Handwerkskammer-Chef Hellrich über die Zukunft des Koblenzer Handwerks

Ralf Hellrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Koblenz, spricht im Merkurist-Interview über Herausforderungen und Chancen für das regionale Handwerk.

Handwerkskammer-Chef Hellrich über die Zukunft des Koblenzer Handwerks

Das Handwerk steht vor großen Herausforderungen: Fachkräftemangel, Bürokratie und die digitale Transformation beschäftigen die Branche. Gleichzeitig bieten sich durch neue Technologien und den Bedarf an nachhaltigen Lösungen auch Chancen. Merkurist sprach mit Ralf Hellrich, dem Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Koblenz, über die Zukunft des Handwerks in der Region.

Wie sehen Sie die Rolle des Handwerks heute?

RH: Das Handwerk hat eine lange Tradition, geprägt von Qualität und Ausbildung. Die Gründung der Handwerkskammern vor 125 Jahren sicherte diese Standards. Heute sind wir auch international aktiv, etwa beim Aufbau dualer Ausbildungssysteme in Südosteuropa und Subsahara-Afrika. Handwerk ist Bildung und Motor wirtschaftlicher Entwicklung, besonders in schwächeren Regionen.

Welche Herausforderungen belasten Handwerksbetriebe aktuell?

RH: Die größte Last ist die Überregulierung und Bürokratie. Dokumentationspflichten sind oft überzogen und behindern Flexibilität und Motivation. Politik sollte weniger strenge Korridore vorgeben und mehr Freiraum für eigenverantwortliches Handeln schaffen. Weniger Bürokratie bedeutet mehr Zeit für die eigentliche Arbeit und höhere regionale Wertschöpfung.

Was könnte das Handwerk ohne Bürokratie mehr leisten?

RH: Es könnte stärker zur regionalen Wirtschaft beitragen und bei gesellschaftlichen Aufgaben mehr Verantwortung übernehmen. Gleichzeitig bleibt die Gewinnung motivierter Menschen eine große Herausforderung – für Ausbildung, Betriebsübernahmen und Facharbeit.

Wie steht das Handwerk zum Fachkräftemangel?

RH: Das ist eine der größten Herausforderungen. Kleine und mittelständische Betriebe sind das Rückgrat, deren Erhalt essenziell ist. Wir brauchen Menschen mit verschiedensten Bildungswegen – ob Abitur, Realschulabschluss oder Quereinstieg. Der zweite Bildungsweg ist nach wie vor eine Erfolgschance.

Wie fördern Sie Nachwuchs?

RH: Wir arbeiten eng mit Schulen aller Bildungsgänge zusammen, bieten Praktika, Schnuppertage und spezielle Formate wie „Azubi-Spots“ an. So erleben Jugendliche den Betrieb praxisnah. Zudem fördern wir die akademische Anerkennung beruflicher Qualifikationen. Heute sind Meister und Bachelor Professional gleichwertig.

Wie innovativ ist das Handwerk in Koblenz, speziell bei Digitalisierung und KI?

RH: Wir sind sehr aktiv. Mit unserem Mittelstand-Digitalzentrum bieten wir Hackathons und KI-Workshops an. Viele Betriebe nutzen Chatbots zur Terminorganisation oder smarte Systeme für Aufmaß und Abrechnung. KI hilft, Dokumentationsaufwand zu reduzieren. Der Schlüssel ist, Abläufe zuerst zu optimieren und dann Technik sinnvoll einzusetzen.

Wie bewerten Sie die Energiewende und neue Technologien im Handwerk?

RH: Die Modernisierung von Gebäuden mit Wärmepumpen, Solarpanels und energieeffizienten Lösungen ist ein zentrales Zukunftsthema. Trotz Automatisierung sind fachliche Fähigkeiten unverzichtbar. Innovation macht Betriebe attraktiv für Kunden und Fachkräfte.

Welche Rolle spielt die Zuwanderung im Handwerk?

RH: Der Fachkräftemangel erfordert gezielte Zuwanderung mit Vorbereitung und Qualifikation. Die Integration gelingt am besten durch beruflichen Erfolg. Bei unserer letzten Meisterfeier wurden 700 Meisterbriefe an Absolventen aus 26 Nationen vergeben. Herkunft spielt keine Rolle – Motivation und Qualifikation sind entscheidend.

Welche Erwartungen haben Sie an die Politik?

RH: Die Region Koblenz braucht mehr Selbstbewusstsein und eine stärkere Positionierung, um Fachkräfte und Zuwanderung zu fördern. Besonders wichtig ist der schnellere Wohnungsbau, der die Attraktivität der Region beeinflusst. Zudem sollte das Handwerk als moderner Arbeitgeber besser sichtbar gemacht werden, insbesondere für technische Berufe.

Gibt es Innovationen im ländlichen Raum rund um Koblenz?

RH: Ja, etwa im Westerwald mit preisgekrönten Innovationen wie der Kombination von Verbrennungsheizung und Wärmepumpe. Handwerksbetriebe dort sind sehr leistungsfähig und vernetzt – Innovation und solide Ausbildung machen die Region zukunftsfähig.

Wie fördern Sie Betriebe politisch und wirtschaftlich?

RH: Wir bieten kostenfreie Betriebsberatungen, helfen bei Prozessoptimierung und Digitalisierung. Unsere Workshopserie „Handwerk Attraktiv“ zu KI und Social Media ist sehr gefragt. Die Betriebe sind offen für Innovationen und gut auf die Zukunft vorbereitet.

Wie sehen Sie die Handwerkskammer in zehn Jahren?

RH: Die größte Herausforderung ist die Sicherung von Betriebsübernahmen, um kleine und mittlere Unternehmen zu erhalten oder sinnvoll zusammenzuführen. Betriebe müssen moderner werden, digital vernetzt und stärker kooperieren. Trotzdem bleibt der persönliche Kontakt wichtig – gerade bei sensiblen Leistungen.

Was treibt Sie persönlich an?

RH: Die Menschen im Handwerk. Ihre Vielfalt, der Sinn und die Freude an der Arbeit motivieren mich jeden Tag. Die positive Resonanz aus den Betrieben gibt viel Energie.

Welcher Moment war besonders prägend?

RH: Der Besuch junger Menschen mit Fluchthintergrund, die trotz schwerer Umstände eine Ausbildung meisterten und teils sogar selbst Meister wurden und im beruflichen Erfolg stehen und damit auch Erfüllung finden. Solche Beispiele zeigen das Potenzial des Handwerks als Integrationsmotor und sind wichtige positive Impulse für eine integrative Gesellschaft.

Vielen Dank für das Gespräch!