Von Christof Bock, Köln/Hürth (dpa) - Es gibt einen Moment in der großen Abschiedsshow von Thomas Gottschalk, da wird er mit dem Sandmännchen verglichen. Es soll geraten werden, wer von beiden jünger ist - die glitzernde Show-Legende oder der etwas biedere Zipfelmützen-Mann. Gottschalks alter Wegbegleiter Mike Krüger wittert Majestätsbeleidigung. «Was für ein Vergleich!», ruft er empört. «Thomas, sie haben dich mit dem Ost-Sandmännchen verglichen!»
So abwegig ist der Vergleich aber gar nicht. Jahrzehntelang hat Thomas Gottschalk den Deutschen dabei geholfen, mit einem guten Gefühl ins Bett zu gehen. War «Wetten, dass..?» zu Ende, wusste das Land, dass der Höhepunkt der Woche erreicht war. An diesem Abend ist es anders. Diesmal verabschiedet sich das Land von Thomas Gottschalk.
Die RTL-Sendung «Denn sie wissen nicht, was passiert» ist Gottschalks letzte große Samstagabend-Show - so hat er es verkündet. Das allein ist schon eine Nachricht. Denn Gottschalk ist nicht irgendein Moderator, sondern das Gesicht einer ganzen Ära der deutschen Unterhaltung.
Der Samstagabend als Ritual
Er steht für ein Fernsehen, das große, generationenübergreifende Momente schuf - das vielzitierte Lagerfeuer, nach dem sich heute in Zeiten von Renten-Streit und Wehrdienst-Debatte so viele sehnen. Das Sofa, die Stars, die Bagger, der Humor als Bindemittel, die Leichtigkeit: Mit Gottschalk geht nicht nur ein Moderator, sondern auch ein Gefühl. Sein Berufskollege Rudi Carrell sang mal ein Lied mit dem Titel «Showmaster ist mein Beruf». Für keinen galt das so wie für Gottschalk. Er war der Showmaster der Nation.
Aber nicht nur das - vor wenigen Tagen hat er eine Krebserkrankung öffentlich gemacht. «Ich kann nicht mehr auftreten. Ich muss gesund werden», hatte er der «Bild»-Zeitung gesagt. Die Medikamente hätten starke Nebenwirkungen. Und dennoch: Für seine letzte Ausgabe «Denn sie wissen nicht, was passiert» hatte der 75-Jährige zugesagt. Einerseits ist da nun der ewig leichtfüßige «Thommy». Andererseits die Nachricht von der Krankheit - und damit eine Ernsthaftigkeit, die mit klassischer Showlogik kaum zusammengeht. Oder doch? «Denn sie wissen nicht, was passiert», selten war ein Titel so treffend.
Kilt, Sofa und alte Weggefährte
Schnell ist an diesem Abend aber klar: Im Grunde ist egal, wie die Show heißt - heute ist sie erst einmal eine Gottschalk-Show. Günther Jauch und Barbara Schöneberger, mit denen er in den vergangenen sieben Jahren durch die Sendung führte, tragen Schottenröcke. Für Kenner ist der Wink schnell verstanden - sie erinnern an eine legendäre «Wetten, dass..?»-Ausgabe aus dem Jahr 2000, in der Gottschalk ein ähnliches Beinkleid trug.
In der Duisburger Rhein-Ruhr-Halle gewann Topmodel Cindy Crawford damals eine Wette um ein ausgeblasenes Osterei, das zwei Düsseldorfer auf einem Föhn tanzen ließen - mehr als 13 Millionen Menschen schauten vor dem Fernseher zu. Diese Anekdote erzählt vielleicht mehr über Gottschalks Show-Vermächtnis als jede Highlight-Sendung.
Als Gäste sind Quiz-Moderator Jörg Pilawa, Schwiegermutter-Liebling Giovanni Zarrella und Humor-Veteran Mike Krüger gekommen. Die Sendung plätschert etwas dahin, aus unklaren Gründen spielt die Kölner Karnevals-Band Kasalla im Hintergrund ihre Lieder. Gottschalk steht - symbolisch, symbolisch - vor einem großen Thron, lässt aber die anderen machen, die sich in Spielchen duellieren, in denen es wiederum oft um ihn geht. Etwa in einem Gottschalk-Quiz.
Nach etwa eineinhalb Stunden wird es dann plötzlich still im Studio - Günther Jauch und Gottschalk setzen sich an einen kleinen Tisch zusammen. Es ist der Augenblick, ohne den es wohl nicht geht. Das Gespräch über die Krankheit. Gottschalk spricht über die Wende in seinem Leben.
Jauch, Gottschalk und «der Inbegriff des Glückskindes»
«Es ist der Moment, wo man merkt, dass man doch nicht alles im Griff hat», sagt Gottschalk. Er ziehe sich nun zurück - und damit ist offenbar nicht nur der Samstagabend gemeint. «Es ist schon so, dass man das Gefühl hat, dass man es hinter sich hat», sagt er. Die Lichtgestalt, die immer größer war als ihre Bühne - sie wirkt sehr menschlich. Es ist eine der berührenden Szenen des Abends, als Jauch zu seinem an Krebs erkrankten Freund sagt, er sei für ihn stets «der Inbegriff des Glückskindes gewesen».
Die Show ist noch längst nicht vorbei, als sich alle Beteiligten um ein - hach, die Symbolik - Lagerfeuer versammeln und Mike Krüger ein Lied auf seinen alten Kumpanen Gottschalk singt («Mit "Wetten, dass..?" ist er zur Legende gereift und hat zufällig auf der Couch manche Dame gestreift»). Mittendrin hat Krüger einen Texthänger - und Gottschalk noch mal einen seiner berühmten Momente. «Mike ist der Nächste, der sich verabschiedet», sagt er. Ein Treffer.
Ein Ende im goldenen Konfetti-Regen
Danach setzt plötzlich «Rockin’ All Over the World» von Status Quo ein, noch so eine Chiffre aus dem Gottschalk-Werk. Er küsst seine Frau Karina, es fallen goldene Konfetti-Streifen von der Decke - und dann ist Gottschalk weg. Mitten in der Show, die danach noch mehr als zwei Stunden austrudelt.
Man könnte sagen, dass es ein ziemlich verhuschter, seltsam knapper Abschied für einen der größten Unterhalter des Landes ist. Kein großes Finale, keine Mega-Stars, kein langer Rückblick, kein pathetischer Abgesang. Stattdessen das Sandmännchen und eine Karnevals-Band.
Man kann es aber auch konsequent finden. «Die gute Laune ist bei mir relativ krankhaft», hatte Gottschalk 2020 mal der dpa gesagt. «Wenn ich sie verliere, sind die anderen schon am Heulen.» Die Leute seien es von ihm einfach gewohnt, dass er gute Laune verbreite. Der große Tränenzieher-Abschied - würde das dazu passen?
Zu seinem Freund Günther Jauch sagt Gottschalk an diesem Abend: «Gelohnt hat sich alles.»
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