Viele Menschen in der Region kennen die Oberst-Hauschild-Kaserne auf der Anhöhe über Mayen. Doch was genau hinter dem Kasernenzaun passiert, wissen nur die Wenigsten. Dort ist eine in Deutschland einzigartige Einheit der Bundeswehr stationiert: das Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr (ZOpKomBw). Ihre Aufgabe ist es, im Informationsraum zu agieren – dort, wo mit Falschmeldungen und gezielter Propaganda um die Wahrnehmung von Menschen gerungen wird. An der Spitze dieser Einheit steht Oberst Dr. Ferdi Akaltin. Im ausführlichen Gespräch mit Merkurist gab er exklusive Einblicke in die komplexe Welt des Informationskampfes und die Bedeutung seines Standorts, der von derzeit rund 880 auf bald über 1.000 Kräfte anwachsen wird.
Der Kommandeur: Ein Offizier mit zivilem Engagement
Um die moderne Ausrichtung des Zentrums zu verstehen, lohnt ein Blick auf seinen Kommandeur. Dr. Ferdi Akaltin, Sohn eines türkischen Vaters und einer deutschen Mutter, aufgewachsen im Ruhrgebiet, hat Geschichte und Rechtswissenschaften studiert. Seine über 40-jährige Laufbahn als Soldat führte ihn unter anderem nach Afghanistan und für vier Jahre in das NATO-Hauptquartier im türkischen Izmir. Seit Juli 2021 führt er die Einheit in Mayen. Akaltin ist nicht nur Soldat; er engagiert sich auch zivilgesellschaftlich und trat bei der letzten Bundestagswahl als Kandidat für die SPD an. Diese Verbindung zur zivilen Welt prägt sein Verständnis für die gesellschaftliche Dimension seines Auftrags.
Die Mission: Erkennen, Beraten, Beeinflussen
Der Auftrag des ZOpKomBw lässt sich in drei Worten zusammenfassen, die auch den Markenkern der Einheit bilden: „Erkennen, Beraten, Beeinflussen“. Oberst Akaltin erklärt den Kern: „Wir versuchen Analyse des Informationsumfelds so zu gestalten, dass wir Desinformation frühzeitig lokalisieren können.“ Anschließend berät die Einheit die politische und militärische Führung, was zu tun ist. Und im Konfliktfall, so Akaltin, „beeinflussen wir natürlich auch freigegebene Zielgruppen über unsere eigenen Medienkräfte.“ Die deutsche Bevölkerung und Bündnispartner sind dabei nie das Ziel von Beeinflussung. Er stellt klar: „Unsere Waffe ist primär die Information und nicht nur das G36, auch wenn wir damit ganz gut umgehen können.“
Die Arbeit beginnt mit der Analyse. Spezialisten durchforsten offen zugängliche Quellen, um gezielte Manipulationen zu erkennen. Warum Desinformation so wirksam ist, erklärt der Oberst mit der menschlichen Psychologie: „Der Mensch ist seit Anbeginn seiner Entwicklung gepolt, auf Gefahr zu reagieren.“ Er veranschaulicht es mit einem Bild: Ein Foto von einem harmlosen Hasen auf einer Wiese werde sekundenschnell weggewischt. „Wenn ich dir das gleiche Bild zeige und eine gefährlich aussehende Schlange schlängelt sich über diese grüne Wiese, dann guckst du sofort drauf und willst den Text lesen, weil du sofort wissen möchtest, droht mir Gefahr.“ Als reales Beispiel nennt er russische Kampagnen, die nach Beginn des Ukraine-Krieges „ganz gezielt mit den Urängsten der Deutschen gespielt haben“, etwa der Furcht vor einem kalten, dunklen Winter.
Das Auge der Führung und Flugblätter per Ballon
Umgekehrt verfügt das Zentrum über ein breites Arsenal an Mitteln. Dazu gehören mobile Druckereien, Rundfunksender und Analyse-Teams. Sogar Lautsprecherdurchsagen aus gepanzerten Fahrzeugen vom Typ „Dingo“ gehören zum Repertoire, um etwa „einen eingeschlossenen Feind in seiner Sprache zur Aufgabe aufzufordern.“ Ziel sei es, so Akaltin, Kriege „weniger verlustreich und blutig“ zu machen. Eine besondere Fähigkeit außerdem ist die „Abstandsfähige Produktverbringung“: Mithilfe von Wetterballons und exakten Computerberechnungen können Flugblätter über Distanzen von bis zu 30 Kilometern zielgenau über einem fußballfeldgroßen Gebiet abgeworfen werden. „Und das funktioniert fantastisch“, fügt er hinzu. Die Technik dahinter reicht schon Jahrzehnte zurück, aber ist sehr zuverlässig.
Eine entscheidende Rolle spielen auch die Einsatzkamerateams des Zentrums. Sie dokumentieren militärische Operationen, um den Entscheidungsträgern in Berlin eine unverfälschte Bildgrundlage zu liefern. Während der dramatischen Evakuierung am Flughafen Kabul, so Akaltin, schickten seine Teams die Bilder „direkt ins Bundeskanzleramt“, sodass die damalige Kanzlerin jederzeit die Lage vor Ort für ihre Entscheidungen bewerten konnte. Auch bei der heiklen Durchfahrt deutscher Schiffe durch die Taiwanstraße waren Kamerateams an Bord, um mögliche Provokationen zu dokumentieren.
„Fight tonight“: Die neue, harte Realität der Ausbildung
Die sicherheitspolitische „Zeitenwende“ hat die Arbeit am Standort grundlegend verändert. Während früher einzelne Kontingente gezielt auf Auslandseinsätze vorbereitet wurden, gilt heute ein neues, fordernderes Prinzip. „Wir müssen in der Lage sein heute Nacht zu kämpfen, und zwar mit allen Soldaten“, betont der Kommandeur.
Was das bedeutet, beschreibt er eindrücklich: Es gehe darum, einen 15-Tonnen-Lkw bei Nacht, ohne Licht und „mit einer kleinen Funzel“ auf einem schlammigen Waldweg zu beherrschen, während man übermüdet ist und unter Stress steht. Danach gehe es nicht in den warmen Schlafsack, sondern auf einen Alarmposten. „Und ich liege jetzt noch mal vier Stunden in einem kalten, feuchten Loch mit meinem Maschinengewehr.“ Die Devise laute: „Ein Liter Schweiß spart 100 Liter Blut.“ Auch die Erste-Hilfe-Ausbildung hat massiv an Bedeutung gewonnen. Im internationalen Krisenmanagement in Afghanistan gab es die „Golden Hour“, das Ziel, einen Verwundeten innerhalb einer Stunde ins Krankenhaus zu bringen. „Aber das geht natürlich auf einem modernen Gefechtsfeld nicht“, erklärt Akaltin. „Da ist es der Kamerad, der dem anderen das Leben rettet und dafür sorgt, dass dieser irgendwie nach hinten in ärztliche Versorgung gebracht wird. Und das kann Stunden dauern.“
Trotz der hohen Anforderungen, so Akaltin, habe er keine Nachwuchssorgen. „Die Operative Kommunikation ist hochgradig attraktiv“, sagt er und verweist darauf, dass er jedes Jahr alle Stellen für Offizieranwärter besetzen kann. „Unsere Soldatinnen und Soldaten sowie ihre Familien fühlen sich in Mayen und der Region sehr wohl, neben dem wichtigen Standort für die Bundeswehr sind wir auch ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor, das erfahren wir immer wieder“. Die wachsende Bedeutung des Standorts zeigt sich auch in der intensiven internationalen Zusammenarbeit. Bei der jährlichen Großübung „Active Volcano“ kommen Soldaten aus über einem Dutzend alliierten Nationen nach Mayen. „Während das früher wie ein Familienzusammentreffen war, wissen heute alle, es ist ein Spiel gegen die Zeit.“ Auf die Frage nach seiner wichtigsten Aufgabe für die Zukunft antwortet der Oberst klar: Es sei „das Erlangen und Erhalten der Kriegstüchtigkeit der Truppe in allen Disziplinen.“