders in Regionen wie Koblenz, die auf externe Besucher angewiesen sind, auch digital erreicht werden. Crossmedia- und Omni-Channel-Denken sind heute entscheidend für die Rentabilität der Unternehmen.“
Wie unterstützen Sie Unternehmen bei Digitalisierung und E-Commerce-Strategie?
Vatovac: „Ganz unterschiedlich. Wir schauen selbstverständlich kontinuierlich auf digitale Trends und informieren unsere Mitglieder aus der Handelsbranche dann zielgerichtet mit diversen Formaten. Dies können z. B. kleine Impulse mittels kostenfreien Webinaren zu Themen wie Social Media, Nutzung generativer KI im Marketing oder in der Markenentwicklung sein. In 1:1-Beratungen gehen wir zusätzlich auf individuelle Anliegen unserer Händlerinnen und Händler ein.
„Wir gehen aktiv auf Unternehmen zu, vor allem auf jene, die bislang von traditionellen Geschäftsmodellen überzeugt waren. Im vergangenen Jahr haben wir beispielsweise eine Social-Media-Reihe speziell für Händlerinnen und Händler gestartet, die rund 1800 Teilnehmende in 20 Terminen erreichte. Unser Serviceverständnis ist es, unaufgefordert mit Formaten und Workshops den Mehrwert der Digitalisierung zu vermitteln.“
Und welche Angebote machen Sie beim Thema Unternehmensnachfolge?
Klein: „Hier gilt dasselbe wie beim Thema Digitalisierung. Wir kennen unsere Mitgliedsbetriebe sehr gut und bieten ein breites Portfolio an. Zudem gehen wir mitunter aktiv auf Betriebe zu, bei denen wir wissen, dass sie kurz vor der Übergabe stehen, um sie für das Thema Nachfolge zu sensibilisieren – im Übrigen nicht nur im Bereich Handel.“
Vatovac: „Richtig, wir sind mit sehr vielen Unternehmen in Kontakt, die momentan eine Nachfolge planen, sei es innerfamiliär, betriebsintern oder extern. Neben der Beratungstätigkeit bieten wir mit der bundesweiten nexxt-change-Plattform auch die Möglichkeit, auf diesem Wege eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu finden. Der IHK-Lotsen-Service, das sind ehrenamtliche Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Führungskräfte, die noch aktiv oder bereits im Ruhestand sind, unterstützt u. a. bei Unternehmensnachfolgen zielgerichtet in den unterschiedlichen Phasen einer Nachfolge.“
Welche Bedeutung messen Sie Großveranstaltungen wie der Bundesgartenschau 2029 zu?
Vatovac: „Großveranstaltungen wie die BUGA sind von enormer Bedeutung für Regionen wie das obere Mittelrheintal zwischen Koblenz und Bingen. Sie generieren internationale Aufmerksamkeit und ziehen signifikante Bundesmittel an. Solche Veranstaltungen stärken nicht nur den Handel, sondern die gesamte Region.“
Wie wichtig ist Nachhaltigkeit im Handel, und welche Rolle spielt der Emissionsabbau?
Klein: „Nachhaltigkeit ist ein zentrales Thema, nicht zuletzt durch die Folgen der Ukraine- und der Gaskrise. Viele Unternehmen investieren in energieeffiziente Maßnahmen, etwa in moderne Beleuchtung und neue Kühlanlagen. Im Rahmen unserer ‚Heimatshoppen‘-Kampagne betonen wir, dass der lokale Einkauf einen deutlich geringeren CO₂-Fußabdruck hinterlässt als Bestellungen im Onlinehandel, die national oder auch international versendet werden müssen.“
Wie unterstützt die IHK Koblenz in Krisenzeiten ihre Mitgliedsbetriebe, gibt es spezielle Förderprogramme?
Klein: „In Krisenzeiten setzen wir vor allem auf unsere umfassende Beratungsleistung. Während der Corona-Krise haben wir tagesaktuell zu den diversen Verordnungen informiert und mit einer Hotline den Unternehmen kontinuierlich Unterstützung geboten. Auch bei der Ahrtal-Flut waren wir aktiv vor Ort im Einsatz. Wir informieren unsere Mitgliedsbetriebe über Fördermittel von EU, Bund oder Land und begleiten, wo nötig, auch die Nachverwaltung.“
Vatovac: „Die IHK versteht sich als verlässlicher Partner nicht nur in guten, sondern eben auch in Krisenzeiten. Hier schließt sich ein bisschen der Kreis zu ihrer Eingangsfrage. Wir vertreten als IHK Koblenz das Gesamtinteresse unserer rund 108.000 Mitgliedsbetriebe gegenüber Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit. Wir bieten zahlreiche Unterstützungsangebote und wir betreuen auch jedes unserer Mitgliedsunternehmen individuell, wann immer es uns braucht.“